Aus zehn mach eins

09.02.2012
Wie die Finanz Informatik fast alle Sparkassen auf ein gemeinsames Kernbanksystem eingeschworen hat - ein Drama in vier Akten.

Die Aufstellung der IT im Unternehmen zu vereinfachen ist immer eine Herausforderung. Aus Fridolin Neumann spricht langjährige Erfahrung. Der Mann, der die Geschäfte der Finanz Informatik (FI) verantwortet, ist diesen steinigen Weg gegangen. Er erlebte aktiv mit, wie aus mehreren regionalen IT-Dienstleis-tern der Sparkassen und Landesbanken eine gemeinsame Serviceorganisation entstand und wie die heterogene Anwendungslandschaft der Sparkassen mit urprünglich zehn Kernanwendungen peu à peu in ein einheitliches System für Buchung, Kontokorrent und Sparen überführt wurde.

Dieses Unterfangen zog sich über insgesamt neun Jahre hin. Im Juli 2011 meldete die FI Vollzug: Mit Sparkasse Nummer 428 hatte das vorletzte Institut die Einführung des "One System Plus", kurz OSPlus, hinter sich gebracht. Damit war das Mammutprojekt abgeschlossen.

Und was ist mit Nummer 429? "Die Hamburger Sparkasse hat sich für einen anderen IT-Anbieter entschieden", lautet Neumanns Antwort. Die Haspa wählte zumindest in Teilen eine Lösung der SAP AG, weil sie dort ihrer Einschätzung nach einen größeren Funktionsumfang vorfand.

Dies war eine Entscheidung, die jedes einzelne Institut nach seinen eigenen wirtschaftlichen Erwägungen zu treffen hatte, wie Neumann bestätigt. Einen Fraktionszwang im engen Sinn habe es nicht gegeben. Allerdings macht der FI-Geschäftsführer kein Hehl daraus, dass er eine von der Finanz Informatik betriebene Einheitslösung für wirtschaftlich vorteilhafter hält. Zumal das "Plus" im Produktnamen auch noch signalisiere, dass etwaige Vorteile der abgelösten Regionalsysteme in die neuen Anwendungen eingeflossen seien.

1. Akt: Wie alles anfing

Die Anfänge von OSPlus gehen auf die späten 90er Jahre zurück, als sich die Sparkassen-Organisation mehrere unterschiedliche IT-Dienstleister hielt, die jeweils eigene Anwendungssysteme betrieben. Wie es damals gang und gäbe war, handelte es sich bei diesen Systemen um funktionale "Silos" mit den üblichen Redundanzen und Inkonsistenzen. Dass die Vielfalt und die Bauart der Systeme unter dem Strich ineffizient war, offenbarte sich besonders deutlich angesichts der Jahr-2000-Umstellung, in deren Rahmen alle Systeme auf die vierstellige Erfassung der Jahreszahlen hin analysiert werden mussten.

2. Akt: Die vier Pioniere

Damit war der Weg bereitet. Es gab plötzlich einen breiten Konsens für ein Projekt, das vordergründig weder mehr Umsatz noch mehr Rentabilität versprach: die Entwicklung einer einheitlichen Buchungsplattform als Basis der Anwendungen. "Normalerweise wenden die Finanzdienstleister ihre IT-Budgets vorzugsweise für Systeme auf, die im Front Office genutzt werden, und nicht für solche, die - wenn man so will - ihre Arbeit im Keller verrichten", erläutert Neumann. Doch in diesem Fall sei eine strategische Entscheidung für das "Kellersys-tem" getroffen worden.

Im Rahmen des Sparkassen-Informatik-Zentrums (SIZ), dem die regionalen IT-Dienstleister angehörten, war schon zu Beginn der 90er Jahre über dieses Thema gesprochen worden. Um die Jahrtausendwende war die Zeit dann offenbar reif für "Nägel mit Köpfen", wie Neumann sagt. Zumindest vier der regionalen IT-Dienstleis-ter - aus Bayern, Rheinland/Rheinland-Pfalz, Hessen/Westfalen-Lippe und Baden-Württemberg - sagten ihre Beteiligung an der Entwicklung zu.

1998 fiel der Startschuss für "S-Buchen", eine Online- und Realtime-fähige Buchungsplattform. Sie bis Ende 1999 vollständig umsetzen zu wollen war allerdings reine Utopie. Fertiggestellt wurde sie denn auch erst 2002. Sie bildete quasi die Keimzelle, aus der schrittweise das heutige OSPlus entstand. Dem gemeinsamen Buchungssystem folgten nach und nach Applikationen für Kontokorrent und Sparen.

3. Akt: Auftritt Finanz Informatik

Ein Jahr zuvor, also 2001, hatten sich drei der vier beteiligten IT-Dienstleister zur Sparkassen Informatik zusammengeschlossen. Wie so häufig, gingen die Bayern zunächst einen Sonderweg. Doch 2006 stieß die Serviceorganisation im Freistaat schließlich - im Rahmen einer weiteren Fusion - doch noch dazu.

Es wäre allerdings nicht ganz korrekt, die Entstehung der Sparkassen Informatik allein auf die Entwicklung eines gemeinsamen Systems zurückzuführen, räumt Neumann ein. Doch habe die technische Vereinheitlichung den Boden für die organisatorische bereitet.

