Karriere im Software- und Systemhaus (Teil 1)

Aufstieg oder Mißerfolg liegen sehr eng beieinander

21.02.1992

Das Thema "Karriere im Software- und Systemhaus" ist vor dem speziellen Hintergrund der Anbieter von informations- und Kommunikationstechnik-Leistungen zu betrachten. Deshalb wird im ersten Beitrag zunächst der Anbietermarkt mit seinen Besonderheiten dargestellt. Der zweite Beitrag geht dann auf die Karrierechancen und -risiken dieser Branche ein.

Die Zahl der Neugründungen in der Software-Industrie geht zurück; auch die Zuwachsraten sind kleiner geworden, und die Meldungen von Übernahmen beziehungsweise Beteiligungen nehmen zu. Anbieter, die aus eigener Kraft wachsen wollen, gehen verstärkt Kooperationen ein, um bestehen zu können. Unter Berücksichtigung dieses Hintergrundes setzt sich Lutz Lunzer mit den Karrierechancen in der Softwarebranche auseinander.

Der Anbietermarkt für Dienstleistungen und Produkten im Bereich Information und Kommunikation untergliedert sich in folgende Geschäftsfelder:

- Überlassung von Manpower,

- Entwicklung von Individualsoftware,

- Entwicklung von Standardsoftware,

- Anbieten von Hardware, Standardsoftware und/oder Entwicklung von Individualsoftware (Systemhaus),

- Vertrieb von Hardware und Software unter eigenem Namen (Händler) sowie

- Vermittlung von Software und Hardware (Agenturen).

In der Praxis ist ein Unternehmen heute auf mehreren Geschäftsfeldern aktiv, zum Beispiel: Entwicklung von Individualsoftware, Vertrieb von Standardsoftware eines anderen Softwarehauses sowie Vermittlung von Hardware als Vertriebspartner eines Herstellers. Darüber hinaus gibt es weitere Geschäftsfelder, etwa das Anbieten von RZ-Leistungen, externem DV-Management, Schulung oder auch Wartung und Finanzierung und last, not least umfassenden komplexen Lösungen im Sinne eines Generalunternehmers.

- Überlassung von Manpower

Das Überlassen von Manpower auf Dienstvertragsbasis, wie dies vor zirka 15 bis 20 Jahren überwiegend gehandhabt wurde, ist - überraschenderweise - bis heute noch eine relativ häufig vorgefundene Form, Umsätze zu erzielen. Großunternehmen benötigen diese Manpower für die Realisierung wichtiger Projekte. Sie wenden sich an den Anbietermarkt, weil sie entweder keine qualifizierten Mitarbeiter finden oder ihre DV-Abteilung nicht aufblähen möchten.

Die DV-Dienstleistungsunternehmen wiederum bedienen ihre Kunden häufig mit freiberuflichen Programmierern, da die eigenen Programmierer meist in andere Projekte eingebunden sind und diese Freiberufler zu oft günstigeren Preisen eingebunden werden können. Diese Freiberufler beziehungsweise "Programmierbüros" müssen sich ernsthafte Gedanken machen, wollen sie langfristig im Markt bleiben, da die Konkurrenz der Softwarehäuser, die Projekte unter Einbindung fertiger Softwarekomponenten auf Festpreisbasis anbieten, permanent zunimmt.

Sie werden wohl auch wegen der fehlenden Zukunftsperspektiven nur geringe Chancen haben, qualifizierten Mitarbeitern eine Karriere anbieten zu können.

Ihnen bieten die DV-Hersteller und Softwarehäuser als neues Betätigungsfeld sogenannte Vertriebspartnerschaften an. Doch die Umstellung vom dienstleistungs- zum vertriebsorientierten Unternehmen fällt häufig schwer.

- Entwicklung von individualsoftware

Im Unterschied zur Überlassung der Manpower entwickeln diese Gruppen von Software-Anbietern die Software auf Werkvertragsbasis. Die Programme werden überwiegend im Softwarehaus entwickelt. Das bedeutet zum Teil beträchtliche Investitionen in Hardware, Programmiersprachen, Tools, etc.

