"Auf Europas DV-Größen warfen noch mehr Partner"

28.08.1992

Mit Helmuth Gümbel, Analyst der Gartner Group, sprach CW-Redakteurin Beate Kneuse.

Die europäischen Computerhersteller Bull, Olivetti und Siemens-Nixdorf kämpfen mehr denn je ums Überleben. Während sich die Franzosen und Italiener von ihren US-Kontrahenten IBM und DEC Rettungsringe zuwerfen ließen, indem Anteile abraten, versucht NI, durch Auslagerung von Geschäftsbereichen und durch erneuten Stellenabbau gesundzuschrumpfen. Die Mittelstandskunden reichten die Münchner an. Werksvertretungen" weiter, die PC-Aktivitäten sollen ab Oktober eigenständig agieren. Ob die jüngsten Planspiele der drei Computermultis indes zu ihrer Stabilisierung fuhren, ist zweifelhaft. Spätestens für die zweite Hayte der 90er Jahre, so glaubt Gartner-Group-Analyst Helmuth Gümbel, ist die Überlebensfähigkeit von Bull, Olivetti und SNI fraglich. "Alle drei werden mit Sicherheit noch mehr Bündnisse eingehen müssen." Das folgende Gespräch mit Gümbel fand statt, - bevor SNI seine jüngsten Sparvorhaben verkündete.

CW: Herr Gümbel, in den vergangenen zwei, drei Jahren ist viel über die Krise der europäischen DV-Hersteller geredet und geschrieben worden. Nun gibt es neue Konstellationen: IBM beteiligt sich an Bull, Digital Equipment, an Olivetti. Siemens-Nixdorf wurde mittlerweile in die Mutter eingegliedert, fährt ein Sparprogramm nach dem anderen, steht aber nach wie vor auf unsicheren Füßen. Wie schätzen Sie die Überlebensfähigkeit de drei Europäer bis 1995 ein?

Gümbel: Bis 1995 könnten sie es gerade noch schaffen, es ist allerdings eine Gratwanderung. Vor allem für die zweite Hälfte der 90er Jahre aber sehen wir die Situation als nicht stabil an.

CW: Was heißt nicht-stabil?

Gümbel: Das heißt, auf Europas DV-Größen warten noch mehr Partner. Alle drei werden mit Sicherheit noch mehr Bündnisse eingehen müssen.

CW: Wenden wir uns zunächst einmal den bisherigen beiden großen Allianzen in diesem Jahr zu. Hat es Sie Überrascht, daß Digital Equipment bei Olivetti eingestiegen ist?

Gümbel: Eigentlich nicht. Beide Unternehmen arbeiten schon längere Zeit zusammen. Die gemeinsamen PC-Aktivitäten gehen auf das Jahr 1988 zurück.

CW: Dennoch ist gerade, in diesem Fall kritisiert worden, daß DEC -von finanziellen Problemen gebeutelt - das Geld besser hätte anlegen können.

Gümbel: Man kann heute sicher nicht absehen, ob dies gut angelegtes Geld war. Wenn ich DEC-Aktionär wäre, würde ich auch Zweifel anmelden. Aber es steckt Potential in dieser Zusammenarbeit. Allerdings habe ich den Verdacht, daß diese Möglichkeiten nicht richtig ausgeschöpft werden. Bisher ist die Zusammenarbeit nur im Rahmen von Lieferbeziehungen im PC-Bereich erfolgt.

CW: Wo sehen Sie denn die Potentiale?

Gümbel: Olivetti ist Spezialist im Umgang mit Massendistributoren. Schließlich gehen die gesamten Low-end-Geräte wie Schreibmaschinen oder PCs über Distributoren. Das ist ein Teil des Marktes, mit dem sich DEC aufgrund der Unternehmensstruktur schwertut. Olivetti wiederum hat im Systemgeschäft große Probleme. Erst seit der Reorganisation vor einem Jahr sind die Italiener in diesem Bereich überhaupt in der Lage, sich zu engagieren.

CW: Wobei es bei Olivetti in den Ebenen, die über PCs hinausgehen, sicherlich auch Produktprobleme gibt.

