Ausser Spesen nichts gewesen

30.04.1993

Wie weiland der Rattenfaenger von Hameln gehen zur Zeit Consulting- und Marktforschungsunternehmen auf Kundenfang. Mit immer neuen Floetentoenen, sprich unverstaendlichen Anglizismen, versuchen die Analysten in Zeiten knapper Reisebudgets, User auf Kongresse zu locken.

Zugegeben, diese Treffen sind fuer viele Anwender Foren, auf denen sie mit Betroffenen Erfahrungen austauschen koennen. So laesst sich vielleicht mancher Fehler vermeiden, den bereits ein anderer Kollege gemacht hat.

Dennoch, dem Chronisten stellt sich die Frage, warum die Veranstalter mit sprachlichen Nebelwerfern wie "Re-Engineering" das tatsaechliche Thema eines solchen Treffens verschleiern muessen. Warum bekennen die Organisatoren nicht Farbe und nennen das Ganze einfach "Client-Server-Loesungen in der Praxis"? "Re-Engineering the Network" klingt nach "Lasst uns die bestehende Netzstruktur einfach mit Dynamit sprengen".

Oder sollen die klangvollen Fremdwoerter die Tatsache ueberdecken, dass man im Grunde wenig Neues zu sagen hat? Eigentlich muessten die Consultants aus ihrer Beratertaetigkeit wissen, dass bei den Anwendern nach wie vor ein grosser Bedarf an Beratung und Erfahrungsaustausch vorhanden ist, der mit den immer komplexer werdenden Netzen sogar eher noch wachsen duerfte.

Gefahr droht auch von anderer Seite: Allzuoft werden diese Treffen, die eigentlich der gegenseitigen Information dienen sollten, von den Herstellern zu reinen Podien der Selbstdarstellung degradiert. Aus leidvoller Erfahrung kann der Chronist dem potentiellen Kongressbesucher daher nur empfehlen, die Liste der Referenten genau zu pruefen. Sind zu viele Hersteller unter den Vortragenden, so kann zur Zeit der Rat nur heissen: Zu Hause bleiben.

Dies zumindest, solange Firmenvertreter von Microsoft und Novell, wie beispielsweise in Amsterdam, diese Veranstaltungen als Werbeplattformen fuer ihre Produkte missbrauchen; spaetestens dann ist der Besuch eines solchen Events in der Regel reine Zeitverschwendung. Dass darueber hinaus die Erbsenzaehlerei der Hersteller zur Schlammschlacht ausartet, gehoert auf vielen Kongressen mittlerweile ebenfalls zur Tagesordnung.

Aggressive Selbstanpreisungen haben, wenn ueberhaupt, ihren Platz in den Prospekten oder Anzeigen der Hersteller und nicht auf Kongressen, von denen sich Anwender konkrete Tips oder Loesungsvorschlaege zu Problemen erhoffen. Ist den Herstellern nicht bewusst, dass sie so nur ihre Glaubwuerdigkeit verspielen und frustrierte User hinterlassen, deren enttaeuschtes Resuemee lautet: Ausser Spesen nichts gewesen? Und, warum demonstrieren die Hersteller auf diesen Foren nicht Loesungskompetenz statt PR-Gestammel?