CeBIT 2014

Auf Industrie 4.0 folgt die Smart-Service-Welt

11.03.2014
Von 


Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Industrie 4.0 ist die Basis einer digitalisierten Wirtschaft. Maximale Geschäftsnutzen erzielen Unternehmen durch Smart Services. Vertreter aus Industrie und Forschung haben dafür notwendige Handlungsempfehlungen formuliert und der Politik übergeben.

Smart Services entstehen, wenn intelligente und vernetzte Produkte auch nach dem Verkauf Kontakt zum Hersteller halten können, so dass die Wertschöpfung rund um die gefertigte Ware nicht am Fabriktor endet. Die Produzenten können so das Produkt über seinen gesamten Lebenszyklus begleiten, indem sie dem neuen Eigentümer immer wieder neue Zusatzdienste anbieten, etwa zur vorausschauenden Wartung.

Foto: Zentilia & LE image, Fotolia.com

Vier Initiativen für Smart Services

Um den Standort Deutschland im weltweiten Wettbewerb in diesen neu entstehenden Markt frühzeitig und optimal zu positionieren, hat der Arbeitskreis "Smart Services Welt" Handlungsempfehlungen zusammengetragen, die die erforderlichen Rahmenbedingungen für ein prosperierendes Geschäft schaffen. Folgende Initiativen legen sie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) nahe:

  1. Gründung von industriekonvergenten, nationalen Kompetenzzentren für Smart-Services-Plattformen.

  2. Ausbau von Wissensplattformen für unternehmensübergreifenden Produkt- und Serviceentwicklungen.

  3. Erarbeitung einer integrierten Forschungsagenda "Service-definierte Plattform".

  4. Schaffung eines digitalen Binnenmarktes.

Letzteres erachten die Initiatoren insbesondere im Wettbewerb mit den US-Anbietern als wichtig. Die Konkurrenz aus Übersee hat den Vorteil eines großen homogenen Marktes mit einheitlichem Sprachraum. Zudem können die USA auf eine rege Gründerszene im Silicon Valley vertrauen, die Zugang zu erheblichem Risikokapital hat. "Überall dort, wo es um Software und Datenverarbeitung geht, sind die Startups aus Silicon Valley vorn dran", warnte Uwe Weiss, CEO des Predictive-Analytics-Startups Blue Yonder.

Wettbewerb unter bis zur vier Ländern

Frank Riemensperger, Accenture: "Es gibt weltweit vielleicht drei oder vier Länder, die die Voraussetzungen mitbringen, die Infrastruktur für Smart Services zu schaffen."
Frank Riemensperger, Accenture: "Es gibt weltweit vielleicht drei oder vier Länder, die die Voraussetzungen mitbringen, die Infrastruktur für Smart Services zu schaffen."
Foto: Accenture

Derzeit ist das Rennen um die Smart-Service-Welt aber noch völlig offen, vor allem wenn es um die Branchen Energie, Produktion, Gesundheit und Mobilität geht. In vielen Segmenten wähnen die Mitglieder des Arbeitskreises die deutsche Wirtschaft in einer guten Position, weil hierzulande physikalische Güter wie Maschinen und Fahrzeuge produziert werden, die heute bereits vielfach mit digitaler Intelligenz ausgestattet sind. "Es gibt weltweit vielleicht drei oder vier Länder, die die Voraussetzungen mitbringen, die Infrastruktur für Smart Services zu schaffen", sagte Frank Riemensperger, Vorsitzender der Geschäftsführung von Accenture Deutschland. Eine Teilkomponente dieses Vorhaben ist die flächendeckende Breitbandversorgung.

Produktion in Deutschland

Brigitte Zypries, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Deutschland ist gut aufgestellt, wenn es um individualisierte Software und um Themen wie Smart Services.
Brigitte Zypries, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Deutschland ist gut aufgestellt, wenn es um individualisierte Software und um Themen wie Smart Services.
Foto: BMWi

