Ausgeloggt - wann Manager abschalten

21.12.2007
Von Judith-Maria Gillies
Früher galt ein Handy als Statussymbol. Heute entdecken Führungskräfte den Segen der temporären Funkstille. Eine Bedienungsanleitung für den Aus-Knopf an Handy, Laptop und Blackberry.

Den Sonntag im April vergangenen Jahres wird Jan Christoph Gras so schnell nicht vergessen. Der Mitgründer der Berliner Firma Myphotobook hatte zuvor zweieinhalb Jahre lang ununterbrochen gearbeitet, sieben Tage die Woche, im Büro, unterwegs, von Zuhause aus. Bis er an besagtem Sonntag seine Freundin fragte, welcher Tag denn heute eigentlich sei. Die Freundin rastete aus. "Da habe ich gemerkt: So kann es nicht weitergehen", erinnert sich der 30-Jährige. Kurzerhand verkaufte er seinen Laptop und schaffte das Internet daheim ab, "um ja nicht in Versuchung zu kommen, zu Hause weiterzuarbeiten".

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weshalb immer mehr Manager Handy und Blackberry auch mal ausschalten;

warum die ständige Erreichbarkeit Führung erschwert;

was Berater Telefon- und Mail-Junkies empfehlen.

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Vom Mut, das Handy abzuschalten

Gras ist in guter Gesellschaft. Immer mehr Spitzenkräfte der Wirtschaft lassen sich nicht länger zu Sklaven der Kommunikationstechnik machen. Sie schalten ab. Sie loggen sich aus. Sie lassen es klingeln. Galt einst die ständige Ereichbarkeit in Führungskreisen als Pflicht, dreht sich heute der Wind. "Wir beobachten, dass sich der Umgang von Managern mit Handys ändert, sagt Christian Voigt, Leiter Personal bei Tchibo in Hamburg. "Immer mehr Führungskräfte haben auch mal den Mut, ihr Handy abzustellen." Und Miriam Meckel, Professorin für Corporate Communication an der Universität St. Gallen, fordert: "Wir Menschen müssen ein neues Verhältnis zwischen unserer On- und Off-Zeit finden." In ihrem neuen Buch "Das Glück der Unerreichbarkeit" (Murmann Verlag) warnt sie Manager davor, ständig auf Standby zu sein. "Das frisst Energie und ist auch fürs Klima schädlich vor allem für das zwischenmenschliche."

Das weiß auch Rainer Christine. "Der Aus-Knopf am Handy, Computer oder Blackberry ist eine wichtige Einrichtung", sagt der Vorstandsvorsitzende der Kölner Biotech-Firma Amaxa. "Hochwertige Arbeit geht nicht nonstop, sondern nur, wenn ein gewisses Maß an Ausgewogenheit vorhanden ist." Und Abschalten kann am besten, wer auch seine Geräte abschaltet. Als 2005 Christines Tochter geboren wurde, kappte der 39-Jährige für ein paar Tage die Verbindungen zur Firma. Geschäftspartner mussten nach Hinterlassen von Voice-Mails oder E-Mails auf seine Antwort warten. Ähnliche Filtersysteme hat er bis heute in seinen Arbeitsalltag eingebaut.

Kein Anschluss unter dieser Nummer: Darüber freut sich mittlerweile auch Hans-Christian Boos, Gründer und Vorstand des Frankfurter IT-Beratungshauses Arago. Lang vorbei sind die Zeiten, als Freunde dem passionierten Hobbyreiter einen Telefonantennenhalter fürs Pferd schenkten. "Damals wollten sie mich wohl darauf aufmerksam machen, dass diese ständige Erreichbarkeit keine Vorteile bringt", sagt der Ex-Dauertelefonierer schmunzelnd. Der Wink mit dem Zaunpfahl half. "Heute erreichen Anrufer auf meinem Handy in 80 Prozent der Fälle meine Mailbox oder meine Sekretärin."

Man darf kein Sklave des eigenen Blackberrys sein

Den Sinneswandel zum ruhigeren Leben verdankt der 35-Jährige auch dem Ausspruch eines Geschäftspartners, der ihm einmal riet: "You know, Chris, speed is important, but don‚Äòt forget the direction." Der gelernte Informatiker zog seine Konsequenzen und weiß heute: "Die Aufgabe eines Unternehmensleiters liegt darin, durchdachte Entscheidungen zu treffen. Ganz sicher ist das unmöglich, wenn ich alle drei Minuten meine E-Mails überprüfe oder alle zehn Minuten ans Telefon gehe.

