Karriere im Software- und Systemhaus (Teil 2)

Aufstieg und Mißerfolg - sie liegen sehr eng beieinander

28.02.1992

*Lutz Lunzer war bis Mitte 1990 der für den Vertrieb verantwortliche geschäftsführende Gesellschafter eines Softwarehauses, gleichzeitig Anbieter von Beratungsleistungen und Vertriebspartner eines DV-Herstellers. Seit Ende 1990 stellt er seine Erfahrungen der DV-Branche als Management-Berater, Maintal, zur Verfügung.

Die Zahl der Neugründungen in der Softwareindustrie geht zurück. Auch die Zuwachsraten sind kleiner geworden, und die Meldungen von Übernahmen beziehungsweise Beteiligungen nehmen zu. Anbieter, die aus eigener Kraft wachsen wollen, gehen verstärkt Kooperationen ein, um bestehen zu können. Unter Berücksichtigung dieses Hintergrundes setzt sich Lutz Lunzer* mit den Karrierechancen in der Softwarebranche auseinander.

Im ersten Beitrag zum Thema "Karriere im Softwarehaus" wurde zunächst der Markt der Anbieter von IuK-Leistungen dargestellt: Mehr als 4000 Anbieter von Software und Service beschäftigen bei durchschnittlich 18 Mitarbeitern pro Unternehmen insgesamt 75 000 Mitarbeiter. Die überwiegende Zahl davon sind Softwarespezialisten. Diese 4000 Anbieter bearbeiten einen Markt von rund 650 000 Anwenderfirmen. Alle genannten Zahlen basieren ausschließlich auf den alten Bundesländern; die Unternehmensgröße der Software- und Systemhäuser in den neuen Bundesländern liegt unter denen der alten Bundesländer.

Selbst wenn ein großer Teil der zirka 650 000 Anwenderfirmen keine eigenen Software-Entwickler beschäftigen, so läßt sich dennoch feststellen, daß die überwiegende Zahl der mit Software-Entwicklung beschäftigten Mitarbeiter bei den Anwendern, also nicht den Softwarehäusern, angestellt sind.

Bei der Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile ist hervorzuheben, daß es sich um Durchschnittsangaben beziehungsweise Verallgemeinerungen handeln muß und daß

durchaus in dem einen oder anderen Fall sowohl im Softwarehaus als auch beim Anwender mit anderen Maßstäben zu rechnen ist.

Die weiblichen DV-Fachkräfte mögen verzeihen, wenn sie in diesem Artikel - wieder einmal - in die Kategorie der Männer eingereiht wurden: Doch die ursprüngliche Version "die/der leitende Programmierer/in, Systemanalytiker/in, Leiter/in der Qualitätssicherung, der EDV-Spezialisten/innen etc. hat sich sehr holprig gelesen.

Wie auch in den DV-Abteilungen der größeren Anwender gibt es in Softwarehäusern verschiedene Tätigkeitsprofile, die meist auch die entsprechenden Karrieremöglichkeiten einschließlich der Gehaltsentwicklung beinhalten. Hierbei ist zu unterscheiden, daß DV-Profis zum einen die Fachlaufbahn einschlagen, zum anderen aber auch eine Laufbahn mit Personalverantwortung (Führungslaufbahn) wählen können.

Die Karriere mit Personalverantwortung spiegelt sich in den Begriffen Projektleiter und Chefprogrammierer, Leiter der Qualitätssicherung bis zum Leiter der Software-Entwicklung wieder. Wie der Name sagt, müssen diese Personen in der Lage sein, Mitarbeiter zu führen - eine Aufgabe, an der häufig selbst hervorragende DV-Spezialisten gescheitert sind, da Mitarbeiterführung nur bedingt erlernbar ist. Grundsätzlich kann gesagt werden, je höher in der Hierarchie angesiedelt, desto größer die Entfernung zur eigentlichen Software-Entwicklung.