Gümbel: In der Tat ist das Produktangebot von Olivetti nicht flächendeckend, erscheint eher wie ein Fleckenteppich. An dieser Stelle hat DEC wieder die Nase vorn, weil das Unternehmen nicht nur über eine durchgängige Produktpalette, sondern auch über technisches Know-how im System-Geschäft verfügt. Nur - ob es hier zu Synergien kommt, läßt sich heute noch nicht beantworten. Dann gibt es noch Bereiche, in sich beide helfen könnten, kein Terrain zu verlieren. Das ist das Büro. Dort ist Olivetti traditionell im Endgerätebereich vertreten, hat jedoch bislang wenig im Bereich der Büro-Verbundlösung geleistet. Mit dem Produkt All-in-1 hat DEC auf diesem Gebiet wiederum die Nase vorn. Allerdings ist das Produkt sehr gefährdet. Es hat zwar einen beachtlichen Marktanteil, ist aber nicht mehr modern. Da hat Digital durchaus zu strampeln, um den Anschluß an frühere Erfolge zu halten,

CW: Was ist mit Anwenderlösungen? Hier haben beide Unternehmen noch nicht sonderlich von sich reden gemacht.

Gümbel: Das ist ein weißer Fleck auf der Landkarte. Digital ist zwar zahlreiche Partnerschaften mit kleinen Unternehmen eingegangen, die das Lösungsgeschäft betreiben. Selbst ist man aber nicht in der Lage, beispielsweise über das Beratungsgeschäft Anwenderlösungen zu erschließen oder als Integrator aufzutreten. Olivetti kann dies erst recht nicht.

CW: Die Überlegung von Digital in Sachen Allianz mit Olivetti ging aber auch eher in Richtung der Alpha-Architektur.

Gümbel: Das ist richtig. Olivetti wird Workstations am oberen Ende mit dem Alpha-Chip anbieten. Gerade die Player im RISC-Chip-Markt versuchen zunehmend, -die Lieferbeziehungen durch Kapitalbeteiligungen abzusichern. Ob man sich die Verbindungen zwischen DEC und Olivetti, IBM und Bull oder auch zwischen Silicon Graphics und Mips anschaut: Es fällt auf, daß sich entweder die Inhaber von Technologien in ihre Märkte, also in Abnehmerunternehmen, einkaufen oder Abnehmer sich in ihre Technologielieferanten.

CW: Olivetti wiederum erhält mit Alpha eine neue Architektur zu den vielen, die man schon hat.

Gümbel: So ist es. Olivettis Produktlandschaft wird durch den Alpha-Chip noch stärker zerklüftet. Da gibt es Produkte, die auf Intel-Prozessoren basieren, solche, die auf Mips basieren und künftig welche, die auf Alpha basieren - die sind aber alle nicht binärkompatibel. Es existieren zwar heute allerlei Ansätze, die Inkompatibilität zu übertünchen, aber das ändert nichts daran, daß es für den Benutzer in der Praxis ein Bruch ist. Dieser Bruch verlangt allerlei Ressourcen, um darüber hinwegzukommen.

CW: Ist es nicht erstaunlich, daß die Deal Equipment Corp., deren Gründer und Noch-Chef Ken Olsen ein erklärter Gegner von Übernahmen und Beteiligungen ist, innerhalb von zwei Jahren gleich dreimal zugeschlagen hat?

Gümbel: Das überrascht sicherlich. Weniger überraschend ist indes, daß Digital große Probleme mit diesen Engagements hat. Das Unternehmen verfügt über keinerlei Erfahrung, wie man größtmöglichen Nutzen mit den ganz oder anteilig erworbenen Partnern erzielt. Somit hat Digital bislang noch keine wirklichen Synergien schaffen können - und das wird wohl auch auf weiteres so bleiben. DECs größter Fehler ist, daß man permanent umorganisiert. Wenn man alljährlich eine neue Organisation kreiert, kann man keine Verantwortlichkeiten aufbauen, weil derjenige, der eine Arbeit beginnt, auch weiß, daß er sie nicht zu Ende führen wird, und deshalb nur versucht, innerhalb eines Jahres vorzeigbare Ergebnisse zu erzeugen. Das sind aber oft nur Scheinergebnisse.

CW: Dies trifft aber auch auf Olivetti zu. Der De-Benedetti-Konzern gibt sich ebenfalls ständig eine neue Unternehmensstruktur.