Ähnliche Einsichten setzen sich derzeit auch in den Hierarchien von Konzernen durch. "Von unseren Führungskräften erwarten wir nicht, dass sie rund um die Uhr erreichbar sind", sagt Professor Claus Heinrich, Vorstandsmitglied der Softwareschmiede SAP in Walldorf. "Man darf kein Sklave des eigenen Blackberrys sein. Führungskräfte müssen selbst entscheiden, wann sie reagieren oder nicht. Dieses Credo gilt auch bei Tchibo. Dort zählt "Respekt vor der Zeit anderer mittlerweile zu den Unternehmenswerten auf ausdrücklichen Wunsch der Führungsriege. "Dazu gehört auch, Kollegen oder Geschäftspartner nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit anzurufen, betont Personalchef Voigt.

Die Sehnsucht nach Ruhe ist weit verbreitet, wie die "Global Business Travel Survey des Reise-Management-Anbieters Carlson Wagonlit Travel unter 650 Travel-Managern und 2100 Geschäftsreisenden aus zwölf Ländern ermittelte. Danach wollen 61 Prozent der Geschäftsreisenden nicht durch Handy-Telefonate in Flugzeugen gestört werden, unter den Europäern sind es sogar 70 Prozent. Nicht nur in der Luft erfüllt der Wunsch, einmal ungestört zu sein, viele Büromenschen. Der Einzug der Push-E-Mails, die jede elektronische Nachricht direkt aufs Handy-Display befördern, fordert den Entscheidern noch mehr Selbstdisziplin ab und mehr Standhaftigkeit. Denn viele bilden sich ein, Lebenswichtiges zu verpassen, sobald das Telefon ausgeschaltet ist. "Manager, die über alles und jedes informiert sein wollen, dürfen sich nicht beklagen, dass ihr Handy dauernd klingelt", sagt Tim Zimmermann, Partner bei Roland Berger Strategy Consultants in München.

Es muss ab und zu auch ohne den Chef gehen

Als Rezept gegen Klingelton-Orgien in Sakkotaschen empfiehlt er, eine neue Telefonkultur zu etablieren. Das Geschäft läuft professionell weiter, wenn Anrufer gelenkt werden. "Wer auf seiner Mailbox ausdrücklich nur in dringenden Fällen um eine Nachricht bittet, erspart sich viele zeitraubende Rückrufe", weiß der Berater aus eigener Erfahrung. Mit der Rufnummernerkennung können Manager zudem schnell beschließen, welche Telefonate sie annehmen wollten und welche nicht. Und wer seinen Gesprächspartnern keine unpersönliche Voice-Mail zumuten will, stellt sein Handy auf die Sekretärin um.

Gut durchorganisiert lässt es sich leichter abschalten das wissen Firmen wie Tchibo. Damit das Geschäft auch läuft, wenn der Chef nicht zu erreichen ist, hat das Unternehmen in jedem Bereich einen Stellvertreter etabliert, der den Kollegen bekannt ist. "Zudem soll das jeweilige Team so organisiert und informiert sein, dass Anfragen auch ohne den Chef beantwortet werden können", erklärt Voigt. Wem solche Rückendeckung seines Betriebs fehlt, der kann auch selber für Ruhe sorgen etwa indem er den Blackberry nach der Arbeit im Auto lässt und ihn erst wieder auf der nächsten Fahrt ins Büro anmacht.

Sonntags am Abend Mails lesen ist in Ordnung

Wer seine E-Mails auch am Wochenende abruft, muss allerdings nicht gleich ein Technikjunkie sein. Im Gegenteil. Mancher Mitarbeiter kann montags erholter in die Woche starten, wenn er sich am Sonntagabend schon mal in Ruhe angesehen hat, was ihn erwartet. Zu diesem Menschentypus gehört Klaus Kobjoll, Chef des Nürnberger Schindlerhofs, allerdings nicht. Der Hotelier wurde in 20 Jahren Berufsleben nur zweimal von seinen Angestellten auf dem Privatanschluss angerufen - "und einmal hatte es gebrannt", erzählt er schmunzelnd. Der für Mitarbeiterführung vielfach ausgezeichnete Unternehmer sagt: "Ich habe gelernt loszulassen, das Unternehmen führt sich selber." Für ihn gibt es nur zwei Gründe, ein Handy zu haben: "Wenn man Notarzt ist oder frisch verliebt."

(hk)