Bei Ricardo.de ermittelt der Staatsanwalt wegen Betrugsverdacht

Auktionsanbieter gerät ins Kreuzfeuer der Kritik

25.02.2000
MÜNCHEN (jm/wt) - Zwei Kunden haben die Ricardo.de AG wegen Betrugs verklagt. Der Vorwurf: Das Unternehmen versteigert Waren, die es nicht liefern kann. Die Vorfälle könnten das lukrative Business-Geschäft gefährden. Hier schwinden die Marktanteile unabhängiger Online-Auktionsanbieter ohnehin.

Zunächst hatte nur ein Kunde gegen Ricardo Strafanzeige erhoben. Wie Firmensprecher Matthias Quaritsch gegenüber der COMPUTERWOCHE sagte, stellte Anfang letzter Woche ein weiterer Auktionsteilnehmer Strafanzeige wegen Betrugsverdachts. Beide hatten den Zuschlag für Waren erhalten, die dann nicht geliefert werden konnten.

Quaritsch legte sich wie zuvor schon der Vorstandsvorsitzende Christoph Linkwitz auf die Verteidigungslinie fest, die Lieferprobleme seien vor allem auf den Wechsel des Lageristen und Logistikpartners zurückzuführen. Bislang hatte Ricardo die Lagerhaltung für seine im Internet zu versteigernden Produkte durch die Hamburger Firma Hellmann erledigen lassen. Für die Auslieferung zum Auktionskunden kooperierte man mit dem Deutschen Paket Dienst (DPD). Jetzt erledigt die Otto-Versand-Tochter Hermes sowohl Lagerhaltung als auch Auslieferung.

"Unser Problem besteht darin, dass wir alle unsere Produkte aus dem Hamburger Lager in das von Hermes bringen müssen", sagte Quaritsch. Dieses befindet sich in Löhne in der Nähe von Osnabrück. Der Umzug sei nun größtenteils abgeschlossen. Hermes unterhält eine komplett computergesteuerte Lagerhaltung, ein Vorteil, den Hellmann nicht bieten konnte: "Da war nur alle drei Monate eine Inventur möglich. Wir wussten also teilweise nicht genau, wie viele Produkte am Lager sind", sagte Quaritsch weiter.

Der Sprecher räumte ein, dass zum einen noch nicht alle Produkte aus Hamburg im Hermes-Lager eingetroffen seien. Zum anderen würden die Waren jetzt erst noch in der Hermes-Datenbank erfasst. Zudem müsse noch die Softwareanbindung der Datenbanken von Ricardo und Hermes bewältigt werden. "All das geht nicht von heute auf morgen."

Laut Quaritsch war ein Parallelbetrieb der beiden Lager und Auslieferungssysteme technisch nicht machbar. Ein solcher Schritt sei auch nicht sinnvoll, da 80 bis 90 Prozent aller Produkte, die Ricardo im Internet versteigere und nun an seine Kunden senden müsse, innerhalb von einer Woche, ausgeliefert würden. Lediglich beim Rest der Produkte gebe es Probleme, die im Übrigen unabhängig vom Typ der Ware seien. Die Betrugsvorwürfe gegen Ricardo.de zeigen, wie eng die Logistik mit dem Geschäftsmodell von Online-Auktionen verzahnt ist - und wie sensibel die Nutzer auf Störungen reagieren.

Die Kooperation mit Hermes werde sich sehr positiv für die Ricardo-Kunden auswirken, so Sprecher Quaritsch: "In Zukunft können wir stündlich abrufen, was wir auf Lager haben. Dann sollte es solche Probleme nicht mehr geben." Momentan seien Beschwerden von rund 500 bis 1000 unzufriedenen Kunden aufgelaufen, die auf ihre ersteigerten Produkte warten.

Bei Ricardo herrscht Optimismus, dass die Ermittler den Betrugsverdacht schnell fallen lassen, wenn sie das Geschäftsmodell von Ricardo verstanden haben: "Als heute die Polizei bei uns ankam, wollte sie wissen, ob man bei uns per Internet bestellen könne. Daran sieht man schon, dass sich die Behörden in der Materie erst einmal fachlich zurechtfinden müssen."

Ganz so leicht kann es sich der Auktionsanbieter freilich nicht machen. Rechtsanwalt Hanns Peter Ludwig von der Münchner Sozietät Schiessl, Schrank & Partner glaubt zwar "vom Gefühl her", dass der Staatsanwalt das Verfahren letztlich einstellen wird. Für ihn gibt es aber dennoch Ansatzpunkte, die einen Betrugsvorwurf begründen könnten. Bei einer objektiven Klärung des Tatbestands sind laut Ludwig die Punkte "Täuschungshandlung", "Irrtumserregung", "Vermögensschäden" und "Vermögensverfügung" zu prüfen. Zumindest die ersten beiden Tatbestände könnten erfüllt sein, wenn eine garantierte Lieferung versprochen wurde, die dann nicht erfolgte. Derartige Versprechen leistet Ricardo allerdings nicht, bietet aber eine optionale Absicherung der Transaktionen in Zusammenarbeit mit der Sparkassen-Tochter S-ITT an. Eine grundsätzliche Geld-zurück-Garantie gibt es anders als beim Hauptkonkurrenten Ebay.de nicht - lediglich im Zuge der jüngsten Wirren will sich Ricardo.de ebenfalls kulant zeigen.

