Netzbetreiber könnten aus Standortwissen Kapital schlagen

Auf Schritt und Tritt beim Kunden

20.04.2001
Wer zahlt, schafft an, denken die meisten Netzbetreiber, die viel Geld in UMTS-Lizenzen gesteckt haben. Neben der Infrastruktur möchten sie deshalb auch selbst für Dienste und Content im Mobilfunk von morgen sorgen. Von Herbert Schmid*

Rund um den künftigen Standard Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) erlebt die deutsche Mobilfunkbranche seit dem vergangenen Jahr eine spannende Entwicklung. Im Sommer 2000 investierte sie fast 100 Milliarden Mark in Lizenzen, doch derzeit überwiegt die Skepsis, ob sich diese Investitionen jemals amortisieren werden. Wollen die Netzbetreiber ihre Unkosten wieder einspielen, müssen sie zusätzliche Geschäftsfelder erschließen, die neue Umsatz- und Gewinnpotenziale eröffnen. Problematisch ist dabei jedoch, dass sich auch Anbieter aus ganz anderen Branchen, die nicht in Lizenzen investieren mussten, in Richtung UMTS-Markt orientieren: Es sind Unternehmen der Old Economy und Startups, die im Mobilfunkgeschäft von morgen ihre Chance wittern und selbst Dienste mobil anbieten wollen. So stellt sich die Frage: Wird es den Netzbetreibern gelingen, sich in diesem neuen Wettbewerbsumfeld über ihre traditionelle Rolle hinaus zu positionieren und die UMTS-Investitionen von roten in schwarze Zahlen zu wandeln?

Die Logik in der Mobilfunkwelt war bislang relativ einfach: Jeder Kunde produzierte im Grunde genommen seine Inhalte durch die Sprachkommunikation selbst. Die Rolle des Netzbetreibers beschränkte sich im Kern auf den Verbindungsaufbau, die Gesprächsübertragung, die Abrechnung sowie vereinzelte Mehrwertdienste wie Telefonauskunft oder Vermittlung. Die mobile Datenübertragung führte wegen der geringen Geschwindigkeit bisher nur ein Schattendasein. Doch mit den höheren Geschwindigkeiten, die durch neue Technologien wie UMTS und auch dessen Vorläufer GPRS möglich werden, erreicht das Geschäft mit mobilen Daten für die Carrier nun eine ganz neue Dimension.

Neue MärkteSobald Kunden den Mobilfunk nutzen, um mittels schneller Datenübertragung ins Internet zu gelangen, einzukaufen oder Musik sowie Videos zu konsumieren, gewinnen für die Netzbetreiber komplett neue Märkte an Relevanz: Die Rede ist von Handel, elektronischen Medien, medial erbrachten Dienst- und Vermittlungsleistungen. Im Mobilfunk der dritten Generation konkurriert der Netzbetreiber nicht mehr nur mit anderen Netzbetreibern, sondern nun auch mit Verlagen, Banken und Kaufhäusern.

Die meisten Netzbetreiber fühlen sich deshalb heute zum Vielfrontenkrieg herausgefordert und beanspruchen das neue Terrain erst einmal für sich. Wohl auch, um die Investoren zu beruhigen und ihnen Inhalte aufzuzeigen, womit die investierten Milliarden zurückzugewinnen sind. Wie aber das neue Terrain genau aussieht, und mit welchen Inhalten dort Gewinn generiert werden soll, darüber hüllen sich die Netzbetreiber in Schweigen: UMTS sucht seine Inhalte noch.

Inhalte lassen sich grundsätzlich in zwei Kategorien einteilen: zum einen die bisher schon vermarkteten Dienste, die nun lediglich über eine mobile Plattform zum Kunden gelangen, und zum anderen wirklich innovative Angebote, die erstmals durch die Mobilität breitbandiger Datenübertragung möglich werden. Der alte Wein in neuen Schläuchen besteht darin, Leistungen, die heute bereits nachgefragt werden, in anderer Form und über die UMTS-Plattform dem Verbraucher zur Verfügung zu stellen. Das ist beispielsweise die mobile Nachrichtensendung oder die Möglichkeit, Bücher statt über das Internet mit dem Handy zu bestellen.

