Altsysteme: Abwarten, ablösen, erweitern oder modernisieren?

Auf Herz und Nieren prüfen

24.09.2002
Der Jahr-2000-Wechsel ist überstanden, der Euro eingeführt. Jetzt ist es Zeit, über eine Modernisierung der kaufmännischen Anwendungssoftware nachzudenken. Jedenfalls dann, wenn fehlende Funktionen und hohe Kosten der Altsysteme schlaflose Nächte bereiten.

DIE HEKTIK rund um das Jahr- 2000-Problem und die gravierenden Konsequenzen der Euro-Einführung haben vielerorts dazu geführt, dass sich clevere IT-Manager selbst geholfen haben. Durch mancherlei Tricks ist es ihnen geglückt, das Risiko einer überstürzten Softwareauswahl und anschließender Softwareeinführung unter enormem Zeitdruck zu vermeiden. Sie haben es geschafft, die beträchtlichen Investitionen in die seit Jahren bewährten Softwaresysteme für das Enterprise- Resource-Planning (ERP) über alle Hürden zu retten.

Jetzt scheint jedoch der Zeitpunkt günstig, die vorhandenen ERP-Systeme einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Genügen die Funktionen in Finanz- und Rechnungswesen, Produktion, Warenwirtschaft oder der Lagerhaltung noch auf absehbare Zeit den Ansprüchen? Man denke nur an Stichworte wie Controlling, Prozessorientierung, Supply- Chain-Management (SCM), Customer- Relationship-Management (CRM) oder

Offen für Neues

E-Business, die auch für den Mittelstand, zumindest in bestimmten Branchen wie Zulieferindustrie oder Handel, immer wichtiger werden.

Oft bleibt da nur die Ablösung der bewährten Systeme. So erging es zum Beispiel der auf „besondere“ Größen von Herrenbekleidung spezialisierten Firma Edler von F. in Mönchengladbach. „Die alte Warenwirtschaft war von einer einzigen Person in Cobol entwickelt und gepflegt worden“, berichtet Alexander Vogt, Teilhaber und Geschäftsführer bei dem Familienunternehmen. „Die Abhängigkeiten und Risiken waren einfach zu hoch, um so weiterzumachen.“

Manfred Grün, DV- und Projektleiter beim Maschinenbauer Drais Mannheim, begründet den Abschied von alter Software so: „Unser Markt hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt.“ Die bisherige Planungs- und Prozess- Steuerung sei nicht mehr flexibel genug gewesen. Gesucht war ein ERP-System, das dem Management auch Informationen über die gesamte Wertschöpfungskette in Echtzeit zur Verfügung stellt - von der Fertigung über Vertrieb, Beschaffung und Lagerverwaltung bis hin zum Finanzmanagement. Ganz ähnlich sieht man das beim Papiergroßhändler Antalis GmbH, der an allen elf Standorten in Deutschland eine neue ERP-Software einführen will, um die IT-Lösungen zu vereinheitlichen. Geschäftsführer Rolf Bechthold lässt sich allein Software und Beratung 300 000 Euro kosten, um die unterschiedlichen Systeme an den verschiedenen Standorten - teils selbstentwickelte Programme, teils Standardsoftware- Insellösungen - durch eine einheitliche ERP-Anwendung zu ersetzen.

Ist die Software noch zu retten?

Typisch ist auch der Fall des Spezialisten für den Fahrzeug-Cockpit-Bau SAS Autotechnik aus Karlsruhe. Insbesondere durch die stetige Erweiterung des Standortnetzes um ausländische Niederlassungen genügte die vorhandene Software laut IT-Projektleiter Achim Kallweit nicht mehr den Anforderungen. Aus solchen und ähnlichen Gründen stellt sich derzeit immer wieder die Grundsatzfrage: Ist unsere Software noch zu retten?

Rettungslos verloren scheint das ERPInvestment, wenn der Anbieter der aktuellenaktuellen Pleitewelle zum Opfer gefallen ist oder kein Programmierer mehr mit dem nötigen Know-how für Anpassungen und Erweiterungen zu finden ist. Doch selbst dann sind noch Auswege möglich, etwa durch objektorientierte Methoden wie die „Verkapselung“ des stabilen ERP-Kerns. Diese Objekte können dann mit zusätzlichen Softwareprodukten oder selbst entwickelten Programmen angereichert werden. Softwarehäuser wie die Green AG oder Better Solutions bieten dabei Unterstützung. Ist der Source-Code jedoch nicht vorhanden, bleibt nur die Ablösung.

Sorgen bereiten Anwendern auch die ständig steigenden Wartungsgebühren. So gab eines der nach Installationszahlen führenden deutschen Softwarehäuser für den Mittelstand, die insolvente Brain AG, kürzlich bekannt, dass zu Jahresbeginn 2003 die „Brain AS“-Wartungskosten um 16 Prozent steigen sollen. Brain-Vorstand Rainer Nagel empfahl denn auch allen Kunden, regelmäßig das Release zu wechseln. „Wir können uns durchaus vorstellen, bei den Alt-Releases auch darüber hinausgehende Erhöhungen der Wartungskosten zu vollziehen.“

Helmut Polzer, ehemaliger Brain-Vorstand, der am 1. Juni 2002 die Green Software Solutions AG aus der Taufe gehoben hat, stellt angesichts solcher Praktiken die Frage, ob die Wartungsgebühren für ERP-Systeme im Mittelstand überhaupt noch zeitgemäß sind: „Welche Leistung steht dem gegenüber?“ Er behauptet, dass die qualitativen Fortschritte der heute sehr ausgereiften ERP-Systeme solche Preise nicht rechtfertigten. Seiner Meinung nach handelt es sich hier „um den Versuch der Finanzierung einer schlechten Geschäftspolitik.“