Junge IT-Firmen haben es bei der Personalsuche schwer

"Auf uns kommt keiner zu"

02.03.2001
Im Wettlauf um die besten Mitarbeiter müssen sich die unbekannten und jungen Internet-Dienstleister einiges einfallen lassen, um gegen die großen Firmen mit gutem Image und hohem Bekanntheitsgrad bestehen zu können. Die neuen Firmen versuchen mit ihrer Unternehmenskultur auf sich aufmerksam zu machen. Von Steven Thomsen*

Wie schaffen wir es, ausreichend qualifizierte IT-Mitarbeiter zu gewinnen? So lautet die wichtigste Herausforderung in den nächsten zwölf Monaten." Dies betonte unlängst der Geschäftsführer Personal der Hewlett-Packard GmbH, Böblingen, Fritz Schuller. Ähnliche Worte vernimmt man auch von vielen schnell wachsenden Unternehmen im IT-Sektor. Die Nachfrage nach ihren Produkten wächst, doch um sie zu decken, fehlen die Mitarbeiter. Deshalb ist "um die wenigen Highpotentials ein regelrechter Kampf entbrannt", beschreibt Ulrich Büchler, Entwicklungsleiter bei der Höft & Wessel AG, Hannover, die Situation. Sogar "Kopfgelder" werden auf sie ausgesetzt.

"Was SAP macht, weiß jeder"

Vor große Schwierigkeiten stellt diese Situation manches Startup-Unternehmen. Ihnen fehlen oft die finanziellen Mittel, um aus dem Wettbewerb um die raren "Perlen" als Sieger hervorzugehen. Zudem können sie im Gegensatz zu den Großen wie SAP und Siemens keinen etablierten Namen in die Waagschale werfen. "Was SAP macht, weiß jeder", betont Karl Müller-Siebers, Präsident der Fachhochschule für die Wirtschaft Hannover (FHDW). "Anders ist es bei vielen Startups. Sie werden, wenn sie sich auf Messen präsentieren, oft gefragt: Was macht ihr eigentlich? Und: Wird es euch in drei Jahren noch geben? Bei SAP fragt das niemand."

Mit solchen Problemen kämpfen Unternehmen wie Pixelpark, Brokat und Höft & Wessel nicht mehr. Sie zählen zu den Etablierten der New Economy. Trotzdem fallen auch ihnen die benötigten Mitarbeiter nicht einfach zu. Die Probleme dieser Firmen resultieren vor allem aus dem schnellen Wachstum. So ging zum Beispiel bei Pixelpark die Zahl der Mitarbeiter innerhalb von drei Jahren von achtzig auf heute über 800 hoch. Brokat startete 1994 mit fünf Beschäftigten. Heute sind 1100 Mitarbeiter weltweit auf der Gehaltsliste.

Doch woher die benötigten Mitarbeiter nehmen? Die klassische Antwort auf diese Frage lautet: eine Stellenanzeige in einer überregionalen Tageszeitung oder Fachzeitschrift schalten. Das allein reicht allerdings nicht mehr aus. "Wenn wir einen Betriebswirt oder einen Juristen suchen, liegen wir vielleicht richtig. Doch für einen Web-Designer oder Java-Spezialisten müssen wir andere Wege beschreiten", glaubt zumindest Heike Ziegler, Geschäftsführerin der 1998 aus dem Fraunhofer-Institut für grafische Datenverarbeitung hervorgegangenen vrcom Gesellschaft für immersive Visualisierungslösungen mbH in Darmstadt.

Recruiting via Internet

Beispielsweise Recruiting übers Internet. Diesen Weg nutzen wohl alle Startups. Mit Stellenanzeigen in elektronischen Jobbörsen und auf ihren Homepages versuchen sie, die Aufmerksamkeit potenzieller Bewerber auf sich zu lenken. Hiermit sind IT-Unternehmen und Internet-Dienstleister wie Brokat und Pixelpark gut gefahren. Skeptischer äußert sich Ulrich Büchler von Höft & Wessel: "Unsere Erfahrungen sind durchwachsen."

