Ost-Software auf dem Weg in die freie Wirtschaft, Teil 2

Aufholjagd: DDR-Softwerker suchen ihre Chancen am Markt

20.04.1990

Der Softwarebranche im östlichen Teil Deutschlands stehen umwälzende Veränderungen ins Haus. Sie muß sich nach der marktwirtschaflichen Decke strecken, will sie in den nächsten Jahren überleben. Unter Berücksichtigung internationaler Bedingungen skizziert Konrad Hochhold* Kriterien für die Wettbewerbsfähigkeit von DDR-Softwarekonzepten und gibt eine Einschätzung zu Kooperationen mit westlichen Firmen.

Während auf der einen Seite die Informatik durch die breite Anwendung von Mikroelektronik, automitisierter Produktionsvorbereitung und Fertigungssteuerung zum bedeutendsten Investitionsfaktor der Wirtschaft Oberhaupt geworden ist, blieb die Software-Entwicklung der entscheidende Engpaß für eine adäquate Steigerung der Technologie-Anwendung in der DDR. Qualitativ und quantitativ sind hier die Kapazitäten nicht auf die Anforderungen der Anwender eingestellt. Immer noch fehlt in Wissenschaft und Industrie die Einsicht, daß Software-Entwicklung eine unabhängige produktive Technologie ist, die sich eigenständiger Werkzeuge und Methoden bedient. Jedes Handwerk hat seine eigenen, über die Jahre hinweg spezialisierten und standardisierten Werkzeuge. Anders bei der Softwaretechnologie: Dort gibt es zwar viele unterschiedliche Werkzeuge, allgemeine und durchgängige Charakteristika sind jedoch nicht erkennbar. Engelin von der Technischen Universität Dresden schlägt in seiner jüngst erschienen Veröffentlichung zur Camars-Technologie folgende Maßnahmen für eine Verbesserung der Situation vor:

- Die Produktivität der Softwareherstellung ist zu steigern.

- Die Qualität der Softwareprodukte, und zwar ihre mathematische Durchdringung sowie die physiologische Verbindung mit den Wissenschaftsgebieten der Anwendungsbereiche, muß durch interdisziplinäre Forschung verbessert werden.

- Die Einbeziehung breitester Kreise in die Softwareproduktion ist zu sichern.

Am US-Markt ist durch eine Welle von Zusammenschlüssen und Konkursen kleiner Softwarehäuser seit 1983 ein solcher Konzentrationsgrad erreicht, daß die Voraussetzungen für das Aufbringen der umfangreichen Mittel und personellen Kapazitäten für neue Softwaretechnologien günstig sind. Die DDR-Softwareprodukte sind jedoch durch die Isolierung vom internationalen Markt mit folgenden Problemen behaftet:

- Die Entwicklung stützt sich auf Basissoftware, für die nicht einmal neueste Versionen vorliegen.

- Die Entwicklung von Anwendersoftware bleibt den Usern selbst überlassen, wodurch bis jetzt der Spezialisierungseffekt ausgeschlossen ist.

- Die Anwender-Schnittstelle entspricht nicht den Erfordernissen des Marktes. Niemand würde ein Auto kaufen, bei dem der Drehzahlmesser beim Choke angebracht ist.

- Meist werden Insellösungen eingesetzt. Die Kompatibilität zu international verwendeten Hardware, zu Systemen der Basissoftware und der Softwareumgebung ist nicht gegeben. Portierungen werden dadurch extrem aufwendig.

- Die Dokumentation ist unvollständig, fremdsprachlich und zum Teil nicht einmal in Englisch verfaßt, Papiermangel, geringe Druckkapazität und unzureichende technische Ausstattung der Software-Entwickler mit Kopierern, Desktop-Publishing-Systemen sowie die völlige Unterschätzung solcher infrastrukturellen Erfordernisse haben hier zu einer beinahe vollkommenen Handlungsunfähigkeit geführt.