Der Auftraggeber verlangt Know-how und die Garantie, daß das Projekt auf Festpreisbasis zu Ende geführt und es vor allem in der Einführungsphase, manchmal über mehrere Jahre, betreut wird. Hieraus ergibt sich, daß Freiberufler in diese Projekte meist nicht eingebunden werden können.

Freiberufler beziehungsweise Programmierbüros haben die Chance, die eine oder andere in sich abgeschlossene Anwendung auszuwählen und die Realisierung ähnlicher Projekte ihren Kunden künftig auf Festpreisbasis anzubieten. Wichtig hierbei ist, daß die Rechte an der Software im Softwarehaus verbleiben, um später auch Programmteile beziehungsweise -module oder auch das gesamte Programm in neue Projekte einbinden und einem anderen Kunden anbieten zu können.

Diese Softwarehäuser werden sich künftig verstärkt auf bestimmte Anwendungen - ihre ganz spezielle Fachkunde also - besinnen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und vor allem um die eine Amortisation der getätigten Investitionen zu erreichen. Auch diese Gruppe der Anbieter wird von den DV-Herstellern als potentieller Vertriebspartner umworben, zumal in die jeweilige Kundenlösung meist Hardware in irgendeiner Form eingebunden werden muß.

- Entwicklung von Standardsoftware

Entwickler von Standardsoftware bieten ihre Pakete nicht als eine im Kundenauftrag entwikkelte Programmversion an, sondern entwickeln die Software nach hausinternen Organisations- und Programmierrichtlinien unter Einsatz moderner SW-Entwicklungs-Tools, meist mandantenfähig und mehrsprachig, aufgebaut nach einzelnen Programmodulen, die sich der Kunde zum Teil selbst zusammenstellen beziehungsweise generieren kann. Die Software wird als Produkt "von der Stange" verkauft und ist vielfach installiert.

Die Softwarehäuser müssen ihren Kunden neben Hot-line-Service und Schulung vor allen Dingen die Sicherheit bieten, daß die Programme langfristig weiterentwickelt werden und sich der jeweiligen Betriebssystem-Umgebung anpassen. Die Weiterentwicklungen lassen sich an den Kunden meist über einen Wartungsvertrag weitergeben. Die SW-Häuser tragen letztlich das besondere Risiko der Produkthaftung, insbesondere unter den Gesichtspunkten des europäischen Marktes.

- Das Systemhaus

Wird die für das jeweilige DV-Projekt benötigte Hardware beziehungsweise die eventuell anzupassende Software in das Projekt eingebunden sowie Schulung, Wartung und eventuell auch die Finanzierung von einem Systemhaus angeboten, so ist dies ein sehr anwenderfreundliches und somit zukunftsträchtiges Geschäftsfeld.

Der Kunde erhält von seinem Lieferanten alles aus einer Hand und muß sich im Falle von Reklamationen nicht mit den unterschiedlichen Anbietern auseinandersetzen. Das Systemhaus ist oft gleichzeitig Händler oder Vertriebspartner eines beziehungsweise mehrerer Hardware- und Softwarehersteller.

In jüngster Zeit wandeln sich selbst traditionelle DV-Hersteller zum Systemhaus. Das heißt, sie stellen die Produktion ein, kaufen diverse Hard- und Software-Komponenten und bieten diese Produkte über ihr bundesweites Vertriebsnetz, zum Teil auch unter eigenem Produktnamen als Systemhaus an. Aber auch der traditionelle Fachhandel erkennt, daß es mit dem Verkauf von Hard- und Software allein nicht mehr getan ist und geht vereinzelt bereits den Schritt in Richtung Systemhaus.

DV-Hersteller sowie Software- und Systemhäuser versuchen in jüngster Zeit verstärkt, sich ein funktionsfähiges Netz von Vertriebspartnern aufzubauen. Einerseits erwarten sich die Hersteller beziehungsweise Software- und Systemhäuser hierdurch geringere Vertriebskosten, andererseits und letztendlich höhere Verkäufszahlen. Regionale Präsenz, Fachkunde, unternehmerische Flexibilität und Einfallsreichtum verbunden mit vertrieblichem Engagement der Vertriebspartner sind Argumente dafür, den Vertrieb auszulagern. Daß dieser Weg nicht immer frei von Konflikten ist und manchmal auch zu einer zu engen Bindung im Sinne einer einseitigen Abhängigkeit führt, sei an dieser Stelle nur erwähnt.