Die Probleme selbst sind nicht neu und zu einem guten Teil auch im Geschäftsmodell von Ricardo.de begründet. Während Ebay sich als reiner Vermittler von Privatkunden sieht, betreibt Ricardo alle Facetten des Online-Auktionsgeschäfts. Neben einem privaten "Kleinanzeigenmarkt", wie ihn Ebay im Kerngeschäft organisiert, kommen im Business-to-Consumer-(B-to-C-)Geschäft von Ricardo auch Neuwaren unter den Hammer. Hierbei handelt es sich einerseits um Kommissionsgeschäfte, bei denen Ricardo beispielsweise Hunderte von neuen Handys von Mobilcom versteigert, und andererseits um Waren, die vom Auktionshaus unter eigenem Namen angeboten werden. Bei den Kommissionsware-Versteigerungen tritt Ricardo nur als Vermittler auf. Allerdings mussten die Hanseaten hier in der Vergangenheit die schlechte Erfahrung machen, dass anbietende Firmen die zugesagten Geräte oft gar nicht vorrätig hatten.

Frustrierte Nutzer kehren Ricardo den Rücken

So erging es beispielsweise dem Ricardo-Kunden Max Körndl Mitte Dezember letzten Jahres. Er hatte den Zuschlag für eine Akkuladestation erhalten und den entsprechenden Betrag auf das Konto von Ricardo überwiesen. Auf die Ware wartete er allerdings vergeblich. Auf Nachfrage erklärte das Hamburger Unternehmen, der Kunde möge sich doch bitte an die Firma Mobilcom als Anbieter des Ladegeräts wenden. Der Kunde allerdings hielt weiterhin Ricardo für seinen Geschäftspartner und spielte den Ball zurück.

Schließlich fand der Auktionator selbst bei Mobilcom heraus, dass das ersteigerte Gerät nicht mehr lieferbar ist. Daraufhin forderte Körndl sein Geld zurück, und zwar von Ricardo, an das er überwiesen hatte. Drei Monate, nachdem er den Zuschlag erhalten hatte, kam dann ein unkommentierter Scheck aus Hamburg - möglicherweise nur deshalb, weil Körndl sich zuvor an die Presse gewandt hatte.

Ricardo-Pressesprecher Matthias Quaritsch bedauerte den "Einzelfall" gegenüber der COMPUTERWOCHE und stellte klar, dass Ricardo in der Tat der richtige Ansprechpartner bei derartigen Problemen ist. Leider gebe es beim Kommissionsverfahren immer wieder ähnliche Vorfälle. Man unternehme alles, um die Risiken für den Bieter zu verringern. Kunde Körndl will jedenfalls nie wieder bei Ricardo mitmachen. Es würden Dinge versteigert, die nicht vorhanden sind, man leiste Vorkasse und dürfe dann sehen, wie man zur Ware komme, man werde wochenlang vertröstet und erhalte bei Fehlern nicht einmal eine Entschuldigung, so der frustrierte Auktionsteilnehmer.

Vertrauensverlust belastet B-to-B-GeschäftMögen die Vorwürfe der Kunden im B-to-C-Bereich noch zu verschmerzen sein, so treffen sie Anbieter wie Ricardo oder Ebay im Business-Geschäft deutlich härter. Beide Anbieter sind vor kurzem in dieses Segment eingestiegen. Hier werden sehr viel höhere Werte gehandelt, und die Margen sind dementsprechend lukrativ. Umso negativer wirken sich möglicherweise die Schlagzeilen der letzten Wochen aus. Ohne ein hohes Maß an Vertrauen in den Auktionsanbieter werden sich kaum zahlreiche Firmen finden, um über ihn Waren zu verkaufen. Dann schließen sie sich lieber zu virtuellen Marktplätzen zusammen oder eröffnen eigene Auktionen. Das Marktforschungsunternehmen Forrester Research prophezeit denn auch unabhängigen Anbietern wie Ricardo, Ebay oder Offerto schwindende Anteile am insgesamt stark wachsenden Web-Auktionskuchen (siehe Grafik, Seite 45).

Ohne eine perfekte Logistik, eine offene Informationspolitik und großzügige Garantie- und Serviceleistungen lässt sich dieser Trend kaum umkehren. Die rechtlichen Unsicherheiten beim Online-Auktionsgeschäft dürfen jedenfalls nicht auf die Nutzer abgewälzt werden. Noch immer ist nicht eindeutig geklärt, wer wann wessen Vertragspartner ist und in welchem Kontext Online-Auktionen grundsätzlich erlaubt sind. Die Gerichte haben noch zu keiner einheitlichen Linie gefunden, besonders beim Verkauf von Neuwaren. Bis dahin sollten die Anbieter selbst die letzte Instanz für ihre Kunden sein - im positiven Sinn.

Abb.: Unabhängige unter Druck

Die Luft wird dünner für unabhängige Anbieter wie Ricardo.de oder Ebay. Besonders im B-to-B-Handel mit Gebrauchsgütern machen ihnen die Hersteller selbst Konkurrenz. Quelle: Forrester Research

Abb.: Kursdelle bei Ricardo.de

Der Handel mit Ricardo-Aktien erhielt nach Bekanntwerden der Betrugsvorwürfe einen deutlichen Dämpfer - erholte sich aber inzwischen. Kunden wie Börse zeigten sich besonders sensibel. Quelle: N24