Gümbel: Es ist das gleiche Procedere - vergleichbar mit den Kinderspielen, die davon leben, daß immer ein Stuhl weniger da ist. So ähnlich mutet das bei beiden Firmen auch an.

CW: Einige Monate vor dem Deal zwischen DEC und Olivetti schlossen bereits Bull und IBM einen RISC-Pakt. Wie bewerten Sie dieses Abkommen?

Gümbel: Daß Bull sich für IBM entschieden hat, muß ganz klar als vertrauensbildende Maßnahme der Franzosen für die Kunden bewertet werden. In der Vergangenheit hatte nahezu jeder an größere Kunde Pläne, sich von Bull zu trennen. Zwar sind die Produkte nicht schlecht, aber es fehlt die Sicherheit für die Zukunft. Hier könnte sich die Allianz mit IBM für Bull als Vorteil erweisen.

CW: Obwohl IBM selbst längst nicht mehr der Fels in der Brandung ist.

Gümbel: Die Allianz der beiden Unternehmen fällt tatsächlich in eine Phase, in der IBM dabei ist, sich selbst sehr stark zu restrukturieren und sich dabei durchaus auf einem kritischen Pfad bewegt. In den vergangenen zehn oder 20 Jahren haben wir alle gelernt, IBM als ein Unternehmen zu behandeln, das eine wirklich definierbare Kultur hatte und das zudem mit großer Marktmacht auftrat. Diese Ära ist nun vorbei. In der neuen IBM-Zeitrechnung gibt es viele kleine IBMchen, die sich vollkommen frei auf dem Markt bewegen. Die konkurrieren miteinander, die schaffen Schnittstellen untereinander, wie sie für jeden anderen gelten. Deshalb wird die IBM weitaus schneller eine offene Systemwelt im eigenen Unternehmen einfuhren als andere.

CW: Daß die IBM offene Systeme forciert, ist nur schwer vorstellbar.

Gümbel: Das macht die IBM auch nicht, weil sie es für eine gute Sache hält. Aber so ist es für sie leichter, mit sich selbst fertig zu werden. jede einzelne Geschäftseinheit von IBM, jedes IBMchen, will für sich überleben und Profit machen. Dafür wird man an jeden verkaufen, zur Not auch an die IBM selbst. Dafür aber werden sie keine speziellen Schnittstellen entwickeln, sondern auf handelsübliche Interfaces zurückgreifen. Selbst eine IBM kann sich heute nicht mehr erlauben, Sonderschnittstellen zu entwickeln, um den proprietären Park zu schützen. Außerdem wird auch das Umfeld bei den Anwendern immer heterogener. Das bedeutet, man wird sich mehr und mehr auf offene Systeme konzentrieren,

CW: Wie reagieren eigentlich die Kunden von IBM auf die gegenwärtige Situation, vor allem aber auf die Zersplitterung des Unternehmens in viele Einzelteile?

Gümbel: Sie sind ziemlich verunsichert. Man muß dabei schließlich auch bedenken, daß es bis heute für jeden Entscheidungsträger in den Anwenderunternehmen fast schon eine Beschäftigungsgarantie war, wenn man IBM kaufte. Jetzt beginnt sich das Blatt zu wenden, und wir kommen zu dem Punkt, wo gerade ein solches Kaufverhalten sich beschäftigungsgefährdend auswirken kann.

CW: So schnell werden aber die IBM-verschworenen DV-Manager nicht umschwenken.

Gümbel: Natürlich nicht, zumal viele von ihnen jegliche Flexibilität in der Vergangenheit eingebüßt haben. Bei einigen muß man, sogar warten, bis sie durch den natürlichen Alterungsprozeß aus den Unternehmen herauswachsen. Dennoch wird die Wende sicher schneller kommen, als sie gekommen wäre, wenn sich IBM nicht zerschlagen hätte.

CW: Zurück zur Allianz Bull-IBM. Die Vorteile von Bull haben Sie bereits angesprochen, was ist mit IBM. Stimmen Sie jenen zu, die da behaupten, IBM gehe es nur darum, einen Distributor für die Power-Architektur zu haben?

