Warum Konzernchef Kai-Uwe Ricke seinen Konzern umbaut

Aus vier Telekom-Säulen werden drei

02.07.2004
Gut eineinhalb Jahre nach seinem Amtsantritt als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG beginnt Kai Uwe Ricke mit den eigentlichen Aufräumarbeiten. Aus dem Bonner Carrier soll endlich ein integrierter Technologiekonzern werden. Im Fokus stehen das Breitbandgeschäft und die Firmenkunden.

Böse Zungen behaupten, der Unterschied zwischen Kai Uwe Ricke und Ron Sommer lasse sich schon daran festmachen, dass es der amtierende Telekom-Frontmann bisher geschafft habe, die Hauptversammlungen des Konzerns ohne gellende Pfiffe und Buhrufe der Aktionäre zu überstehen. In der Tat steht Ricke vergleichsweise hoch in der Gunst der Anteilseigner, hat er doch seit November 2002 eigentlich alles richtig gemacht: den Vorstand umgebaut, den Schuldenabbau in die Wege geleitet, das operative Geschäft stabilisiert, die Bilanz durch die Einmalabschreibung der teuren Voicestream-Übernahme bereinigt - und, was nicht ganz unwichtig sein dürfte, auch die Talfahrt der T-Aktie gestoppt. Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, soll 2005 auch wieder eine Dividende gezahlt werden.

Mangelnde Effizienz ist das Hauptproblem

Insofern könnte bei der Telekom eigentlich alles in Butter sein. Ist es aber nicht, denn ein wesentliches Problem schleppen die Bonner nach wie vor mit sich herum: mangelnde Effizienz, die aus großen Reibungsverlusten zwischen den einzelnen Konzernsparten resultiert. Ricke hatte es auf der jüngsten Hauptversammlung Mitte Mai noch so formuliert: "Wir kennen die Felder, auf denen wir Wachstum und Profitabilität steigern können. Diese liegen vor allem in der übergreifenden Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Divisionen. Wir werden daher das eine tun, ohne das andere zu lassen: Verantwortlichkeit in den Divisionen verbinden wir mit konzernweiter Zusammenarbeit. Denn unsere Stärke liegt darin, dass wir ein integrierter Konzern sind."

Was sich hinter diesen bedeutungsschwangeren Worten verbirgt, wurde vergangene Woche deutlich. Laut "Handelsblatt" hat der Telekom-Chef da in einem Schreiben an seine Führungskräfte unmissverständlich klar gemacht, wie er den Konzern ab dem kommenden Jahr strategisch neu aufstellen möchte. Demnach ist die bisherige Aufteilung in die vier Konzernsparten T-Com (Festnetz), T-Mobile (Mobilfunk), T-Systems (IT-Services) und T-Online (Internet) Makulatur. Statt dieser vier Einheiten soll es nur noch drei Konzernsäulen geben, die jeweils in der Verantwortung eines Vorstands liegen: die Business Unit Geschäftskunden, der T-Systems und die neue Vertriebsorganisation "Flächenvertrieb" zugeordnet sind, die Sparte Breitband/Festnetz, die sich künftig aus T-Com und T-Online zusammensetzt, sowie das Mobilfunkgeschäft, das unverändert von T-Mobile betreut wird (siehe Grafik "Wie der Telekom-Konzern 2005 aussehen soll"). Diese Aufstellung orientiert sich an den neu definierten Wachstumsfeldern Geschäftskunden, Breitband und mobile Kommunikation. Zudem werde man die Zahl der Vorstandsmitglieder von derzeit sieben auf sechs Personen reduzieren.

Zog Ricke die Notbremse?

Insidern zufolge zog Ricke damit die Notbremse bei einem Prozess, der drohte, ihm vollends aus den Händen zu gleiten. Die bisherigen Konzernsäulen agieren unkoordiniert; es gibt Eifersüchteleien und Grabenkämpfe zwischen einzelnen Bereichsvorständen, und - schlimmer noch - es kommt bis zum heutigen Tag zu Synergieverlusten und damit zu Beeinträchtigungen im operativen Geschäft. Als exemplarisch für diese Misere gilt seit längerem der Konkurrenzkampf zwischen den Sparten T-Com und T-Online, wo sich der Ende April in Folge des Maut-Desasters geschasste T-Com-Vorstand Josef Brauner und T-Online-Vorstandschef Thomas Holtrop immer wieder um Kompetenzen und Vermarktungsstrategien stritten. Während aus Brauners Sicht die Internet-Tochter des Konzerns längst nur noch der verlängerte Vertriebsarm von T-Com war, hält T-Online-Chef Holtrop unverändert an der Vision vom integrierten Medienhaus fest. Tatsache ist, dass die mächtige Festnetzsparte, die immer noch den mit Abstand größten Anteil zum Konzernumsatz beisteuert, dem eigenen Online-Ableger die technischen Vorleistungen für alle ISDN- und vor allem die breitbandigen T-DSL-Anschlüsse liefert, ohne die der selbsternannte Internet-Dienstleister heute im Markt ziemlich alt aussehen würde.

