Mittelständische ERP-Software-Lieferanten rücken von Microsoft ab

Auf zu neuen Linux-Ufern

12.03.2004
MÜNCHEN (ajf) - Kleinere ERP-Anbieter haben viele Sorgen: SAP quält sich in den Markt hinein, Microsoft hat sich bereits eingekauft, und zwischen allen Fronten steht der klamme Anwender auf der Investitionsbremse. Im Open-Source-Betriebssystem Linux bietet sich mittelständischen Softwarehäusern nun ein erfolgversprechender Weg in die Zukunft.

Werner Strub, Chef der Karlsruher Abas Software AG, hat etwas von einem Pionier. Der mittelständische ERP-Lieferant lässt seinen Kunden die Wahl des Server-Betriebssystems zwischen verschiedenen Unix-Derivaten, Microsoft und Linux - Letzteres bereits seit 1995. Er sei damals von seinen Entwicklern mit der Open-Source-Software "überrascht" worden, sagt Strub rückblickend und räumt ein: "Ich habe zuerst gar nicht gewusst, worum es sich dabei dreht, und die Leute einfach mal machen lassen." Ausgezahlt hat sich das Laissez-faire für das Unternehmen, denn "kurz danach kam der erste Linux-Kunde." Inzwischen läuft rund die Hälfte aller Abas-Installationen auf dem offenen System.

Server-Umstieg nur komplett

"Mittelständler wollen Linux", sagt auch der Flensburger IT-Berater Lukas Mensinck. Als Hinderungsgrund habe sich bislang aber oft erwiesen, dass viele ERP-Programme nicht unter dem quelloffenen Betriebssystem einsetzbar waren. Mensincks Begründung: "Wenn Mittelständler umsteigen, dann komplett." Schließlich soll die Server-Landschaft "aus einem Guss" sein.

Doch die Zeiten ändern sich, und mit ihnen auch die ERP-Anbieter - halb wurden sie gezogen, halb sanken sie dahin. Im Jahr 2004 ist Abas beileibe kein Einzelfall mehr, Linux gewinnt zunehmend Anhänger unter den Lieferanten von betriebswirtschaftlicher Standardsoftware. Firmen wie Infor und Proalpha unterstützen schon länger das Open-Source-OS, CSB-System hat seinen CeBIT-Stand im vergangenen Jahr provokant zur "Microsoft-freien Zone" erklärt. Die Ulmer Wilken GmbH setzt seit rund zwei Jahren auf Linux, Soft M und Bäurer starten in diesem Jahr mit neuen Programmen. Die Verfügbarkeit von ERP-Systemen sei ein wichtiger Faktor für die Verbreitung von Linux, glaubt IT-Berater Mensinck, denn "Open Source kommt dadurch aus der ,Freak-Ecke'' heraus".

Inzwischen stimmen auch die technischen Rahmenbedingungen, so dass sich Linux für die gesamte Bandbreite im Mittelstand eignet. Das Betriebssystem läuft auf allen gängigen Server-Prozessoren, zudem sind die Release-Zyklen der Distributionen in die Länge gezogen worden, was eine gewisse Planungssicherheit für die Nutzer verspricht. Schließlich stehen J2EE-Server auf Open-Source-Basis wie Jonas, Geronimo oder Jboss günstig zur Verfügung.

Wohin die Reise geht, zeigen auch die jüngsten Zahlen von IDC. Im vierten Quartal 2003 wuchs die Summe der weltweit ausgelieferten Linux-Rechner um über 52 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Unix-Maschinen konnten nach Stückzahlen nur um zwölf Prozent zulegen. Während der Unix-Umsatz um knapp ein Prozent stieg, kletterte das Linux-Marktvolumen um 63 Prozent. Windows-Server expandierten nach Stückzahlen um 23,3 Prozent, der Umsatz wuchs gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 16 Prozent. Allerdings konnte das Unix-Lager erstmals seit elf Quartalen wieder einen Umsatzanstieg verzeichnen. Zudem ist das Marktvolumen (und der Preis) der proprietären Maschinen noch deutlich größer. Wurden zuletzt mit Unix-Servern 5,1 Milliarden Dollar eingenommen, belief sich der Umsatz mit Linux-Maschinen lediglich auf 960 Millionen Dollar. Doch der Druck auf die Unix-Gemeinde wächst: "Was mit Web-Servern angefangen hat", kommentierte IDC-Analystin Jean Bozman die Linux-Entwicklung, "orientiert sich nun Richtung Hochleistungs-Computing und Unternehmensanwendungen."