Ein Patentrezept zum Suchen von Mitarbeitern gibt es offenbar nicht. Jedes Unternehmen muss seine eigene Strategie entwickeln. Dabei lautet die Devise: Alles ist erlaubt! Nur eines ist verboten: sich der Illusion hingeben, dass die Bewerber allein den Weg zum Unternehmen finden. "Wir müssen schon selbst aktiv werden", betont Torsten Körting, Geschäftsführer der Inetvision GmbH, Eschborn. "Auf Initiativbewerbungen zu warten", versichert auch Jérôme Niemeyer, Leiter Personalentwicklung bei Pixelpark, "würde das Unternehmen in seinem Wachstum lähmen."

Der Berliner Multimedia-Dienstleister nutzt ein ganzes Bündel von Methoden, um die begehrten Mitarbeiter mit System zu suchen. Auch die Zusammenarbeit mit Personalberatern zählt dazu. Zudem kooperiert das Unternehmen mit dem Arbeitsamt und mehreren Hochschulen. Ähnlich ist es bei Brokat. Auch bei den Schwaben spielt das Hochschul-Marketing eine wichtige Rolle. "Wir sind regelmäßig auf Karrieremessen vertreten", betont Marion Dedora, Vice President Human Resources & Administration bei Brokat.

Ein Startup mit einer Handvoll Mitarbeiter kann die Mitarbeitersuche noch nebenbei erledigen. "Schließlich muss es, selbst wenn es seine Mitarbeiterzahl verdoppelt", so Kirchhoff, "nur fünf, sechs Neue integrieren. Zudem kennen seine Gründer in der Startphase meist noch einige Kumpels, die sie zum Mitmachen motivieren können." Ab einer gewissen Größe ist das Recruiting per Rundruf aber nicht mehr möglich. Dann sind Profis gefragt. "Spätestens ab fünfzig Mitarbeitern", so Dedora, "ist eine Personalabteilung nötig."

Als wesentlichen Pluspunkt gegenüber den etablierten Unternehmen führen die jungen Internet-Dienstleister ihre Unternehmenskultur ins Feld. Ein äußeres Zeichen dafür sei die Duz-Kultur, die in vielen Startups selbstverständlich ist. Dieses formlose Miteinander prägt die gesamte Unternehmensstruktur. Starre Hierarchien fehlen. "Unter unseren ´Pixeln´", erklärt Niemeyer, "müssen die Ideen fließen. Dem würden schwer überwindbare Hierarchien und Bereichsgrenzen im Weg stehen. Wir pflegen sozusagen eine Hierarchie der besten Ideen." Ähnlich beschreibt Körting die Arbeitsatmosphäre in seiner Firma: "Wir legen großen Wert auf einen familiären und spielerischen Umgang." Diese Atmosphäre werde gezielt gefördert. So existieren bei Inetvsion so genannte Incentive-Areas. Dort können die Mitarbeiter zum Beispiel zur Entspannung Billard spielen.

Kultureller Background

Doch letztlich ist dies nur schmückendes Beiwerk. Wichtiger ist den jungen Wilden im IT-Sektor die Arbeits- und Kommunikationskultur. "In der IT-Branche können Topleistungen nur von Teams erbracht werden", versichert Büchler. "Das setzt einen regen Gedanken- und Ideenaustausch voraus." Folglich müssen die Mitarbeiter nicht nur über Fachwissen verfügen. Auch ihre Kommunikations- und Kritikfähigkeit sollte überdurchschnittlich entwickelt sein - außerdem ihre Teamfähigkeit. Niemeyer hierzu: "Unsere Mitarbeiter müssen problemlos mit anderen Berufsgruppen und Personen mit einem anderen kulturellen Background in Projektteams zusammenarbeiten können". Dies schränkt die Zahl der geeigneten Bewerber weiter ein.

Trotzdem möchte keiner der befragten Personalverantwortlichen die Anforderungen an die künftigen Mitarbeiter verwässern. "Das würde auf Dauer unseren Teamgeist gefährden", betont einer der Befragten. Auf Nachfrage gesteht er jedoch: "Manchmal müssen wir uns zwischen Scylla und Charybdis entscheiden." Das heißt: Wenn nach zwei, drei Monaten der ideale Mitarbeiter nicht gefunden ist, erhält eben doch ein Bewerber den Zuschlag, der beim ersten Sichten durchs Raster fiel. Irgendjemand muss den immer höher werdenden Stapel Arbeit schließlich abtragen.

*Steven Thomas ist freier Journalist in Darmstadt