Zumindest grundsätzlich scheint die Bundesregierung bereit, den Vorschlägen des Arbeitskreises zu folgen. Der Berichtsband mit dem Empfehlungen zur Smart-Service-Welt wurde auf der CeBIT sowohl Kanzlerin Angela Merkel als auch Brigitte Zypries, parlamentarische Staatsekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) übergeben. Die konkreten Inhalte des Berichtbandes sind der Politik noch fremd, die Bedeutung einer digitalisierten und vernetzten Industrie für den Standort Deutschland ist hingegen bekannt. "Wir haben in bestimmten Segmenten der IT-Industrie nichts mehr zu bestellen, etwa in der Hardware", räumte Zypries auf einer Pressekonferenz zum Thema ein. "Wir sind aber gut aufgestellt, wenn es um individualisierte Software und um Themen wie Smart Services und Smart Grid geht." Darauf müsse man die Anstrengungen konzentrieren. Um zu veranschaulichen, welche Möglichkeiten eine intelligente Fertigung dem Standort Deutschland bietet, verwies Zypries auf das Beispiel Adidas. Der Sportartikelkonzern plant, Teile der Produkte wieder im Heimatmarkt zu fertigen. Grundlage dafür ist eine intelligente und flexible Produktion.

Vier Schichten für Smart Services

Henning Kagermann, Acatech, Es stehen disruptive Veränderungen in der Wirtschaftswelt bevor.
Henning Kagermann, Acatech, Es stehen disruptive Veränderungen in der Wirtschaftswelt bevor.
Foto: Acatec

Der Arbeitskreis Smart Services Welt setzt mit seinen Erkenntnissen auf die bereits vor einem Jahr entwickelten Ergebnisse zum Thema Industrie 4.0 auf. Die Vernetzung und Digitalisierung von Fabrikanlagen und Produkten ist neben der Basisinfrastruktur (etwa Breitbandnetze) eine wichtige Komponente, um neue Dienstleistungsformen entwickeln und betreiben zu können. Die gesammelten Daten werden über leistungsfähige Netze transportiert, um an zentralen Stellen verarbeitet zu werden. Ein weiterer Bestandteil dieses Modells ist eine softwaredefinierte Plattform, für deren Entwicklung die Arbeitsgruppe eine Forschungsagenda angeregt hat.

Auf dieser Plattform werden die Daten gesammelt, ausgewertet und zur Weiterverarbeitung bereitgestellt. Ein Anwendungsfall könnte etwa ein Servicemarktplatz sein, auf dem technische Daten gehandelt werden. Denkbar sind aber auch Sammelpunkte für sichere persönliche Daten und sowie Dienste zur unternehmensübergreifenden Optimierung von Geschäftsprozessen. Diese Plattformen sind quasi Inhaltelieferant für die darauf aufsetzenden intelligenten Services. "Die technische Infrastruktur wie etwa der Breitbandausbau ist hinreichend", erläuterte Henning Kagermann, Präsident des Wissenschaftsakademie Acatech. "Wirklich disruptive Veränderungen wird es in den oberen drei Schichten der Smart-Service-Welt geben." (siehe Grafik)

Weckruf an die deutsche Wirtschaft, jetzt zu handeln

In der Pflicht sehen die Mitglieder der Arbeitsgruppe die Vertreter der Industrie. Sie sollten sich zügig in Stellung bringen, die notwendigen Maßnahmen auch umzusetzen. "Das Verhältnis von Originalherstellern, Zulieferern und Dienstleistern wird in den kommenden Jahren neu definiert. Internet-Unternehmen investieren bereits in klassische Branchen. Unsere Empfehlungen sind ein Weckruf und ein Beitrag für Deutschlands Digitale Agenda", appellierte Kagermann an die deutsche Wirtschaft.

Weil die Smart-Service-Welt noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung steht, sind die Chancen für deutsche Firmen gut, Leistungen, Produkte und Services von weltweiter Bedeutung zu entwickeln. Potenzielle Wettbewerber im Rennen um die globale Marktführerschaft verorten die Mitglieder Arbeitsgruppe vor allem in den USA, vor allem unter den IT-Konzernen. "Es entstehen neue, digitale Kontrollpunkte, die wir nicht den Internet-Giganten überlassen sollten", warnte Accenture-Geschäftsführer Riemensperger. "Für Unternehmen ist es jetzt an der Zeit, ihren Platz im neuen Ökosystem zu finden. Nur so wird die deutsche Industrie ihre starke Position im globalen Wettbewerb behaupten, wenn nicht sogar ausbauen können."