Berufsverband Bildender Künstler entdeckt Computer als Handwerkszeug

Ausstellung: Digital belebte Kunstwelt

14.11.1986

MÜNCHEN - "Nur digitale Soße zu Tschernobyl und Wackersdorf, Star Wars und ISDN?" Mit Provokationen dieser Art lassen Alexander und Barbara Kempkens, Initiatoren und Mitaussteller der Münchner Computerkunstschau "Bilder Digital" das Thema Computerkunst rundem in Frage stellen. Multimedial und von Gruppen unterschiedlichster Art kommen die Antworten: kräftige Resonanz in erster Linie von Kindern, Jugendlichen und ... Frauen.

Insgesamt 14 Künstler sind mit Exponaten vertreten, von der manuellen Tuschezeichnung scheinbar herkömmlicher Art bis zum unendlich reproduzierbaren Drucker-Output, vom durchleuchteten Acryl-Transparent bis zum unkonventionell visualisierten Stück Literatur.

Die prächtigen Ausstellungsräume des Berufsverbandes Bildender Künstler e.V. an Münchens nobler Maximilianstraße verbinden wie selbstverständlich die eigentliche Bilderschau mit stets bevölkerten "Malräumen", in denen vorwiegend jugendliche Freaks am PC um den "schärfsten Ausdruck" ringen.

Kommerzielle Grafik ist mit Beispielen aus dem Flugzeugbau, der Geschäftsgrafik, der Wetterkunde, der Werbung, des Fernsehens, der Wahlanalyse etc. reichlich vertreten. Offenbar reizen speziell die immer wieder frisch nachgeschobenen Videos die Besucher zum spontanen Nachahmungsversuch auf dem PC.

Neben der ästhetischen, didaktischen und dokumentarischen Absicht von "Bilder Digital" kommt auch das gesprochene und geschriebene Wort nicht zu kurz. Ad hoc und auch längerfristig arrangierte Symposien bringen Kunstsinnige, Kunsttechniker und Computerfreaks wie auch -snobs in Rage.

Zum Lesen und Mitnehmen (5 Mark) kreierte Kempkens kurzerhand noch zwei Nummern einer neuen flockigen Zeitschrift mit gleichnamigem Titel. Der Ausstellungskatalog (48 Mark in der Ausstellung) hat sich in kurzer Zeit den begehrten Platz neben der Kasse in den Kunstbuchhandlungen erobert - Zeichen dafür, daß die Ausstellungskonzeption "Für jeden etwas" das Vorhaben über den Tag hinaus trägt.

Die Broschüre bringt mit üppigem Bildmaterial und deutsch-englischen Texten die gesamte Szene in den Blick. Klassiker, wie Herbert W. Franke und Georg Nees, kommen mit ihren neuesten Computer-Arbeiten und Essays (auch über sie) zum Zuge. Die mittlere Generation, wie Manfred Moor, Wolfgang Zach, Johannes Glötzner und Jürgen Lit Fischer ist mit ihren rechnerunterstützten zwei- und dreidimensionalen Werken gleichfalls gut vertreten. Auch "Quasi-Naives" ist zu besichtigen, an der Wand, und nicht nur "life" aus der Produktion der zahlreichen jungen "Schnellmaler" am PC.

Dieser abwechslungsreiche, wenn auch notwendigerweise unvollständige Überblick über die bundesdeutsche Computerkunstlandschaft des Jahres 1986 dürfte viele Vorurteile über eine vermeintlich "langweilige Computerkunst" über den Haufen werfen. Der professionell gemachte Katalog legt sogar ein paar historische Wurzeln der "digitalen Bilder" frei und gibt auch Kunsttheoretikern und Informatikern ein paar Nüsse zu knacken. Die Zeitschrift heizt mit Interviews und Analysen die Diskussion an.

"Bilder Digital" ist noch bis zum 23 November in den Räumen des Berufsverbandes Bildender Künstler München und Oberbayern e V. in der Maximilianstraße 42 (Galerie der Künstler) zu besichtigen. Der Katalog (255 Seiten, farbig) ist erschienen im Barke Verlag, München, und kostet 58 Mark (ISBN 3-9261167-00-9). Gesponsert wurde das Unternehmen von 20 Firmen, unter diesen auch CW-Publikationen, der Verlag der COMPUTERWOCHE.