- Der Vertriebspartner

Da die Vertriebspartner manchmal Oberhaupt keine Software-Entwicklung betreiben, oft jedoch einen großen Teil ihres Umsatzes durch Entwicklung von Individualsoftware, erzielen, wurden sie in diesem Beitrag mit berücksichtigt, auch wenn eine mögliche Karriere im Vertrieb nicht in diesem Artikel aufgezeigt wird.

Als Vertriebspartner im Sinne des Fachhandels, zum Beispiel autorisierter PC-Fachhändler, werden Unternehmen verstanden, die Hardware und Software einkaufen, unter eigenem Namen vertreiben und dem Kunden Einführungsunterstützung sowie Schulung anbieten. Abhängig vom Produkt kommen die Wartungsverträge meist zwischen dem Hersteller und Anwender zustande.

Neben den Fachhändlern gibt es die autorisierten Vertriebspartner (Agenten), die im Namen der Hersteller deren Hardware beziehungsweise Software vermitteln. In diesem Falle kommt der Vertrag zwischen Hersteller und Anwender zustande. Die Aufgabe des Vertriebspartners besteht aus Marketing, Vertrieb und Einführungsunterstützung, und er erhält hierfür vom Hersteller eine Vermittlungsprovision. Ist Anpassungs- beziehungsweise Zusatzprogrammierung erforderlich, hat der Anwender zwei Vertragspartner.

Für die Anbieter von Dienstleistungen und Produkten im Bereich Information und Kommunikation hat sich im Markt der Begriff SSO (System-Service-Organisation) geprägt. Auch wenn der Erhebungstermin (1989) nicht mehr ganz aktuell ist, gibt beigefügte Grafik einen guten Überblick zur Unternehmensgröße der Software-Dienstleistungsunternehmen.

Der Grafik ist die Tatsache zu entnehmen, daß 1989 nur 94 Unternehmen, also 2,3 Prozent, mit über 100 Beschäftigten im Markt waren, dagegen 2792 Unternehmen, also 68,1 Prozent, mit weniger als zehn Beschäftigten. Die Zahl von 15 Mitarbeitern pro SSO war selbst bei den autorisierten IBM Vertriebspartnern der Durchschnitt. Die Erkenntnis des Computerriesen: Nur relativ wenige Vertriebspartner sind vertrieblich aktiv und erfolgreich.

So erzielten im Jahr 1990 nur 35 der zirka 500 autorisierten Vertriebspartner zirka ein Drittel des durch die Vertriebspartner erwirtschafteten Gesamtumsatzes. Wer allerdings IBM kennt, weiß, daß die Stuttgarter alle nur denkbaren Hebel -ansetzen werden, die Effizienz der autorisierten Vertriebspartner und Händler zu steigern, was die anderen Anbieter von Vertriebspartnerschaften ebenfalls anspornen dürfte.

Die zirka 73 000 Beschäftigten der SSO - inzwischen dürften es wohl über 75 000 sein - verteilten sich 1989 auf 4100 Unternehmen, was einer durchschnittlichen Beschäftigtenzahl von 17,8 Mitarbeitern entsprach. 76 Prozent der Unternehmen boten auch Hardware an, 55 Prozent entwickelten Individualsoftware im Kundenauftrag, 31 Prozent der Firmen Standardsoftware.

Interessant ist: 54 Prozent der Firmen waren 1989 noch ohne Marketing-Stelle. Den 4100 SSOs mit ihren zirka 75 000 Beschäftigten standen zirka 650 000 Anwender gegenüber. Alle genannten Zahlen beziehen sich ausschließlich auf die alten Bundesländer; die Unternehmensgröße der Software- und Systemhäuser in den neuen Bundesländern liegt überwiegend wesentlich unter denen der alten Bundesländer.

(wird fortgesetzt)

Lutz Lunzer war bis Mitte 1990 der für den Vertrieb verantwortliche geschäftsführende Gesellschafter eine Softwarehauses, gleichzeitig Anbieter von Beratungsleistungen und Vertriebspartner eines DV-Herstellers. Seit Ende 1990 stellt er seine Erfahrungen der DV-Branche als Management-Berater, Maintal, zur Verfügung.