IT-Arbeitsmarkt/In Europas Hightech-Industrie wird mehr denn je Leistung honoriert

Aus für pauschale Gehaltserhöhungen

12.07.2002
Der Traum vom schnellen Reichtum durch Aktienoptionen ist ausgeträumt, und auch Bonuszahlungen fließen nicht mehr so üppig wie in den Vorjahren. Bei Gehaltserhöhungen ist nun ebenfalls Bescheidenheit angesagt. Für viele Beschäftigte fallen sie sogar ganz weg. Von Jochen May*

Nachdem sich die Spekulationen auf ein nicht endendes Wachstum im letzten Jahr in Luft aufgelöst hatten, verschoben viele Unternehmen zunächst ihre Gehaltsrunden. Neben dem unmittelbaren Einspareffekt, den man sich davon versprach, war damit die Hoffnung auf eine baldige geschäftliche Wiederbelebung verbunden. Als jedoch absehbar war, dass ein Aufschwung der europäischen IuK-Industrie auch zum neuen Jahr erst einmal ausblieb, wurden die Erhöhungsbudgets für die anstehenden Gehaltsrunden drastisch gekürzt oder gleich ganz gestrichen.

So froren rund 20 Prozent der europäischen Hightech-Unternehmen im ersten Halbjahr 2002 ihre Gehälter ein. Weitere 20 Prozent der Betriebe zögern noch mit Erhöhungen. In den restlichen Unternehmen sind diese durchschnittlich um bis zu zwei Prozent und damit noch einmal deutlich geringer ausgefallen als im Vorjahr. 2001 zählte im Vergleich mit den früheren Jahren des Booms auch schon nicht mehr zu den "goldenen".

Wo früher tariflich ausgehandelte Lohnzuwächse von der Hightech-Industrie deutlich übertroffen wurden, können deren Beschäftigte heute von Glück sagen, wenn sie nicht hinter dieser festgeschriebenen Steigerung zurückbleiben. Mit einem Budget für Lohnerhöhungen von durchschnittlich 3,5 Prozent liegt zum Beispiel Deutschlands IuK-Industrie noch unterhalb des jüngsten Abschlusses in der Metallindustrie.

International tätige Unternehmen differenzieren ihre Budgets dabei meist nach Ländern. Der Trend nach unten ist jedoch europaweit gleich, und auch zum Beispiel Irland, wo Unternehmen bisher mit üppigen Zulagen glänzten, verzeichnet mit nur fünf Prozent Erhöhung für das Jahr 2002 deutliche Abschläge. Im Vorjahr waren es durchschnittlich noch neun Prozent bei einer Inflation von vier Prozent.

Das Schlusslicht bei Gehaltserhöhungen unter den westeuropäischen Industrieländern bildet die Schweiz: Hier haben die Beschäftigten der IuK-Industrie für das laufende Jahr 2002 durchschnittlich Gehaltserhöhungen von nur zwei Prozent zu erwarten, allerdings bei Verdiensten, die um 50 Prozent und mehr über dem europäischen Durchschnittsniveau liegen. In den meisten anderen europäischen Ländern bewegen sich die Prozentsätze für Gehaltserhöhungen innerhalb der Branche zwischen drei und vier Prozent.

Doch selbst diese Zahlen täuschen: Während früher die Beschäftigten sicher mit einer jährlichen Gehaltsüberprüfung rechnen konnten, müssen sie zurzeit in vielen Fällen 15 oder mehr Monate warten, bevor die nächste Erhöhung ins Haus steht. Auf ein Jahr bezogen, fallen die Erhöhungen somit noch geringer aus, als es die reinen Prozentzahlen nahe legen.

Eine offensichtliche Konsequenz der knapper gewordenen Budgets ist die Differenzierung. Während in früheren Gehaltsrunden in der Regel alle Beschäftigten mit einem Sockelbetrag bedacht wurden, lassen reduzierte Budgets dieses Verfahren nicht mehr zu. Die wichtigsten Leistungsträger und Spezialisten mit ihren raren, wertvollen Kenntnissen und Fähigkeiten sind nach wie vor gefragte Mitarbeiter auch bei der Konkurrenz - und müssen mit angemessenen Gehaltserhöhungen von einem Wechsel abgehalten werden.

Nur Topmanager bekommen mehr

Unternehmen neigen daher verstärkt dazu, Gehaltserhöhungen gezielt auf ihre erfolgreichsten Fachkräfte und Manager zu konzentrieren. Die breite Masse der Beschäftigten muss mit dem Rest vorlieb nehmen. Im Extremfall wird das gesamte Budget auf nur 20 Prozent aller Beschäftigten verteilt.

