Das wirtschaftliche Debakel im Schatten der IBM - ein Jahresrückblick:

Ausleseprozeß kennzeichnet die DV-ßranche

11.01.1985

CW-Bericht, W. Rüdiger Ussler

MÜNCHEN- Ein Gespenst geht um in der DV-Welt: "rote Zahlen". Insbesondere die zweite Hälfte des vergangenen Jahres war von negativen Quartalsabschlüssen bis hin zu Konkursen gekennzeichnet. Das existentielle Countout erleben gerade die IBM-kompatiblen Hersteller durch Preisverfall und schärferen Wettbewerb.

Stephen McClellan, Wall Streets bekanntester Analyst der Computerindustrie, diagnostiziert speziell für Hardwarebauer, aber auch für Mikrosoftwareproduzenten eine tiefe Strukturkrise. Infolge immer kürzerer Produktzyklen zeichne sich dieser Industriezweig im kommenden Jahrzehnt durch zunehmende Umwälzungen und Turbulenzen aus.

Der Ausleseprozeß in einer als innovativ und wachstumsorientiert gefeierten Branche ist in vollem Gange. Noch ist ungewiß, wer im High-Tech-Poker auf der Strecke bleiben wird. Denn nicht immer verheilen rote Bilanzzahlen das unabwendbare "Aus". Die Krise meistern, so McClellan, heißt nicht unbedingt zu den Gewinnern, sondern eher zu den Überlebenden zu zählen. Für den Chefanalytiker der Anlageberatung Salomon Brothers werden 1990 von jetzt 150 Mikroherstellern "vielleicht noch zehn Unternehmen übrigbleiben. Dazu rechnet er IBM, Tandy und Apple.

TI machte den Auftakt

Den Reigen der Hiobsbotschaften eröffnete Anfang vergangenen Jahres Texas Instruments (TI). Das Geschäftsjahr 1983 bescherte den Texanern einen Verlust von umgerechnet rund 407 Millionen Mark. Da sich gerade das Heimcomputergeschäft für den Chip- und Bauelementespezialisten als Flop erwies, gab man kurzerhand diesem Bereich auf. Gebremst war damit die Problemfahrt keineswegs. Derzeit plagt TI die Entlassung von 2000 Mitarbeitern, da die Aufträge für Halbleiter stark rückläufig sind.

Gleichwohl klagen auch andere Halbleiterhersteller über eine sinkende Nachfrage: Intel, NatSemi und Motorola müssen ihre Umsatzprognosen zurückschrauben, und Honeywell trennt sich von der Halbleiterfirma Synertek.

Die Hoffnung, eine schnelle Mark im Computergeschäft zu verdienen, erfüllte sich auch für Mattel und Timex nicht. Der Spielwarenhersteller und der erfolgreiche Billiguhrenanbieter zogen sich vom Markt zurück. Die Gewinne seien nicht angemessen gewesen, hieß es vorsichtig.

Einen kräftigen Ertragsrückgang gestand die Kölner CPT Textcomputer GmbH für das Geschäftsjahr 1983 ein. Der Gewinn schrumpfte auf 1,3 (1,9) Millionen Mark. Verantwortlich erklärte man die Dollarverteuerung. Vor kurzem machte die US-Mutter von sich reden. Zum ersten Mal in der siebenjährigen Geschichte wies die CPT Corp. einen Verlust aus. Im ersten Quartal ihres Geschäftsjahres summierte sich das Minus auf 769000 Dollar. An einen Verkauf des Unternehmens ab sei nicht gedacht, war auf einer Aktionärsversammlung zu hören.

Doch forderten einige der Anteilseigner den Rücktritt des Gründers und Aufsichtsratsvorsitzenden Dean F. Scheff. Ihnen ist sein Führungsstil ein Dorn im Auge.

Millionen Verluste stehen der Düsseldorfer Rank Xerox GmbH ins Haus. Schon im vergangenen Geschäftsjahr war die Ertragsdecke sehr dünn. Neben Einbußen im Kopiergeschäft gesteht man am Rhein auch ein, die DV-Geschäfte seien hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Vor einigen Monaten philosophierte Donald J. Massaro, Ex-Präsident der Hochtechnologieabteilung von Xerox: "Es ist eine Sache, die Technologie zu haben, und eine andere, sie zu verkaufen."

Die Freude verging im Mai der Raytheon Corp. an ihrer Tochter, der Raytheon Data Systems. Herstellung und Verkauf von IBM-3270-kompatiblen Bildschirmterminals sowie Geräten für die Bürokommunikation wurden eingestellt. Kurz bevor es zur Auflösung dieses Konzernbereichs kam, kaufte Telex Computer Products den Raytheon-Ableger. Telex ist für IBM-kompatible TP-Systeme bekannt.

Kleinere Computer-, Peripherie- und Softwareunternehmen fallen um wie die Fliegen, konstatierte der britische Infodienst "Computergram" im zurückliegenden Oktober. In die finanzielle Klemme durch mangelnden Absatz ihres kompatiblen Portables "Attache" geraten war die Otrona Advanced Systems Inc. Die Macher, in Colorado entschieden nur noch auf Liquidation.

Keine Chance mehr weiterzumachen, sah ebenfalls das amerikanische Softwarehaus Knoware. Eine Anzeigenkampagne hatte offensichtlich dem Produzenten einer Autodidaktensoftware für den IBM-PC ins Schlingern gebracht. Die Entscheidung lautete ebenfalls Auflösung nach dem US-Konkursrecht.