Neue DiensteDer Netzbetreiber kann aber auch völlig neue Serviceleistungen anbieten, die es vorher in dieser Form nicht gab und die erst durch ihre Mobilität und Aktualität in Ort und Zeit einen Mehrwert darstellen. Das kann zum Beispiel der Einkaufsführer sein, der nicht mehr nur Adressen in der ganzen Stadt vermittelt, sondern sich auf jene beschränkt, die sich im Umkreis von 500 Metern des aktuellen Kundenstandorts befinden. Angereichert werden solche Services mit bewegten Lageplänen und aktuellen Sonderangeboten. Denkbar ist auch ein Stauservice, der minutenaktuell die für Standort und Fahrtziel des Kunden relevanten Verkehrsmeldungen übermittelt. Hier wird ein wirklich neuer Markt geschaffen, für dessen Services Kunden auch zu zahlen bereit sind.

Für die Netzbetreiber wird die Wettbewerbsdifferenzierung besonders in den Bereichen schwierig, die unmittelbar mit der Old Economy konkurrieren. Wettbewerbsvorteile entstehen hingegen dort, wo die innovativen Leistungsmerkmale des UMTS-Netzes einen echten Mehrwert generieren können.

Bei mobilen Diensten, die in Konkurrenz zu den angestammten Geschäftsfeldern der Old Economy stehen, werden sich nur Wettbewerbspositionen verschieben und Marktanteile umverteilen. Fest steht, dass keine neuen Umsatzpotenziale entstehen. Die Pauschalreise, die bisher im Reisebüro gebucht wurde, kann künftig auch über das Handy abgeschlossen werden - nur wegen UMTS wird aber niemand einen zusätzlichen Urlaub machen. Der Netzbetreiber kämpft also gegen die starken Kräfte etablierter Unternehmen, die in ihrer Branche über Größen- und Verbundvorteile durch Synergien mit schon bestehenden Distributionskanälen sowie über Erfahrung und Markenkompetenz verfügen.

Neue MargenDarüber hinaus sind die Margen der etablierten Unternehmen der Maßstab für dasselbe Geschäftsmodell in UMTS: Verkauft eine Fluglinie ein Ticket mit einer Provision von fünf Prozent für das Reisebüro oder mit einem Aufwand von weniger als einem Prozent über den eigenen Online-Kanal, wird sich auch der Verkauf über ein Mobilfunknetz in dieser Größenordnung bewegen. Um Erfolg zu haben, muss der Netzbetreiber also eine wettbewerbsfähige Unternehmensgröße und Servicequalität erreichen, die der Kunde aus klassischen Kanälen gewohnt ist.

Das gleiche Prinzip gilt für Einnahmen, die Mobilfunkbetreiber aus der Vermarktung des Netzes als Werbeträger anvisieren: Kontaktpreise in Tausendstück-Kategorien werden UMTS mit anderen Werbeträgern vergleichbar machen. Was die Größenordnungen des mobilen Werbemarktes betrifft, so empfiehlt sich hier eine maßvolle Orientierung an den sonstigen Werbeträgern wie Fernsehen oder Print, die heute und wohl auch bis auf Weiteres den Löwenanteil der Werbeumsätze auf sich vereinen werden. Betrachtet ein Netzbetreiber seine geplanten Werbeeinnahmen hiervon losgelöst nur in Relation zu den eigenen Mobilfunkumsätzen, sind Fehleinschätzungen unvermeidlich. Ein Mehr an Personalisierung und ein Weniger an Streuverlust sind die eigentlichen Vorteile der UMTS-Werbung - dass sie jedoch zum Tragen kommen, hängt davon ab, ob und in welchem Maße sich der Kunde von der Werbung berieseln lassen will.

Die Chance, Gewinne zu schreiben, dürfte für Netzbetreiber vor allem in solchen Diensten liegen, deren eigentliche Innovation auf ihrem Mehrwert durch Mobilität beruhen. Jeder Carrier hat in diesem Fall einen "Heimvorteil", weil sich der Kunde in seinem Netz bewegt und er zu jedem Zeitpunkt weiß, wo sich der Teilnehmer gerade aufhält. Dieses Wissen um den Standort macht den eigentlichen Mehrwert des Dienstes und das Umsatzpotenzial für den Carrier aus, weil branchenfremde Anbieter über diese Funktionalität selbst nicht verfügen. Auch Daten über den Kunden oder über sein Nutzungsverhalten können im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten ein Differenzierungsmerkmal für den Netzbetreiber sein.