Eine weitere Konsequenz der knapperen Ressourcen, die auf den ersten Blick nicht zu passen scheint: Es werden wieder Beförderungen ausgesprochen. Nachdem sich Unternehmen in der Krise diesbezüglich eher zurückgehalten haben, gibt es die Hierarchiesprünge und schmückenderen Titel jetzt wieder - aber immer öfter ohne den traditionell bislang damit verbundenen finanziellen Zuschlag. Eine neue Position drückt sich nicht automatisch in einem höheren Gehalt aus. Derzeit ist nicht abzusehen, ob sich aus diesem Verhalten ein regelrechter Trend entwickelt.

Gehaltsniveau in der IT sinkt

Wenn allerdings der Aufstieg ohne Gehaltszuwachs in größerem Umfang üblich werden sollte, würde das mittelfristig zu sinkenden Einkommen auf einer gegebenen Kompetenzstufe führen. Ein interessantes Szenario für die Zukunft: Neu ins Unternehmen eintretende Mitarbeiter würden entsprechend dem geringeren Vergütungslevel entlohnt. Die heutigen Beschäftigten sähen sich mittelfristig am oberen Rand des typischen Gehaltsniveaus ihrer Kompetenzstufe und müssten deshalb mit geringeren Zuwächsen in der Zukunft rechnen. Obwohl keiner der Beteiligten tatsächliche Einkommensseinbußen hinnehmen müsste, würde das Vergütungsniveau im IT-Sektor tendenziell zurückgehen - wobei dieser Effekt von künftigen Gehaltserhöhungsrunden überlagert und sich deshalb teilweise im Verborgenen abspielen würde.

Die umrissenen Trends spiegeln die gesamteuropäische Entwicklung, sind aber in einzelnen Unternehmen und Ländern unterschiedlich ausgeprägt. So stehen Firmen wirtschaftlich unterschiedlich da. Ihre Gehaltserhöhungen können erheblich über oder unter den genannten Prozentsätzen liegen. Teilweise variieren sie auch je nach Erfolg einer Geschäftseinheit innerhalb ein- und desselben Unternehmens.

Darüber hinaus spielt die Unternehmenskultur eine Rolle. Angelsächsisch geprägten Betrieben fällt die leistungsbasierende Gehaltsdifferenzierung meist leichter als klassischen europäischen Firmen.

Und schließlich gilt es, kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen. Deutsche und britische Spezialisten gehören im Europa-Vergleich zu den überdurchschnittlich bezahlten Arbeitnehmern. Doch während ein hoch qualifizierter, erfahrener IT-Spezialist in Deutschland auf seinem Karrierehöhepunkt in der Regel doppelt so viel verdient wie bei seinem Berufseinstieg, bringt es sein britischer Kollege auf fast das Dreifache. Aus einem geringeren Einstiegsgehalt des Briten wird im Lauf des Berufslebens ein höheres Endgehalt als bei seinem deutschen Kollegen. (hk)

*Jochen May berät als Senior Consultant bei Towers Perrin europäische Unternehmen zu allen Fragen der Vergütung von Fach- und Führungskräften.

Angeklickt

Trotz Euro unterscheiden sich die Gehälter von Land zu Land weiterhin kräftig. Ein irischer IT-Spezialist kann prozentual zwar mit einer überdurchschnittlichen Erhöhung rechnen, verdient danach aber immer noch nur wenig mehr als die Hälfte seines Schweizer Pendants. Der Kollege aus Portugal - dem Schlusslicht bei der absoluten Höhe der Vergütung - bringt gar nur ein Drittel so viel nach Hause wie der Schweizer.

Towers Perrin

Das Unternehmen zählt zu den weltweit größten und führenden Management-Unternehmensberatungen. Die 1934 gegründete Firma verfolgt einen integrierten Beratungsansatz im Bereich des Personal-Managements. Die Consulter unterstützen ihre Kunden - zu denen Unternehmen aller Wirtschaftsbereiche sowie staatliche Organisationen zählen - bei der Ausrichtung von Personalstrategie, Vergütung und betrieblicher Altersversorgung. Derzeit beschäftigt Towers Perrin mehr als 9000 Mitarbeiter und unterhält 80 Büros in 23 Ländern. In Deutschland ist die Beratungsgesellschaft seit mehr als 30 Jahren vertreten, derzeit mit insgesamt 150 Mitarbeitern in Frankfurt am Main und Köln.

Abb.1: Schweizer IT-Spezialisten verdienen am besten

Vom europäischen Durchschnitt abweichende Gesamtbarvergütung innerhalb der IuK-Industrie. Quelle: Tower Perrin

Abb.2: Keine guten Aussichten

Das Budget für Gehaltserhöhungen ist prozentual am stärksten in der Schweiz und in Großbritannien gegenüber dem Vorjahr gesunken. Quelle: Tower Perrin