Müßig wäre es, im Zusammenhang der Firmenpleiten näher auf die beiden deutschen Firmen BCT und Beta Systems einzugehen. Sie wurden eher durch ihre unredlichen Finanzgebahren vom Markt gefegt.

Absatzschwierigkeiten bei Mikrocomputern ließ Franklin Computer Corp. Anfang Juni nach dem Rettungsanker des amerikanischen Konkursrechts greifen. Es stellte sich unter den Schutz von Chapter eleven. Zuvor war die Belegschaft drastisch reduziert worden.

Die Liste der in den zurückliegenden Wochen bekanntgewordenen Minus-Macher läßt sich beliebig fortsetzen. Eagle Computer Inc. hat sich nach dem 24-Millionen-Verlust des letzten Geschäftsjahres noch nicht wieder erholt. Unter kollabierenden Preisen für 8-Bit-Mikros leidet Televideo Systems: Verlust im vierten Quartal 7,9 Millionen Dollar. Zu den erst vor kurzem in Schwierigkeiten geratenen IBM-PC-Kompatiblen gehört Sequoia. 130 Angestellte erhielten ihre Kündigung. Quartalsverluste meldeten ferner General Automation Inc., IPL Systems Inc., Intertec Data Systems, Delta Data Systems, Graphic Scanning Corp., Wavetek, Data Switch Corp., Computer Network Corp., Comserv Corp., Comdial Corp., die Xerox-Tochter Shugart, Mnemos, Combined Technologies, die 63 Prozent von Mnemos hält und andere.

Plagen ein amerikanisches Unternehmen Verluste, so ist oft der Retter in der Not nicht weit: der als "Firmenjäger" bekannte Großunternehmer Asher F. Edelmann. Nachdem er mittlerweile fast zehn Prozent der Datapoint-Aktien besitzt, hat er nunmehr auch Gefallen an Mohawk Data Sciences (MDS) gefunden. MDS schloß das zweite Quartal seines laufenden Geschäftsjahres mit einem Verlust von 46 Millionen Dollar ab. Ebenfalls Interesse bekundet der allgegenwärtige Edelmann für Management Assistance Inc. (MAI). Das Minus im vierten Quartal Ende September lag immerhin bei 12,4 Millionen Dollar.

Zu den Aspiranten, die bei US-Gerichten Chapter eleven beantragen, gehört auch Gavilan Computer Corp. 26 Mitarbeiter mußten gehen, nachdem Verzögerungen bei der Einführung tragbarer Farbbildschirme die Ertragssituation verschlechterten.

Gleichfalls hofft der Display-Hersteller Beehive, sich wieder zu reorganisieren. Die Krise, wußten die Manager zu beruhigen, sollte keine Auswirkungen auf das Werk in Dublin noch die Büros in London und Frankfurt haben.

Prominentester Antragsteller auf Gläubigerschutz nach dem Bankruptcy Act ist der PCM-Anbieter Storage Technology Corp. Auch hier bemüht man sich zu verbreiten, das Finanzdebakel der US-Mutter sei für die International Group ohne Komplikationen. Gescheitert war Storage Tek, so die Kurzform, am mörderischen Preiskampf der IBM, aber auch an Managementfehlern. Immerhin soll sich der Verlust im dritten Quartal auf satte 60 Millionen Dollar belaufen haben.

Mainframefreaks, die sich noch den Träumen eines Supercomputers von Trilogy hingaben, wurden Mitte 1984 enttäuscht. Die von Gene Amdahl geplante Supermaschine blieb in der Entwicklung stecken. Finanziers verloren ihre Gelder. Trilogy verlagerte sich auf die Produktion seiner Hochleistungschips, scheiterte aber auch daran. Im dritten Quartal 1984 geriet Trilogy mit 5,3 Millionen Dollar in die Verlustzone.

Zurück zu den Herstellern von Mikro- und Minicomputern: Stephen McClellan ist der Ansicht, daß fast alle Mikrohersteller sich schwertun werden, erfolgreich zu bleiben ("Sie sind Opfer ihrer eigenen Umwelt"). Mitte der 90er Jahre werde sich dann die Entwicklung stabilisiert haben, die Zeit der großen Wachstumsraten sei vorbei und die Attraktivität dieses Industriezweiges gedämpft.

Als bereits beendet sieht der Marktbeobachter die Wachstumsphase bei Minicomputern an: "Digital Equipment Corp. und Prime Computer sowie viele andere haben daher auch so große Schwierigkeiten." Tatsächlich gehörte im zurückliegenden Jahr die DEC-Aktie zu den umstrittensten Titeln in Wall Street. Zähneknirschend mußte der Branchenzweite zudem eine Schlappe beim Verkauf seiner Mikrocomputer im kommerziellen Bereich eingestehen.

Doch abschließend zumindest zwei Lichtblicke: Die noch unter Chapter eleven stehende Victor Technologies arbeitet wieder mit Gewinn und will mit neuen Kräften an den Start der nicht-IBM-kompatiblen Mikros gehen. Schon sinnt man zusammen mit Dataproducts über eine dollarunabhängige Produktion in Europa oder Fernost nach.

Von den Toten auferstanden scheint auch Osborne Computer Corp. zu sein. Mit zwei Portables will das Unternehmen wieder von sich reden machen.