Markt in Bewegung

"Momentan herrscht viel Bewegung im Markt", stellt auch Ralf Gärtner fest - Bewegung in eine Richtung. Der Vertriebsvorstand von Soft M will auf der CeBIT einen Prototypen der hauseigenen ERP-Suite unter Linux präsentieren. Der finanzielle Aufwand für die Portierung sei zu vernachlässigen, nun soll das Business angeschoben werden: "Wir arbeiten an konkreten Vertriebsprojekten und haben Kunden, die zu Linux wechseln wollen." Zwar rechnet Gärtner im laufenden Jahr noch nicht mit einem großen Anteil der Open-Source-Server an allen ausgelieferten Systemen, aber spätestens zur zweiten Hälfte 2005 soll sich dies ändern.

Ein Grund für die Hinwendung zu Open Source ist laut Gärtner, dass sich Anwender "zunehmend von der Microsoft-Abhängigkeit lösen wollen". Kunden seien verärgert worden, als der Konzern im Spätsommer 2001 ankündigte, die Lizenzpolitik zu ändern. Das Argument hört man allerorten, auch IT-Berater Mensinck führt Kostengründe für das allmähliche Umdenken an: "In der Regel ist Microsofts Lizenzmodell mit jährlich anfallenden Gebühren für Mittelständler ungünstig." Dass zuletzt auch noch Windows-Sourcecode im Internet aufgetaucht ist, hat die seit Jahren virulenten Sicherheitsbedenken gegenüber Programmen des US-Konzerns noch verstärkt.

Doch es gibt für den ERP-Mittelstand auch handfeste wirtschaftliche Gründe, die mit den Kundenbedürfnissen nichts zu tun haben. Seit sich Microsoft mit Navision in ihren Markt eingekauft hat, subventionieren die ERP-Lieferanten mit jeder verkauften Windows-Anwendung den großen Wettbewerber in ihrem Kerngeschäft. "Navision ist doch der wahre Grund dafür, dass alle anderen ERP-Anbieter Linux favorisieren müssen", spricht Andreas Lied, Chef der Wilken GmbH, auch vielen Konkurrenten aus der Seele.

Die Ulmer Software-Company, die sich vor zwei Jahren alternativ zu Unix und Microsoft auf das Open-Source-Gleis gestellt hat, migriert jetzt demonstrativ alle hausinternen Desktops auf Linux. Kunden soll so ebenfalls die Scheu vor einem Komplettumstieg genommen werden, die Company selbst will dabei auftretende Probleme erkennen. Linux auf dem Server, sagt Lied, ist nur das "trojanische Pferd", damit die Anwender das System kennen lernen. "Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Kunden komplett weggehen von Microsofts Gewinnwahn." Operative Gewinnspannen von deutlich über 50 Prozent wie etwa im Office-Segment findet der Wilken-Chef schlicht "nicht seriös". Immerhin liefert Wilken gegenwärtig rund ein Drittel der Anwendungen unter Windows aus, den Rest teilen sich Großrechner und Unix-Maschinen. Linux kommt auf einen Anteil von fünf Prozent. bis Ende des Jahres soll sich der Wert verdreifachen.