Diese Aussage trifft bei der Fachlaufbahn nicht beziehungsweise wesentlich weniger zu. Der Programmierer hat die Chance, zum Organisationsprogrammierer und leitenden Programmierer aufzusteigen, der Systemanalytiker und Berater zum leitenden Systemanalytiker, der Systemanalytiker und Berater über den leitenden Systemanalytiker zum leitenden Berater und System-Manager.

Mit Hilfe von speziellen Trainee-Programmen, die oft bis zu einem Jahr dauern, lassen sich Studien- und Schulabgänger an ihre künftige Laufbahn heranführen.

Die in der Grafik genannten Jahresgehälter sind sicherlich von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Sie soll dem beim Anwender beschäftigten Software-Entwickler aufzeigen, in welchem finanziellen Rahmen sich die Vergütung in Softwarehäusern in etwa abspielt.

Häufig sind gerade bei kleineren Softwarehäusern verschiedene Tätigkeitsmerkmale und Funktionen in einer Person zusammengefaßt. Dies mag sich einerseits negativ auf die Qualität der durchgeführten Tätigkeiten auswirken, eröffnet dem Mitarbeiter andererseits eine größere Bandbreite unterschiedlicher Arbeitseinsätze, was durchaus auch seinen Reiz haben kann.

Bleibt die Nachfrage nach hochbezahlten Software-Entwicklern ungebrochen? Diese Frage läßt sich pauschal nicht mehr mit einem klaren Ja beantworten, wie dies noch vor wenigen Jahren in einem boomenden Markt der Fall war. So lagen Ende Dezember 1990 der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung 660 offene Stellen im DV-Bereich vor, während es 1985 noch rund 1600 waren. Tatsache ist aber, daß die Softwarehäuser - von Ausnahmen abgesehen - wirkliche Spezialisten nach wie vor suchen und ihrer Leistung entsprechend hoch vergüten.

Da der Bedarf an diesen wirklich qualifizierten Mitarbeitern großer ist als das Angebot, unterliegen viele Softwarehäuser der Versuchung, statt dessen weniger qualifizierte Mitarbeiter einzustellen und, wie es dann positiv dargestellt wird, ins kalte Wasser zu werfen.

In den seltensten Fällen steht diesen Mitarbeitern ein erfahrener "Schwimmlehrer" zur Seite. Es kommt gerade in der Anfangsphase häufig zu Frustration der neuen Mitarbeiter. Das Ergebnis sind Qualitäts- und somit Kundenprobleme, die dann mit dazu beitragen, daß die Fluktuationsrate bei 15 Prozent per anno und mehr liegt.

Der Bewerber sollte im Laufe des Bewerbungsgespräches klären, durch welche (Schulungs-) Maßnahmen er das erforderliche Profil - Anwendungs-, Betriebssystem-, Datenbank- und Programmierwissen sowie Software-Entwicklungs-Methoden (CASE) - erhält. Falls eine Schulung nicht sinnvoll ist, was in Einzelfällen durchaus möglich sein kann, muß sein Vorgesetzter die jeweiligen Spezialisten benennen, die dem Anfänger als Ratgeber zur Verfügung stehen sollen. Schlägt ein DV-Profi die Führungslaufbahn ein, muß der Arbeitgeber ihm ebenfalls Wege aufzeigen, sein Management-Wissen und seine Management-Methoden zu verbessern beziehungsweise zu erwerben.

Die Karrierechancen und damit verbunden die über dem Durchschnitt liegenden Gehälter muß sich der DV-Profi hart erarbeiten. Wenn es sich nicht gerade um die 50 oder 100 Umsatzgrößten der Branche handelt, bei denen - mit Ausnahme der Management-Ebene - die Überstunden meist etwas geringer sein mögen und auch Betriebsräte darüber wachen, so ist das Engagement bei den mittleren und kleineren Softwarehäusern sehr oft nicht auf acht, manchmal auch nicht auf zehn Stunden begrenzt. Der Termindruck des Kunden wird - meist direkt über den Geschäftsführer, der oft gleichzeitig (Mit-) Inhaber und Mitglied des Projektteams ist - an die Projektmitarbeiter weitergeleitet.