Gümbel: Zum Teil ist das richtig. Es gibt aber noch einen zweiten Aspekt. Die Beteiligung von NEC an Bull im vergangenen Jahr hat die Amerikaner wachgerüttelt. Zwar ist es den Japanern nicht gelungen, die Kontrolle über Bull zu gewinnen, bei den Amerikanern aber hat NECs Vorstoß - und sicher auch unsere Prognosen hinsichtlich einer japanischen Offensive in Europa - die Erkenntnis gefördert, eine Abwehrfront aufzubauen. Das hat IBM bei Bull gemacht.

CW: Auch diese beiden Unternehmen haben eine technologische Zusammenarbeit beschlossen. Nur ist die angesichts der ganzen strategischen Ambitionen von Bull und IBM weitgehend untergegangen.

Gümbel: Die ist ja auch nicht so umwerfend. Vor allem hat unsenttäuscht, daß von Software Oberhaupt keine Rede ist. Unserer Meinung nach hat Bull von allen Herstellern eine der besten Integrationsarchitekturen, nämlich das Distributed Computing Model, Nur - eine Architektur macht erst einmal nichts für den Benutzer aus, vielmehr müssen darauf Aplikationen aufgebaut werden. Bull plant zwar etwas in der Richtung mit der Bull Banking Facility, aber das braucht viel Zeit, um ins Rollen zu kommen.

CW: Und es kostet Geld.

Gümbel: Genau. In der Zwischenzeit aber vermauern die Märkte. Im Bankenbereich hat Bull beispielsweise nur nennenswerte Marktanteile in Frankreich, Italien und Spanien. Jedes Jahr schmilzt der Marktanteil dort um ein Fünftel der Prozentpunkte. Das heißt, man ist hier erst einmal in der Defensive, müßte nach vorne preschen - und da spielt die Hardware zunächst einmal ein untergeordnete Rolle.

CW: Hewlett-Packard war damals ebenfalls im Rennen, hatte technologisch auch die besseren Karten. Wie hätte sich denn für Bull eine Entscheidung zugunsten von HP ausgewirkt?

Gümbel: Im RISC-Sektor zunächst einmal nicht sehr viel anders. Statt der Power-Architektur wäre die PA-RISC-Architektur genommen worden. Vermutlich aber hätte sich die Zusammenarbeit dynamischer gestaltet. HP ist als Unternehmen sicherlich beweglicher als IBM oder DEC. Das ist auch der Grund, warum HP bei den Kunden eigentlich sehr beliebt ist,

CW: Das Stichwort Hewlett-Packard bringt die Überleitung zum dritten angeschlagenen Europäer, nämlich Siemens-Nixdorf. Der britische Branchendienst "Computergram" spekulierte vor einigen Wochen, daß sich HP als Amerikaner, der noch nicht zugeschlagen hat, einen Teil von SNI einverleiben könnte. Halten Sie das für denkbar?

Gümbel: Zum jetzigen, Zeitpunkt nicht. Zum einen hat die Mutter Siemens AG SNI gerade erst eingemeindet, zum anderen sorgt SNI bei der AG für mächtige Bauchschmerzen, doch gibt es mittlerweile im Konzern andere Bereiche, die noch weit mehr Probleme bereiten. Deshalb schenkt die AG diesem Bereich momentan nicht so viel Aufmerksamkeit. Hinzu kommt vielleicht, daß SNI versprochen hat jetzt verstärkt auf dem Pfad der Tugend zu wandeln und die Sanierung zu forcieren.

CW: Dann gilt Ihre Prognose nach wie vor, daß die Siemens AG auf jeden Fall bis 1995 an SNI festhalten wird?

Gümbel: Die gilt nach wie vor. Dazu hat die Siemens AG mittlerweile schon zuviel Geld investiert, als daß man nicht eine gewisse Zeit abwarten würde, um doch noch einen Teil des Geldes zu retten. Von der fünfjährigen Bewährungsfrist nach der Fusion, die Mutter Siemens der SNI meiner Meinung nach eingeräumt hat, sind allerdings schon zwei Jahre um, ohne daß das Unternehmen viel erreicht hätte.

Statt ganzer Schritte tut SNI immer nur halbe. So verläuft der Abbau von personellen Überkapazitäten viel zu langsam im vergangenen Jahr wurde angekündigt, 3000 Stellen einsparen zu wollen. Abgebaut wurden 2200. Auch an anderen Stellen spart man eher zögerlich. Man schließt ein Entwicklungszentrum in den USA, man versucht, mehr Technologie einzukaufen - aber das sind Pfennigaktionen, der große Schnitt, der so nötig wäre, ist es nicht.