- Die Software-Entwicklung ist aus Zeitgründen nicht wettbewerbsfähig, da die Verfügbarkeit der notwendigen Tools nicht gegeben ist und die Entwicklung in den meisten Fällen in Einzelplatz-Organisation erfolgt. Rechnernetze und gemeinsam nutzbare Datenbanken oder gar internationale Datenbanken stehen kaum zur Verfügung.

- Die Qualifizierung der Software-Entwickler scheitert oft schon daran, daß sie weder auf internationale Fachliteratur Zugriff haben noch an Tagungen und Softwareschulungen teilnehmen können.

- Sofern Softwarekundendienst Oberhaupt existiert, ist er höchst ungenügend.

- Rechtschutz für Entwickler gibt es in der DDR nicht.

Die DDR-Software hat unbestreitbare Vorzüge

In vielen Wirtschaftszweigen der DDR wird vornehmlich für den Export produziert. Dafür gibt es dann ansprechende Softwarelösungen, für die Maschinensysteme entwickelt wurden. Das ist eine fragwürdige Politik, da gleichzeitig der eigene Markt nicht befriedigt wird. Ich möchte aber erwähnen, daß noch im vergangenen Jahr eine Reihe von Kunden und Verhandlungspartnern betonte, daß DDR-Software, nachdem sie sich vom 8-Bit-Rechner verabschieden konnte, oftmals schneller ist als Konkurrenzerzeugnisse. Außerdem kommt sie in allen Fällen mit weniger Speicherplatz aus.

Aus den Analysen ergeben sich verschiedene Möglichkeiten für die Entwicklung von Kooperationen mit DDR-Betrieben in der Softwarebranche. Die Software-Entwicklung sollte sich auf folgenden Punkte konzentrieren:

- Schaffung parametrisierbarer Standardlösungen,

- Entwicklung und breite Anwendung einheitlicher Tools für die Software-Entwicklungsumgebung durch Entscheidungshilfen und geeignete Expertensysteme,

- Anwendung erkenntnistheoretischer Grundlagen für die Schaffung formalisierbarer Grundsätze der verteilten Intelligenz in Rechnernetzen und für die Fertigungssystem-Entwicklung neuronaler Rechnerstrukturen sowie

- Entwicklung und breiter Einsatz von ASIC für Standardlösungen zum Transfer der Software in die Hardware.

Der Anwender erwartet von einer wissenschaftlichen Leistung im Bereich der Software bestimmte Rahmenbedingungen:

- kundennahe Produktphilosophie,

- die Einbindung in eine Rechnernetz- und Datenbank philosophie mit offener Systemarchitektur,

- anwenderbezogene und einheitliche Benutzeroberflächen,

- ganzheitliche Lösungs- und Produktstrategien,

- hohen Qualitätsstandard unter Anwendung von geeigneten Softwaretechnologien, Tools für Konsistenztests etc.,

- kurze Implementierungszeiten,

- einfache zeit- und kostenoptimale Wartungsmöglichkeiten,

- wirksamen Innovationsschutz sowie ein

- marktgerechtes Preis-Leistungs-Verhältnis.

Ich bin davon überzeugt, daß ein Leistungsprofil, welches in enger Verbindung von Wissenschaftlern in Forschungseinrichtungen mit fahrenden Herstellern zur Übertragung moderner Technologien in Software aufgebaut und weiterentwickelt wird, die entscheidende

Voraussetzung für einen erfolgreichen Export von Software in die DDR ist. Ich sehe aus den Möglichkeiten des eigenen wissenschaftlichen Vorlaufs und den Bedingungen für eine erfolgreiche internationale Verflechtung die Konzentration auf die folgenden Bereiche als

erfolgversprechend an:

- Industrieautomatisierung und Automatisierungssysteme mit den Schwerpunkten CIM-Komponenten und Konzepte auch für mittlere Betriebe, numerische Steuerungen, insbesondere aus CAD-Systemen heraus, prozeßnahe Steuerungen und Ablösung der alten Generation von Steuerungen, Visualisierung von Steuerungsprozessen in Industrieanlagen,

- Umwelttechnologien,

- Software-Engineering,

- Expertensysteme, künstliche Intelligenz,

- Computergrafik,

- Kommunikations- und Rechentechnik,

- Simulations- und Entwurfsmodelle für die Mikroelektronik,

- chemische Technologie, insbesondere zur Hochveredelung, sowie

- Branchensoftware.