Diese Fusion hatte offenbar beispielgebenden Charakter. Nach und nach schlossen sich die internen IT-Dienstleister der Sparkassenorganisation zu einer einheitlichen IT-Service-Organisation mit mehr als 5000 Mitarbeitern zusammen. Doch erst 2008 war dieser Prozess beendet. Den letzten Akt bildete die Eheschließung zwischen der Finanz IT mit Sitz in Hannover und der Sparkassen Informatik in Frankfurt am Main. Die beiden Serviceknotenpunkte fusionierten zu einem zentralen Dienstleister, der Finanz Informatik

4. Akt: Wie sich OSPlus durchsetzte

Auch die Durchdringung mit dem Gemeinschaftssystem OSPlus schritt langsam, aber stetig fort, bis im Sommer 2011die Migration der letzten Serie von Sparkassen abgeschlossen war. Je länger das Projekt dauerte, desto leichter fiel der FI die Umstellung: "Wir waren mittlerweile in der Lage, die Einführung in neun Monaten über die Bühne zu bringen - in exakt getakteten Phasen", berichtet Neumann stolz.

Dass nur eine einzige Sparkasse nicht auf den OSPlus-Zug aufspringen wollte, begründet der FI-Chef aber nicht nur mit dem hauseigenen Implementierungs-Know-how. Vielmehr habe das System im Vergleich zu Lösungen vom Markt den Vorteil, dass Banken- und Finanz-Know-how eingeflossen sei, über das die FI als spezialisierter IT-Dienstleister "in hohem Maße" verfüge.

Epilog: Landesbanken ziehen mit

Inzwischen haben sich auch schon vier Landesbanken für OSPlus entschieden. Noch 2011 nahmen die Landesbank Berlin, die Bremer Landesbank, die Nord LB und die Saar LB das System in Betrieb. Ob und wann sich die anderen Landesbanken anschließen, vermag Neumann noch nicht zu sagen.

Aber auch so haben sich die Entwicklungskosten für OSPlus längst ausgezahlt, beteuert der FI-Geschäftsführer. Der Inves-tition von einer runden Milliarde Euro ständen seit 2011 addierte Synergien in Höhe von 1,5 Milliarden Euro gegenüber. Begründen lasse sich das vor allem mit dem Wegfall des hohen Pflege- und Wartungsaufwands für unterschiedliche IT-Systeme, aber auch durch die Bündelung der Einkaufsvolumina. Im Laufe dieses und der kommenden Jahre erwartet Neumann zusätzliche Einsparungen von jeweils 200 Millionen Euro.

von Karin Quack

Die Finanz Informatik in Kürze

• Die Finanz Informatik ist der zentrale IT-Dienstleister der Sparkassen-Organisa-tion, zu der die Landesbanken sowie Bausparkassen, Versicherungen und weitere Unternehmen gehören.

• Entstanden ist die Finanz Informatik in mehreren Fusionswellen. In den 90er Jahren gab es noch eine Reihe von regionalen IT-Dienstleistern. 2008 verschmolzen die Sparkassen Informatik und die Finanz IT, die beiden letzten Organisationen, zum zentralen IT-Dienstleister FI.

• Eigenen Angaben zufolge übernimmt die Finanz Informatik den Service für knapp 130 Millionen Konten. Inklusive mehrerer Tochterunternehmen beschäftigt sie rund 5170 Mitarbeiter in Vollzeitstellen.

• Das gesamte IT-Budget in der Sparkassen-Organisation beträgt schätzungsweise drei Milliarden Euro. Davon sicherte sich die Finanz Informatik im vergangenen Jahr 1,47 Milliarden Euro.

• Dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Fridolin Neumann, zufoge entfallen auf die Finanz Informatik heute 55 Prozent der gesamten IT-Kosten der Sparkassen. Ziel sei es, die Leistungen der Finanz Informatik für die Institute in den kommenden Jahren kontinuierlich auszubauen.

• Neumann hofft, dass der Anteil der Finanz Informatik mittelfristig auf 65 bis 70 Prozent steigt. Etwa zehn bis 15 Prozent der Gesamtleistung seien allerdings auch langfristig nicht zentralisierbar.

Was die Finanz Informatik aus dem Vorhaben gelernt hat

• Die Einführung einer einheitlichen IT-Lösung bei 428 Sparkassen mit 130 Millionen umgestellten Konten, 200.000 Arbeitsplätzen und 55.000 Selbstbedienungsgeräten erwies sich als ein Mammutvorhaben.

• Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren ist die Standardisierung: Sehr schnell wurde klar, dass sich die Einführung von Softwareapplikationen bei einer so hohen Anzahl an selbständigen Instituten nur mittels gut eingespielter Abläufe bewältigen lässt.

• Insbesondere in den Anfangsjahren und mit der Migration der Pilotsparkassen wurden Erfahrungen gesammelt, die später den Instituten in allen Regionen zu- gutekamen. Die in einer Serie übergeleiteten Institute konnten zwischenzeitlich auf bis zu 20 Sparkassen gleichzeitig gesteigert und die Einführungskosten pro Institut signifikant gesenkt werden.

• Gleichzeitig mit der Einführung von OSPlus standen in den Instituten selbst wichtige Entscheidungen an, zum Beispiel darüber, welche Anwendungen beibehalten werden sollten. Hier galt es, zu lernen, wie man alte Zöpfe abschneidet.

• Die Finanz Informatik und das jeweilige Institut überlegten gemeinsam, welche Anwendungen abgeschaltet werden konnten beziehungsweise welche nach wie vor gebraucht wurden. Dadurch wurde nicht nur die Umstellung selbst vereinfacht. Es ließ sich auch langfristiger, aus weniger Pflege- und Wartungsaufwand resultierender Mehrwert generieren.

• Last, but not least galt es, bei der Umstellung auf ein neues IT-System die Mitarbeiter auf beiden Seiten frühzeitig einzubinden und mitzunehmen. Schließlich war dies für die meisten Institute das größte interne Projekt der vergangenen Jahre. Die Finanz Informatik stellte ihnen deshalb frühzeitig Anwendungen und Tools (beispielsweise die E-Learning-Plattform OSPlus Campus) zur Verfügung.