Doch das ursprünglich fein ausgedachte Zusammenspiel beider Konzernsäulen funktioniert längst nicht mehr so gut wie in den Jahren zuvor. Beide Sparten kamen sich zuletzt in ihren Werbeauftritten immer häufiger ins Gehege, zudem ist der Markt für Vielsurfer, die einen breitbandigen Internet-Anschluss benötigen, inzwischen hart umkämpft. Glaubt man der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP), nutzten Ende 2003 bereits 700000 der rund vier Millionen T-DSL-Kunden einen anderen Internet-Provider als T-Online. Die Situation dürfte sich für die Internet-Tochter der Telekom, die sich im Geschäft mit Online-Werbung und sonstigen Internet-Diensten nach wie vor schwer tut, eher noch verschlimmern. Wettbewerber wie Freenet und Arcor, die bisher als Wiederverkäufer von T-DSL-Anschlüssen im Markt auftreten mussten, können seit Juli die von der Telekom angemieteten DSL-Anschlüsse auch unter eigenem Label vermarkten.

Insofern wundert es kaum, dass sich die seit Monaten kursierenden Spekulationen über eine Reintegration von T-Online in den Konzern und ein Delisting von der Börse verdichten. Erst recht, nachdem France Télécom mit seiner Internet-Tochter Wanadoo diesen Schritt bereits vollzogen hat. Den Traum vom virtuellen Medienhaus hat man in Paris längst ausgeträumt, während Bonn noch die Augen davor verschließt, dass immer noch mehr als 80 Prozent der Umsätze von T-Online aus den genannten Angeboten kommen, die T-Com technisch bereitstellt, heißt es in der Branche.

Glaubt man Telekom-nahen Quellen, ist die Liquidierung von T-Online als formal eigenständige Aktiengesellschaft zunächst nur am Veto von Telekom-Finanzchef Karl-Gerhard Eick gescheitert. Der oberste Kassenwart scheute die hohen Rückkaufkosten, die auf mindestens drei Milliarden Euro geschätzt werden. Schließlich hält die Telekom nur 73,94 Prozent an T-Online; 5,69 Prozent der Anteile liegen beim französischen Mischkonzern Lagardère, der Rest befindet sich in Streubesitz.

Ricke selbst hat sich hierzu bisher mit Äußerungen bedeckt gehalten und betont, dass es "derzeit keine konkreten Pläne" gibt. Auch ein Telekom-Sprecher bekräftigte gegenüber der CW, dass ein Rückkauf von T-Online "nicht diskutiert wurde". Bestätigt werden in der Bonner Konzernzentrale die anderen intern angekündigten Maßnahmen, auch wenn noch nicht definitiv klar sei, "welche Konsequenzen sich aus dieser Ausrichtung ergeben". Fest steht zum Beispiel, dass künftig kleinere Firmen, die der Telekom einen Jahresumsatz von weniger als 10000 Euro einbringen, bei T-Com bleiben, während sich T-Systems wie bisher um die rund 60 Key-Accounts, also die großen Unternehmenskunden, kümmert. Der Rest von rund 200000 vorwiegend mittelständischen Kunden wird der neuen Sparte "Flächenvertriebe" zugeordnet, in der sowohl T-Com- als auch T-Systems-Spezialisten arbeiten werden.

Spekulationen um Konrad Reiss

Zudem will die Bonner Gerüchteküche wissen, dass T-Systems-Chef Konrad Reiss der kommende starke Mann hinter Konzernboss Ricke werden und die neu kombinierte Sparte Geschäftskunden leiten soll. Thomas Holtrop seinerseits soll Interesse an der nach dem Ausscheiden Brauners vakanten Position des Festnetzvorstandes bekundet haben und könnte, so die Spekulationen, mit dem neu zugeschnittenen Verantwortungsbereich für das gesamte Breitbandgeschäft seinen Stuhl retten, den er im Falle eines Rückkaufes von T-Online verlieren würde. Neben Holtrop werden aber auch die sonst üblichen Verdächtigen der Branche gehandelt: Arcor-Chef Harald Stöber, der Vorstandsvorsitzende des französischen Mobilfunkbetreibers Cegetel Frank Esser und Siemens-Manager Thomas Ganswindt.