Um ihre Wettbewerbsvorteile auszuschöpfen, sollten Mobilfunk-Netzbetreiber zunächst ihre objektiv vorhandenen Differenzierungspotenziale gezielt ausbauen und professionell vermarkten. Wesentliche Ansatzpunkte sind hierbei:

-Die intelligente Vermarktung der Lokalisierungsdaten und sonstiger technischer Leistungsmerkmale des Netzes, beispielsweise Identifikations-, Abrechnungs- und Sicherheitsfunktionen. Vermarkten lassen sich diese entweder direkt an die Endkunden oder indirekt an Unternehmen, die diese Features in ihre Angebote integrieren wollen.

-Das Erreichen einer wettbewerbsfähigen Kostenposition; Voraussetzung ist eine entsprechende Unternehmensgröße, um Economies of Scale zu erzielen. Die globale Konzentration der Mobilfunker weist hier die Richtung.

-Investitionen in CRM-Systeme, die es erlauben, Kundenpräferenzen zu erkennen und diese schnell in zielgruppenadäquate und personalisierte Angebote umzusetzen. Das Kapital, das Netzbetreiber in Form ihres Kundenbestandes besitzen, kann so gezielt in eine Strategie zur Steigerung des Unternehmenswertes einfließen.

-Durch Bündelung einzelner Komponenten zu einer umfassenden und funktionsfähigen Problemlösung. Auf diese Weise kann der Netzbetreiber seinen Kunden einen echten Mehrwert bieten, für den sie auch zu zahlen bereit sind. Ein solcher Mehrwert entsteht beispielsweise durch perfekt aufeinander abgestimmte Inhalte, Endgeräte, spezifische SIM-Karten und Netzfunktionen.

-Aufbau und Management eines funktionierenden Netzwerkes (Ecosystem) von Unternehmen, die gemeinsam die entsprechende Wertschöpfungskette vollständig und kompetent abdecken.

-Es ist nicht entscheidend, alle Komponenten selbst zu produzieren. Im Gegenteil: Nur mit einem Netzbetreiber lässt sich die Komplexität des UMTS-Geschäftes und der Brückenschlag zwischen "Old" und "New" Economy bewältigen.

-Kooperation mit Partnern im Innovationsprozess, um schnell und laufend neue Dienste vor den Wettbewerbern auf den Markt bringen zu können.

Dort, wo mobile Dienste und Inhalte sehr komplex oder im Wettbewerb austauschbar zueinander stehen, gewinnen hingegen neue Differenzierungsstrategien an Bedeutung, die nicht mehr nur den Grundnutzen oder die Funktionalität des Angebotes im Fokus haben. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Kommunikation, die erforderlich ist, um die Erwartungen der Kunden zu managen. Die marktschreierische Erfindung des "mobilen Internet" - Stichwort Wireless Application Protocol (WAP) - hat schon genug falsche beziehungsweise verfrühte Hoffnungen beim Konsumenten geweckt, die bis auf Weiteres nicht zu erfüllen sind: Der Verbraucher erwartet nämlich mindestens die Geschwindigkeit, Darstellungsqualität und meist auch noch die Kostenfreiheit, die er vom "normalen" Internet gewohnt ist.

Außerdem muss die Verliebtheit der Branche in die Technologie, deren kuriose Abkürzungen bis in die Werbung dringen (Beispiele: GSM, GPRS, UMTS, WAP, HSCSD, T-D1-SMS), ein Ende haben. Stattdessen sollte die Marketing-Kompetenz in den Vordergrund rücken, mit der das Netz als Dienstleistungsmarke etabliert und zum Vertrauensträger in einem Umfeld permanenter, für den Laien schwer nachvollziehbarer Innovationen wird. Markenkompetenz wird im Wettbewerb mit bislang branchenfremden Konkurrenten zu einem zentralen Kriterium für die Kaufentscheidung des Kunden.

Wer sich als Netzbetreiber an den Regeln des Marktes und den Erfolgsstrategien orientiert, hat die besten Chancen, nicht nur seine Investitionen zu amortisieren, sondern auch Gewinne einzufahren. Die Entwicklung in der UMTS-Branche bleibt spannend. Welche Gestaltungsvielfalt möglich ist, muss sich erst noch zeigen.

*Herbert Schmid ist Berater der A.T. Kearney GmbH in München.

Abb.1: Wertschöpfungsketten

Durch mobile Datendienste wie GPRS und UMTS verändert sich die Welt des Mobilfunks fundamental. Quelle: A.T. Kearney

Abb.2: Mobilfunk-Netzbetreiber

Überschätzen die Carrier ihre Rolle im mobilen Internet? Quelle: Forrester, A.T. Kearney