Das Potzenzial für den Linux-Markt gilt den ERP-Anbietern schon deshalb als groß, weil viele Mittelständler noch mit Windows NT 4.0 auf dem Server arbeiten. Microsoft stellt den Support dafür jedoch zum Jahresende ein, so dass die Kunden über kurz oder lang um eine Migration auf ein neues System nicht herumkommen. Doch nicht nur Microsoft muss sich auf eine Ablösungswelle einstellen, auch Unix- und OS/400-Rechner sind bedroht. Hier greifen die Kostenvorteile von Linux schon beim Kauf neuer Hardware, zudem verfügen die Anwender in Grundzügen bereits über die technische Kompetenz.

Windows NT und Unix waren einst auch Zielsysteme von Bäurer, einem Anbieter, der im Herbst 2002 Insolvenzantrag stellen musste und seitdem am Neustart arbeitet. Zur CeBIT kommt ein klarer Schnitt mit einer neuen Produktgeneration, deren "Unterbau" komplett verändert wurde, so ein Firmensprecher. Künftig lauten die Zielplattformen Microsoft, Mac und Linux. Eine strategische Partnerschaft mit Suse soll dabei helfen, passende Pakete für den Mittelstand zu schnüren und diesen von den neuen Angeboten zu überzeugen.

Soft-M-Vorstand Gärtner sieht durch das freie Betriebssystem vor allem die Beziehung der ERP-Anbieter zu ihren Kunden gestärkt. Zwar sei die Company dank ihrer Wurzeln in die AS/400-Welt nie komplett von Microsoft abhängig gewesen. Nun bilde sich aber ein starkes Gegengewicht, das den Griff des Softwareriesen lockere - zum Nutzen beider Seiten. "Das ist wie eine Symbiose", sagt Gärtner. Noch etwas sprach für die Portierung: "Die Anwender fragen immer häufiger in ihren Pflichtenheften, ob zumindest eine Option für Linux besteht."

Allerdings sind die über Jahre gepflegten Vorbehalte der IT-Verantwortlichen gegenüber Open Source nicht zu unterschätzen. Anwender haben vielfach Angst vor dem Umstieg, weil sie denken, das neue System sei kompliziert: "Linux ist Unix, und Unix ist schwierig", beschreibt IT-Berater Mensinck ein Klischee. Microsoft habe es zudem geschickt verstanden, den Kunden klar zu machen, dass es für seine Betriebssysteme bereits ausreicht, eine CD einzulegen und zu starten - auch wenn die Realität gelegentlich anders aussieht. Statt technischer Probleme führt Soft-M-Vorstand Gärtner folglich auch die konzentrierte Marketing-Macht als ein Hindernis an: "Microsoft ist ein einzelnes Unternehmen, Linux sind viele Distributoren, Entwickler und Gemeinden." ERP unter Linux bietet zwar den mittelständischen Softwarehäusern neue Chancen für Wachstum, eine automatische Erfolgsgarantie ist jedoch nicht enthalten. Die Anbieter liefen unter anderem Gefahr, sich zu verzetteln und schlechte Portierungen auf den Markt zu werfen, warnt Andreas Zilch von Techconsult, der den Open-Source-Hype etwas relativiert. Zudem "ist die Wettbewerbsintensität im Linux-Bereich bereits auf einem hohen Niveau". Das alles könne die Softwarehäuser in die Bredouille bringen, und "zurückrudern ist so gut wie ausgeschlossen".

Das ist auch nicht immer nötig: Nach neun Jahren Linux-Erfahrung ist für Abas-Chef Strub klar - Migrationen finden nur in eine Richtung statt. "Nicht ein einziger Linux-Anwender ist zurückgewechselt, dieser Schritt stand nie zur Debatte." Das lässt auf eine treue Kundschaft schließen, denn rund 90 Prozent der Abas-Neuinstallationen werden gegenwärtig für das offene System ausgeliefert. "Sie kriegen", bilanziert Strub, "die Leute nicht mehr von Linux weg." Kundenbindung kann auch in der IT-Branche auf freiwilliger Basis funktionieren.

Abb: Gründe gegen den Linux-Einsatz auf dem Server

Anwender bemängeln, dass es zu wenig ERP-Applikationen unter Linux gibt - viele Softwarehäuser haben inzwischen darauf reagiert. Quelle: Techconsult