Konzentration auf den Anwendernutzen

Voraussetzung für die erforderliche Dynamik zur Erlangung marktwirtschaftlicher Strukturen in der DDR ist die kurzfristige Bereitstellung der gleichen Sprache bei den Technologie-Entwicklern und -Anwendern. Die Konzentration auf den Anwendernutzen kann

nur auf diese Art erreicht werden. Heinz Dürr, Aufsichtsratsvorsitzender des IMT, wies auf dem DDR-IMT-Symposium am 18. Februar 1990 in Berlin darauf hin, daß unterschiedliche Begriffe die erfolgreiche Zusammenarbeit oftmals behindern.

Dahinter verbirgt sich meines Erachtens noch weit mehr - hier geht es teilweise um unterschiedliche Methoden und Denkweisen, ja teilweise sogar um unterschiedliche Wertvorstellungen. Es kommt darauf an, über den Weg der Kommunikation die technischen und kommerziellen. Begriffswelten schnell in Übereinstimmung zu bringen, sonst können wir auf die Erfolge der Marktwirtschaft in der DDR lange warten.

Die Kenntnis über die Marktbedingungen in der DDR ist bei den dortigen Partnern vorhanden. Über die Kenntnis, wie neue Technologien zur Anwendung gebracht werden können, verfügen Unternehmen der Industrieländer, nicht zuletzt eine Vielzahl von mittelständischen Unternehmen. Eine Kooperation bietet sich geradezu an.

Nicht nur Risiken, sondern auch Chancen

Der Prozeß ist im Gange und wir sehen gute Möglichkeiten für die Erhaltung vorhandener Werte, wenn die Kommunikations- und Informationstechnik rasch und mit Breitenwirkung zur Anwendung kommen kann. Die Marktwirtschaft bedeutet für die DDR nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. Nach meiner Einschätzung bestehen folgende Prioritäten:

1. Bildung von marktwirtschaftlichen Strukturen in Übereinstimmung mit den internationalen Verflechtungen beider deutscher Staaten und unter besonderer Beachtung der Verflechtung mit den Nachbarländern. Unterstützung bieten hier branchenspezifische Unternehmerverbände, Produktions- und Dienstleistungsverbände sowie marktbezogene Netze von Dienstleistungsunternehmen in der Softwarebranche.

2. Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit für erfolgreiche Exportprodukte von DDR-Groß- und Mittelbetrieben sowie Bewahrung ihrer äußeren Vertriebsorganisation. So verfügt der Werkzeugmaschinenbau der DDR über mehr als 104 Niederlassungen im Ausland.

3. Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit für heranwachsende mittelständische Unternehmen und den Dienstleistungssektor. Auch die neue Softwarebranche selbst hat enge, technisch orientierte Kooperationen anzustreben.

Gleichzeitig muß der Ausbau des Binnenmarktes sowie die Erhaltung und Erweiterung des Exports betrieben werden.

Kooperation setzt Initiative frei

Kooperation in der Softwarebranche kann auf diesem Wege entscheidende Initiativen freisetzen und die Dynamik der Wirtschaftsentwicklung in dem Maße fördern, in dem dieser Zweig die Bedingungen für eine günstige Kapitalverwertung schafft.

*Konrad Hochhold ist Geschäftsführer der CP&S Cöpenicker Projekt & Service GmbH in Ost-Berlin +