Raues Klima im Internet

Ausgefahrene Ellenbogen

01.12.2004
Von Lars Reppesgaard

Geschäftskultur-Schock

Beim Aufeinanderprallen des renommierten Verlages und des Internet- Unternehmens ging es aber nicht nur um Prozentpunkte, wie bei dem klassischen Konflikt zwischen einem Hersteller und einem wichtigen Großkunden. Diogenes kommt aus einer Branche, die sich als Wahrer eines Kulturgutes versteht und in der das kooperative Miteinander von Verlagen, Großhändlern und Buchhandlungen lange die Zusammenarbeit bestimmte. Vor diesem Hintergrund hält Thorsten Wichmann, Geschäftsführer der Berlecon Research GmbH in Berlin, den Streit zwischen Diogenes und Amazon auch für ein Aufeinanderprallen von Geschäftskulturen. Andere Unternehmen, die beispielsweise Digitalkameras herstellen, seien erfahrener bei Verhandlungen mit hemdsärmeligen Großhändlern, denn auch mit den stationären Discountern müssen sie um jedes Komma hinter dem Cent feilschen.

Das Fazit der Handelsexperten: Wer über die großen Plattformen wie Amazon oder Ebay handeln will, muss sich vergegenwärtigen, dass die nach ihren eigenen Regeln arbeiten und nicht nach denen, die für Weiterverkäufer aus der Branche üblich sind. „Zwar hatte Diogenes im Vergleich zu einem Hersteller von CD-ROMs oder einem Anbieter von Digitalkameras eine verhältnismäßig gute Position, um über Konditionen zu verhandeln“, sagt Michel Clement. Während es beim Abverkauf für die Kunden praktisch egal sei, welche Marke einer Leer-CD oder Digitalkamera im Angebot ist, seien Paul Coelho oder Donna Leon in einem Büchersortiment nicht zu ersetzen.

Doch kein anderer Verlag ist dem Beispiel der Züricher gefolgt, die Branche hat nicht vereint Amazons Konditionen auf den Prüfstand gestellt. Und wenn sie allein kämpfen, ziehen selbst große Markenhersteller wie Ferrero laut Clement beim Streit um die Rabatte der Großabnehmer in der Regel den Kürzeren. Er warnt deshalb Mittelständler einerseits davor, einem einzigen Online-Absatzkanal blind zu vertrauen, auch wenn sich derzeit für viele Anbieter das Geschäft über den Ebay-Shop oder das Listing bei Amazon besonders dynamisch entwickelt. Andererseits müssten die ausgefahrenen Ellenbogen der Online- Riesen in die Kalkulation miteinbezogen werden, denn Sinn mache es trotzdem, die neuen Absatzkanäle zu nutzen. „Amazon und Ebay sind starke Marken, die viele Leute anziehen. Dort gewinnt man derzeit Kunden und nicht als unbekannter Online-Händler.“