Behinderte gründen Programmierfirma

Aufträge statt Abgaben

06.08.1976

MÜNCHEN - Wir haben jetzt 25 Programmierer und 5 Verwaltungskräfte. 15 Programmierer sollen dieses Jahr noch dazukommen - alle aus Heidelberg, wo sie vom Berufsförderungswerk der Stiftung Rehabilitation ausgebildet wurden berichtet Peter Mai, einer der beiden Abteilungsleiter des Münchener Berufsförderungswerkes der Pfennigparade GmbH.

Das Berufsförderungswerk, das seine Kapazität auf insgesamt 70 Mitarbeiter ausbauen will, wurde vor drei Jahren mit 12 körperbehinderten Programmierern gegründet und startete mit einem Rahmenauftrag der Firma, Siemens. Inzwischen gehören auch, IBM und verschiedene Anwender zu den Kunden des Unternehmens, das - gemäß den Zielen der Pfennigparade - "Körperbehinderten die gleichen Chancen vermitteln will, wie sie, Nichtbehinderte haben". Es bietet im Bedarfsfall. kombiniert mit einer Wohnung - jenen Behinderten Arbeitsplatze nach DV-Ausbildung Schwierigkeiten mit der Arbeitsplatzsuche am freien Markt haben.

"Wir machen normale Anstellungsverträge und zahlen nach Metall-Tarif" erklärt Mai, dessen Aufgabe es ist, neben der Siemens-Abteilung jetzt auch eine Programmier-Gruppe für IBM Systeme aufzubauen. "Wir sind bestrebt möglichst Vereinbarungen abzuschließen, die beispielsweise die Auslastung eines Mitarbeiters für ein Jahr sichern". Die Programmierer arbeiten beim Berufsförderungswerk - Tests erfolgen entweder direkt beim Auftraggeber oder über, Datensichtgeräte mit Wählleitungsanschluß.

"Obwohl wir nach Tarif bezahlen und alle üblichen Sozialleistungen bieten, können wir preisgünstig arbeiten", meint Mai. "Unsere Gemeinkosten sind niedrig, weil wir beispielsweise Räume und Einrichtung von der Pfennigparade bekommen". Außerdem kann der Kunde 30 Prozent der Auftragssumme von der Schwerbehindertenabgabe absetzen. Diese Abgabe 100 Mark pro Monat und unbesetzten Pflichtplatz - müssen die Betriebe entrichten, die nicht die gesetzlich vorgeschriebene Mindestzahl von 6 Schwerbehinderten pro 100 Mitarbeiter beschäftigen.

"Meine Arbeitsweise ist von vornherein darauf abgestellt, viel zu denken": Günter Seidel, der 1960 als 27jähriger an Polio erkrankte und seitdem vollständig gelähmt programmiert am: Datensichtgerät mit einem "Mundstäbchen". Das Hilfsmittel hat sich der frühere Orchestermusiker - er spielte Fagott - selbst ausgedacht: Zwei Plexiglasröhrchen sind teleskopartig ineinander verschiebbar - wenn Seidel Luft durch das Mundstück bläst, verlängert sich das Stäbchen, so daß er die einzelnen Tasten erreichen kann. Mit einer elektrischen Schreibmaschine und einer Beschreibung des Siemens-Systems 2002, die ihm ein Freund mitgebracht hatte, fing Seidel 1965 an: "Das Programmieren habe ich mir selbst beigebracht - als Schachspieler bin ich gewohnt, mir mehrere Züge im voraus zu überlegen." Seidel, der zunächst als freiberuflicher Programmierer Software für Verkehrssignalrechner entwickelte, arbeitet jetzt im Berufsförderungswerk der Münchener Pfennigparade an Kundendienstprogrammen für Siemens, die er am Datensichtgerät auch so weit als Möglich austestet. (-py)