Informatiker in Verlagen

Aufbruch ins Online-Zeitalter

23.04.1999
Mit neuen Dienstleistungen und Produkten versuchen Verlage, einen Fuß in das Internet-Geschäft zu bekommen. Dafür brauchen sie Kenner der Branche, die auf dem neuesten Stand der Technik sind. von Angelika Fritsche*

Apokalypse oder Aufbruch in ein neues, goldenes Zeitalter: In der Verlagsbranche betrachtet man die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien mit gemischten Gefühlen. Während die Großen der Zunft wie Bertelsmann längst eigene, lukrative Geschäftsfelder im Umfeld von Internet und Multimedia aufgebaut haben, zögern die kleineren Verlage, mit voller Geschwindigkeit auf dem Datenhighway zu starten.

"Die Tageszeitung wird das Medium Nummer eins bleiben", stellte kürzlich Peter Esser, Verleger der Mittelbayerischen Druck- und Verlagsgesellschaft, anläßlich der Jahrestagung des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger fest. Er fügte jedoch hinzu: "Der Markt ist in Bewegung." Damit spielte der Verleger vor allem auf die Chancen und Risiken des Internet an. Einerseits bietet es den Verlagen neue Vertriebswege für ihre Produkte. Andererseits entstehen multimediale Konkurrenzprodukte, die Anzeigenkunden und Abonnenten abspenstig machen können.

Die persönliche Zeitung aus dem Drucker

Kostenlose Online-Dienste, allein finanziert über Anzeigenschaltungen, locken einstige Zeitungsleser ins Internet. Eine Untersuchung von Pointcast, dem führenden US-Nachrichten- und Informationssender im Internet, der Ende 1998 auch in Deutschland startete, belegt diesen Trend: Demzufolge nutzen 46 Prozent der weltweit 1,2 Millionen Pointcast-Kunden die Informationsquelle Zeitung weniger als früher. Robert Sofman, Senior Vice-President von Pointcast, prognostiziert: "Bald wird man je nach Informationsbedürfnis eine ganz persönliche Zeitung aus dem Drucker nehmen können." Für die Amerikaner steht fest: "Die Zukunft der Zeitung ist digital." In Deutschland macht sich immerhin das Bewußtsein breit: "Wenn die Zeitungsverlage nicht aufpassen, werden sie die Sattler des 20. Jahrhunderts", zitiert Astrid Riedel, Geschäftsleiterin der Donau Online GmbH, einen Insider-Spruch. Donau Online wurde 1996 als eigenständiger IT-Dienstleister mit Hauptsitz in Regensburg von

der Mittelbayerischen Druck- und Verlags-GmbH gegründet. Das Unternehmen betreut neben verlagsinternen Projekten auch Fremdkunden in der Region. Donau Online bietet "die Plattform für die Inhalte der Mittelbayerischen Zeitung", so Riedel. Gerade an der Schnittstelle zu Anzeigenabteilung und Redaktion sei es eine der wichtigsten Aufgaben ihres Teams, "das Thema Internet in die Köpfe zu bringen".

Mit der Gründung eines eigenen IT-Dienstleisters hat der Verlag die Konsequenzen aus dem sich wandelnden Medienmarkt gezogen. "In Zukunft werden die Verlage Printprodukte durch virtuelle Parallelpublikationen ergänzen müssen", skizziert Eugen Emmerling vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Frankfurt. Für die Verlage und ihre Dienstleister bedeutet dies aber auch, daß sie Mitarbeiter mit IT-Kenntnissen und Internet-Erfahrungen benötigen. "Ein Informatikstudium ist nicht unbedingt Voraussetzung. Allerdings sollte man HTML-Kenntnisse mitbringen und sich mit Netzwerktechnologien auskennen", faßt Riedel zusammen. Bei Donau Online arbeiten derzeit drei Festangestellte und bis zu zehn freie Mitarbeiter, die meisten davon Studenten - angefangen bei Informatikern über Biologen bis hin zu Kunsthistorikern. Quereinsteiger haben gute Chancen, wenn sie sich mit Enthusiasmus auf die neuen Medien stürzen, meint die promovierte Physikerin Riedel, die selbst als

Seiteneinsteigerin in die IT-Branche gekommen ist.

Einen ähnlichen Weg wie die Mittelbayerische Zeitung wählte auch der Verlag des Schwarzwälder Boten, der täglich zwischen Pforzheim und dem Bodensee sowie zwischen dem Schwarzwald und der Schwäbischen Alb erscheint. Mit der Gründung der Tochtergesellschaft DIG (Digital Information Group) GmbH & Co. KG wurde 1995 der Grundstein für den Einstieg im Bereich Multimedia und Internet gelegt. DIG fungiert heute als Unternehmensberatung, Multimedia-Agentur und regionaler Provider "SWOL". Mittlerweile hat sich SWOL zum größten regionalen Provider in Baden-Württemberg entwickelt - mit rund 8000 Privat- und 350 Geschäftskunden.