Außerdem muß der Angestellte eines Softwarehauses nicht nur mit seinem Chef zurechtkommen, sondern auch noch mit den Mitarbeitern des jeweiligen Kundenprojektes.

Kommt er mit einem Kunden menschlich oder fachlich nicht zurecht, so muß er davon ausgehen, daß sich diese schlechte Beziehung in irgendeiner Form auswirkt. Es ist also möglich, daß der Kunde bei der ersten sich ergebenden Gelegenheit reklamiert und seine Beschwerde beim Arbeitgeber entsprechende Wellen schlägt. Der Angestellte muß weiterhin damit rechnen, daß er seine Zeitkalkulation überschreitet und sowohl seinem Kunden wegen der Terminverzögerung aber auch seinem Arbeitgeber wegen des Projektverlustes Nachteile bringt.

Bei von eigenen Programmierern zu vertretenden Zeitverzögerungen und Kostensteigerungen haben die Anwender meist mehr Verständnis. Möglich ist auch, daß der Computerspezialist ein halbfertiges Projekt von einem Vorgänger übertragen bekommt, mit dem er am besten von neuem beginnt.

Als Argument für die Arbeit in einem Softwarehaus spricht, immer wieder neue Projekte und somit Kunden zu bekommen - sofern das Unternehmen nicht labormäßig Software-Entwicklung betreibt; diese Programmierer haben mit oben genannten Schwierigkeiten nicht zu kämpfen. Der Datenverarbeiter ist also weniger mit den Aufgaben der Programmpflege, dem Einbau der von den Anwendern gewünschten großen und kleinen Änderungen beschäftigt - ein Problem, über das die beim Anwender beschäftigten Programmierer häufig klagen.

Hinzu kommt, daß der DV-Beschäftigte im Laufe der Zeit auch einen wichtigen vertrieblichen Beitrag leistet, ohne dem Vertrieb zugeordnet zu sein. Er wird zu vorvertraglichen Gesprächen mit den Interessenten hinzugezogen, verkörpert zum Beispiel auch auf Messen die fachliche Kompetenz - eine reizvolle Aufgabe für den, der gerne mit Menschen zu tun hat.

Hat sich ein DV-Spezialist grundsätzlich für eine Tätigkeit im Softwarehaus entschieden, muß ihm neben den Tätigkeitsschwerpunkten und den im Unternehmen möglichen Karrierechancen vor allem die Unternehmensstrategie seines künftigen Arbeitgebers zusagen. Denn eine gute Unternehmensstrategie ist Voraussetzung für den langfristigen Erfolg eines Betriebes.

Die Mitarbeiter setzen diese Strategie um. Und damit dies gewährleistet ist, muß der künftige Mitarbeiter prüfen, ob er mit seinen Eigenschaften, seinem Wissen und seinen persönlichen Vorstellungen in dieses Unternehmen hineinpaßt und ob er sich mit ihm identifizieren kann. Denn er trägt als Mitarbeiter eines Softwarehauses direkt mehr zum Erfolg bei, als dies DV-Spezialisten eines Anwenders für ihren Arbeitgeber tun.

Ist er wie die überwiegende Zahl der im Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter - vor allem auch die Leitenden - wirklich gut, ist er auch psychisch belastbar, liegt ihm die Arbeit mit Kollegen (Teamgeist) und Kunden, schätzt er wechselnde Aufgabenstellungen, liebt er die Herausforderung, ist er ehrgeizig und dann auch noch bei einem Softwarehaus beschäftigt, das eine zukunftsorientierte Strategie und ein gutes Image hat, hat er auch hervorragende Karrierechancen. Umgekehrt: Treffen diese Komponenten nicht auf ihn oder das Softwarehaus zu, ist der Mißerfolg programmiert.