CW: Glauben Sie, daß SNI in den verbleibenden drei Jahren den Breakeven-point schafft?

Gümbel: Es wird schwierig werden, zumal SNI auch erhebliche Umsatzeinbußen zu beklagen hat. Von der Expansion, die für SNI lebensnotwendig wäre, ist momentan nichts zu sehen.

CW: ... zumal man mit dem Rückzug aus dem Mittelstandsgeschäft ebenfalls im Zuge der Kostenreduktion - einen Wachstumsmarkt abgibt.

Gümbel: Gut, die Ausgliederung des Mittelstands ist ein taktischer Schönungsschritt. Auf diese Weise versucht SNI, Mitarbeiter loszuwerden ohne Geld dafür bezahlen zu müssen.

CW: Aber mit diesem Schritt wird SNI nicht nur die Mitarbeiter los, sondern auch die Kunden. Schließlich reißt der direkte Kontakt zu den Mittelständlern ab, weil die fortan über die Werksvertretungen betreut werden. SNI selbst ist nur noch die graue Eminenz im Hintergrund.

Gümbel: An dieser Stelle kommt man tatsächlich ins Grübeln. Denn SNI ist für diese Klientel nur noch Hardwarelieferant - gerade dieser Bereich aber bringt die geringsten Margen und trägt zudem am wenigsten zur Herstellerbindung bei. Die lukrativen Dienstleistungen werden von den Werksvertretungen erbracht. Eine Möglichkeit für SNI wäre, Standardbaukästen für die Dienstleistungen zu fabrizieren, die die Partner anbieten. Davon aber ist SNI ein gehöriges Stück entfernt.

CW: In diesem Zusammenhang erhebt sich doch auch die Frage, warum man Nixdorf erst kauft, wenn man später das einstige Kerngeschäft der Paderborner, auf das es Siemens schließlich abgesehen hatte, ausgliedert.

Gümbel: Sie haben recht, diese Ausgliederung stellt die Übernahme von Nixdorf stark in Frage. Aber da gibt es eine Vorgeschichte. Bevor es zu dem Deal zwischen Siemens und Nixdorf kam, hatten die Münchner wieder einmal das Bedürfnis, in den Mittelstandsbereich hineinzugehen. Der Grund war logisch: Mit proprietären Systemen kann man am oberen Ende nicht mehr wachsen. Man verkauft in die installierte Basis hinein, also muß man die Basis verbreitern. Das geht aber nur von unten. Siemens hatte jedoch in dem Lösungsgeschäft nie so richtig Erfolg, weil man immer zu technikorientiert war. So schielte man mit großem Neid auf Nixdorf ob deren Erfolgen. Um in den Mittelstandsmarkt zu gehen, so stellte Siemens fest, bräuchte man etwa eine Milliarde Mark an Markterschließungskosten. Dann mehrten sich die Nachrichten über die üble Situation von Nixdorf, und die Siemens-Manager stellten die Rechnung auf: Den Mittelstandsspezialisten kann man für weniger als eine Milliarde Mark kaufen und ist im Markt.

CW: Eine kräftige Fehlkalkulation, wie sich mittlerweile herausgestellt hat.

Gümbel: Richtig. Im Moment sieht es so aus, als ob dieses Abenteuer nebst Sanierung von SNI zwischen drei und vier Milliarden Mark kosten wird.

CW: Hätte Siemens damals nicht gerade einmal wieder den Mittelstandsmarkt ins Visier genommen, wäre Nixdorf dann gar nicht gekauft worden?

Gümbel: Das ist gut denkbar.

CW: Wie will SNI eigentlich künftig die Umsätze hereinholen?

Gümbel: Das Ganze erinnert ein wenig an notleidende Fluggesellschaften, die in ihrer Not erst die Perlen verkauft haben, um dann auf dem Rest sitzenzubleiben. Das nimmt ein böses Ende. SNI muß auf jeden Fall versuchen, mit dem Mittelstand, wieder eine gewinnbringende Partnerschaft aufzubauen. Werksvertretungen als verlängerte Werksbank sind gut und schön. Wenn aber auf der einen Seite der Kontakt zum Kunden abreißt und man auf der anderen Seite nicht in Richtung Dienstleistungen partizieren kann, dann war es ein Pyrrhussieg. Zwar sind die Kosten erst einmal reduziert, aber es bleiben nur noch Bereiche, in denen SNI bereits Gewinne macht, also die proprietären, BS2000-Systeme.