Ricke zunehmend in der Kritik

Doch jenseits der Personalkarussells bei der Besetzung des neuen Vorstandes gerät auch der Konzernchef selbst zunehmend ins Fadenkreuz der Kritik. Ricke habe zu lange die Vier-Säulen-Strategie seines Vorgängers Sommer mitgetragen, monieren viele Experten. Überdies seien Manager wie T-Mobile-Chef René Obermann und Thomas Holtrop zusätzlich in den Konzernvorstand berufen worden; gleichzeitig wurde aber deren Vergütung noch stärker vom Ergebnis ihrer jeweiligen Bereiche abhängig gemacht. Interner Wettbewerb sollte Teamgeist und Integrität nicht ausschließen - mit dem bekannten Ergebnis. Liefen die Dinge dann aus dem Ruder, griff der Konzernchef höchstpersönlich ein, etwa beim strittigen Thema WLANs, als er T-Com und T-Mobile dazu verdonnerte, die derzeit bei der Kundschaft gefragten Hotspots gemeinsam zu vermarkten.

Erst vor wenigen Monaten begann Ricke zurückzurudern, sprach erstmals davon, dass die vier Konzerndivisionen "eine effiziente Organisationsform, aber keine Strategie sind". Kurz vor der Hauptversammlung formulierte der Telekom-Frontmann dann eine von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene "Agenda 2004", in der unter anderem von Defiziten in puncto Effizienz, Qualität und Vertrieb die Rede ist.

Dennoch könnten in Zukunft weitergehende Veränderungen vorgenommen werden. Heinrich Berger, Principal Communication & High Tech Practice bei der A.T. Kearney GmbH, vertritt die Auffassung, dass der Schritt in die richtige Richtung geht. International, so der Experte, sieht er aber "Modelle, die noch stärker in Richtung Kundenorientierung mit der vertikalen Aufteilung in die Sparten Privatkunden, Geschäftskunden und internationale Großkonzerne ausgerichtet sind". Der wesentliche Treiber ist die Suche nach Umsatzwachstum in Festnetz und Mobilfunk. Die anstehende Konvergenz der Netztypen und die Suche nach zusätzlichen Geschäftsmöglichkeiten auf beiden Feldern wird auch weiterhin die Agenda der Deutschen Telekom und der Wettbewerber bestimmen.

Peter Gruber, pgruber@computerwoche.de

Gerhard Holzwart, gholzwart@computerwoche.de

Tohuwabohu im Vertrieb

Mit der Neustrukturierung des Konzerns soll offensichtlich das abgestellt werden, was im Telekom-Vertrieb wie eh und je an der Tagesordnung ist: ein Tohuwabohu in der Schnittstelle zum Kunden. Immer noch kooperieren die Vertriebsmannschaften von T-Systems und T-Com kaum, das geforderte "Cross-Selling" findet nicht statt. So bemühen sich, wie längst auch Telekom-interne Kritiker monieren, die T-Com-Mitarbeiter nicht entschieden genug um Serviceaufträge für die Konzernschwester, während es umgekehrt die Consultants von T-Systems beispielsweise nicht interessiert, wenn ein Mittelständler seinen DSL-Zugang von Arcor betreuen lässt.

Inwieweit dieses Strukturproblem, das auch viel mit der Mentalität und den jahrelang eingeschliffenen Denkmustern zahlreicher Telekom-Mitarbeiter zu tun hat, durch die neue Aufstellung des Konzerns gelöst werden kann, bleibt indes abzuwarten. Kenner der Szene spotten bereits von "fünf Säulen", die sich neben dem Mobilfunkgeschäft aus der Kombination von T-Systems und dem neuen Flächenvertrieb sowie der Bündelung von T-Com und T-Online ergeben - und mit denen Telekom-Chef Ricke die internen Abgrenzungsprobleme eher noch verschärfen wird.

Abb: Wie der Telekom-Konzern 2005 aussehen soll

Mit Ausnahme der Mobilfunksparte soll bei der Deutschen Telekom kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Quelle: Deutsche Telekom/CW