Auch beim Schwarzwälder Boten hat man über Sinn und Unsinn eines Online-Engagements diskutiert. "Nach der elektronischen Aufbruchstimmung in den 80er Jahren und der unerfüllten Prognose vom Btx-Zeitalter standen wir der vorherrschenden Internet-Euphorie skeptisch gegenüber", schildert DIG-Geschäftsführer Carsten Huber. Die Entscheidung, als Provider aufzutreten, fällte der Verlag schließlich aus folgenden Gründen: "Als Zeitungsverlag wollen wir uns auch online als Informationsgeber und Träger für Werbung profilieren. Zudem wollten wir den Zeitvorsprung nutzen, solange der Markt noch nicht verteilt ist."

Um diese Aufgaben bewältigen zu können, setzt man bei DIG auf Mitarbeiter mit einschlägigem IT-Know-how (siehe auch Kasten). Mindestanforderungen sind

Grundlagen der Informatik, Netzwerkkenntnisse, Wissen über Betriebssysteme und Internet, Programmierung beziehungsweise algorithmisches Denken sowie Teamfähigkeit und Flexibilität. Gesucht werden vorrangig Kräfte für das Netz-Management, den Vertrieb und die Projektleitung des Online-Dienstes.

Der Informatiker Mark Siedler ist Geschäftsführer, technischer Leiter und einer von vier Gesellschaftern der Universum online Webservice GmbH, einer Tochtergesellschaft der Universum Verlagsanstalt GmbH KG, Wiesbaden. Der 29jährige hat bereits während seines Studiums in Koblenz Erfahrungen in objektorientierter Programmierung gesammelt und sich Internet-Know-how angeeignet. Siedler kam im vergangenen Jahr zu seinem jetzigen Arbeitgeber und hat den verlagseigenen IT-Dienstleister mit aufgebaut: "Wir haben die Tätigkeiten im Bereich IT, Online- und Offline-Medien konzentriert, um nach außen hin präsenter zu sein." Seine Firma versteht sich als "Dienstleister im Internet-Sektor" - von der Beratung über die Konzeption bis hin zur Realisierung von Plattformen im Internet. Für die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg realisiert man gerade eine Internet-Plattform für einen Informationspool in sieben Sprachen rund um die Themen Ausbildung, Studium und

Beruf in den Ländern der Europäischen Union.

Gehaltsgefüge gerät schnell ins Wanken

Um ein solches Projekt erfolgreich umsetzen zu können, müssen Siedler und seine Mitarbeiter Hand in Hand mit den anderen Abteilungen des Verlages arbeiten. "Eine enge Absprache mit der Redaktion ist notwendig, um die Inhalte mit der Technik abzustimmen und den Blick auf die Bedürfnisse des Kunden nicht aus dem Auge zu verlieren." Die Tätigkeit an der Schnittstelle zu den Kunden und "die Integration zwischen den Konzeptionisten und den Entwicklern" empfindet der Informatiker als besondere Herausforderung.

Um optimale Lösungen zu finden und etwas Neues zu entwickeln, müssen Siedler und sein neunköpfiges Team immer "wissen, was zur Zeit im Internet machbar ist und welche vergleichbaren Angebote bereits existieren". Dafür müsse man nicht unbedingt Informatik studiert haben, auch wenn eine solche Ausbildung die tägliche Arbeit erleichtere: "In der Schnittstellenfunktion zwischen Redaktion, Kunden und unseren Programmierern haben wir als Informatiker Vorteile, weil wir uns eher in andere hineinversetzen können - dafür ist die Ausbildung im Fach Informatik sehr gut geeignet."

Allerdings ist es für die Verlage und ihre IT-Dienstleister angesichts des harten Wettbewerbs um IT-Nachwuchskräfte nicht immer leicht, Informatiker oder Experten mit Internet-Know-how oder E-Commerce-Erfahrungen für sich zu gewinnen. Der Markt ist leergefegt. Darüber klagen sogar die Global Player. Als Zünglein an der Waage kann sich dann recht schnell das Gehalt entpuppen. Und hier haben vor allem die kleinen und mittleren Verlage schnell das Nachsehen. Wenn ein gestandener Redakteur mit zehnjähriger Berufserfahrung um die 85 000 Mark Jahresgehalt bezieht, gerät das Gehaltsgefüge schnell ins Wanken, wenn ein frisch gebackener Informatiker mit 80 000 Mark und mehr einsteigen will. Dabei sind die regionalen Gegebenheiten zu beachten: Der Schwarzwälder Bote bietet seinen IT-Nachwuchskräften anfangs Jahresgehälter um die 60 000 Mark und hat nach eigenen Angaben bisher keine Probleme, die vakanten Jobs zu besetzen. In den nördlicheren Regionen hingegen

sucht die Verlagsbranche oft monatelang vergebens nach IT-Spezialisten und muß sich schließlich mit Quereinsteigern begnügen - die Gesetze der Marktwirtschaft entfalten im Zeitalter des Cyberspace ihre volle Wirkung.

*Angelika Fritsche ist freie Journalistinin Bonn.