CW: Dieser Bereich bröckelt aber ab...

Gümbel: Der bröckelt ab, ist aber noch eine Cash-Cow. Zwar gibt es kein Neukundengeschäft mehr, doch sind wir auch noch weit davon entfernt, daß durch Posix-Schnittstellen die Austauschbarkeit dieser Ebene hergestellt wird. Diese Schnittstellen wird SNI für BS2000 ganz sicher anbieten, sie werden wohl auch in dem einen oder anderen Fall genutzt werden, doch es wird kein Wachstumsgeschäft sein.

CW: Sie haben einmal gesagt, daß SNI das beste Know-how in Sachen Großprojekte hat. Unlängst ist aber eine böse Panne beim Landes-Kriminalamt in Hessen passiert.

Gümbel: Zu dieser Äußerung stehe ich nach wie vor. Deshalb ist es fast schon unverständlich, daß eine solche Panne wie in Hessen passiert. Ich denke, im Zuge der Umstrukturierung, die weder intern noch extern nachvollziehbar ist, sitzen mittlerweile die falschen Leute am falschen Platz.

CW: Wie kommen eigentlich die Kunden mit diesem ganzen Hin und Her bei SNI zurecht?

Gümbel: Der Kunde von SNI ist sicherlich verunsichert. Er sucht nach Rechtfertigungen, noch bei SNI zu bleiben. In einigen Fällen gelingt dies nicht, so daß aufbaut, er Alternativstrategien wohl wissend, daß diese im Großrechnerbereich nur zu MVS führen können und damit teuer sind. Meines Wissens stellen nahezu alle Großkunden Überlegungen an, sich von SNI freizuschwimmen.

CW: Zum Abschluß noch eine Frage zu den Japanern. Als Fujitsu 1990 ICL übernahm, prophezeite unter anderem auch die Gartner Group, dies sei nur die, Spitze des Eisberges. Doch die befürchtete Nippon-Offensive in Europa blieb aus. Haben Sie damals zu schwarz gesehen?

Gümbel: Nein. Unsere Prognosen sind zwar nicht eingetreten, doch haben sie sicherlich das Bewußtsein bei den europäischen Unternehmen wie auch bei den politischen Instanzen geschärft. Sonst wäre der letztjährige Vorstoß von NEC bei Bull möglicherweise nicht steckengeblieben. Und wie bereits gesagt: Auch die Amerikaner wurden wachgerüttelt.

CW: Dennoch dürften die Japaner noch nicht aufgegeben haben.

Gümbel: Bei den japanischen DV-Herstellern steht noch ein großer Sprung aus. Sie alle produzieren ausgezeichnete Hardware-Produkte, haben aber nur wenig an Anwendungssoftware zu bieten. Dieser Markt ist in Japan total unterentwickelt, weil dort die Individualprogrammierung absolut vorherrscht. Man kann aber davon ausgehen, daß sich der japanische Markt für Anwendungssoftware in den nächsten zehn Jahren heftig entwickeln wird. Da die japanischen Hardwarehersteller von diesem Bereich allesamt nichts verstehen und es nicht geschafft haben, über die pure Bereitstellung von Systemplattformen hinaufzukommen, sind sie auch weit entfernt von der nächsten Stufe in der Kette, den Dienstleistungen.

CW: Das heißt, die Japaner könnten künftig verstärkt Kontakte zu Software- und Serviceunternehmen aufnehmen...

Gümbel: Das wäre möglich. Bei den Dienstleistungen spielen die Präsenz vor Ort und die Nähe zum Kunden eine große Rolle. Dies alles haben die Japaner nicht. Also bleibt nur, es zuzukaufen. Deshalb war Fujitsus-Deal mit ICL auch äußerst klug. Das Unternehmen kann nämlich von den Briten lernen, wie die Wertekette weitergeht. Damit ist Fujitsu von allen anderen japanischen Hardwareherstellern am weitesten.