Auf die Gefahr hin, Ueberraschungen zu begegnen: Trotz vieler Maengel Groupware schon in die Praxis umsetzen Von Michael Wagner*

25.03.1994

Groupware-Konzepte zeigen neue Moeglichkeiten auf, wie sich Organisationen und Unternehmen gestalten lassen. Die technische Realisierung der heutigen Systeme ist aber noch nicht ausgereift genug, um sie in der Praxis problemlos umzusetzen. Organisatorische, soziale und psychologische Schwierigkeiten kommen hinzu.

Groupware-Konzepte werden derzeit als neue Organisations- und Management-Werkzeuge gehandelt und zuweilen zur strategischen Waffe fuer den internationalen Wettbewerb hochstilisiert. Die entsprechenden Systeme heutiger Generation sind fuer bestimmte Aufgaben schon gut geeignet. Im umfassenden unternehmensweiten Einsatz koennen sie allerdings kaum halten, was sich die Manager davon versprechen. Groupware ist trotz der langen akademischen Tradition des Forschungsgebiets Computer Supported Cooperative Work (CSCW) erst seit kurzem marktfaehig. Die Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen.

Als Hauptkritikpunkte der heute verfuegbaren Systeme sind deren mangelnde Modellierungs- und Integrationsfaehigkeit zu nennen. Fuer einen umfassenden Einsatz muessen sie ueber eine ungeheure Modellierungsbandbreite verfuegen, die vom Business-Modelling bis zur informationstechnischen Optimierung von Prozessen reicht.

Grundlage ist die abstrakte Modellierung

Grundlage eines unternehmensweiten Groupware-Einsatzes ist eine abstrakte Modellierung der zugrundeliegenden Organisationsstrukturen und zu unterstuetzenden Geschaeftsprozesse. Die Modellierungsfaehigkeiten sind aber bislang noch zu sehr technikorientiert, zu unflexibel und zuwenig auf die eigentliche Zielgruppe, die Manager der Unternehmen, zugeschnitten.

Auf der anderen Seite des Spektrums fehlt die Integrationsfaehigkeit mit existierenden Anwendungen und mit anderen Groupware-Systemen ergaenzender Funktionalitaet. Ausserdem ist noch keine Unabhaengigkeit von Betriebssystemen, Netzwerken und Hardwareplattformen erreicht. Dies macht sich insbesondere bei groesseren Installationen und unternehmensuebergreifenden Kooperationen bemerkbar, die teilweise noch an der Heterogenitaet scheitern.

Ein grundlegender Integrationsstandard ist zwar mit der Common Object Request Broker Architecture (Corba) der Object Management Group (OMG) in der Entwicklung, doch wird es noch geraume Zeit dauern, bis diese Technologie auf allen Plattformen zur Verfuegung steht und sich am Markt durchgesetzt hat. Bislang darf man froh sein, wenn sich die Verknuepfung von Informationssystemen zu durchgaengigen Prozessen ueberhaupt realisieren laesst. Nicht selten scheitert dies an Inkompatibilitaeten der Schnittstellen oder Datenformate und ist nur mit hohem projektspezifischem Entwicklungsaufwand zu ueberwinden.

Zur Illustration der aktuellen Probleme sei hier exemplarisch das Groupware-System "Lotus Notes" herausgegriffen. Es ist wohl eines der am weitesten entwickelten Konzepte, das unter anderem Replikation moeglich macht, das heisst den Austausch von Information ueber heterogene Netzwerke sowie Telefonwaehlverbindungen, ferner schnelle Anwendungsentwicklung und Verbreitung, zudem enthaelt es Sicherheitsmechanismen und Volltextindexierung.

Lotus hat Notes Mitte der 80er Jahre als reines Peer-to-peer- System konzipiert, es bietet in lokalen Netzen aber auch eine eingeschraenkte Client-Server-Funktionalitaet. Die Unabhaengigkeit einzelner Installationen ist zentrales Konzept von Notes. Es ermoeglicht eine sehr flexible, auch nachtraegliche Verknuepfung, bringt jedoch andererseits auch einige Probleme mit sich. Die Replikation ermoeglicht die Verknuepfung von verteilten Installationen ohne permanente Erreichbarkeit. Der Austausch kann in beliebigen Abstaenden etwa ueber Telefonverbindungen erfolgen. Damit werden aber, da sich dieselben Informationen unabhaengig voneinander aendern lassen, Konflikte in Kauf genommen, die sich zu einem spaeteren Zeitpunkt manuell loesen lassen.

Diesen Mechanismus nutzt Notes auch als Client-Server-System im lokalen Netz. Allerdings laesst sich damit keine Synchronitaet von Aenderungen erreichen, weil ein Sperrmechanismus fuer die Aenderung einzelner Dokumente nicht vorgesehen ist. Die Unabhaengigkeit der Einzelinstallationen bedingt zudem eine selbstaendige Kontrolle der Verbindungen und Zugriffsrechte durch jedes Server-System. Beim Aufbau groesserer Netze fuehrt das zu Problemen, da eine zentrale Steuerung des Systems, insbesondere der Zugriffsrechte, nicht geplant ist.

Eklatante Sicherheitsluecken

Notes enthaelt alle wesentlichen Sicherheitsmechanismen von Zugriffskontrollen ueber Passwoerter, Authentisierung, Verschluesselung bis hin zur elektronischen Unterschrift. Es weist aber auch einige eklatante Sicherheitsluecken auf. Diese reichen vom offenen Dateizugriff im lokalen Netz bis hin zum Fehlen eines Sicherheitsmechanismus bei mobilen Clients, die durch Diebstahl besonders gefaehrdet sind.

Lotus geht mit Notes den Weg einer Plattform, die sich zum Erstellen spezieller Programme nutzen laesst, und bietet Moeglichkeiten fuer eine schnelle Anwendungsentwicklung.

In komplizierteren Faellen sind die Anpassungsmoeglichkeiten des Systems aber zu eingeschraenkt und nicht flexibel genug, denn die implementierte Makrosprache ist bei weitem nicht vollstaendig. Sie ermoeglicht beispielsweise keine Iterationen ueber Listen.

Die Unterstuetzung der Heterogenitaet von Netzwerken wurde fuer Notes weiter entwickelt als fuer andere Produkte dieser Art. Es werden Netbios, IPX, Appletalk und TCP/IP unterstuetzt, teilweise jedoch nur in bestimmten Kombinationen von Netzwerktreibern und - produkten. Die Integrationsfaehigkeit mit existierenden Anwendungen wie Mail-Systemen auf Grossrechnern oder Datenbanken erfolgt ueber Zusatzprodukte wie "Infopump", "Softswitch" oder "Isocor- Gateways". Dabei erfolgt aber jeweils eine Datenuebertragung und gegebenenfalls -konversion. Eine Nutzung der Funktionalitaet anderer Softwaresysteme ist nicht vorgesehen.

Die genannten Schwierigkeiten, mit denen Notes zu kaempfen hat, sind symptomatisch fuer die gesamte Groupware-Branche, insbesondere was Heterogenitaet und Interoperabilitaet angeht. Unter Umstaenden wird die Entwicklung von Corba einige Probleme loesen koennen. Wenn sich dabei das Distributed Computing Environment (DCE) der Open Software Foundation (OSF) und das System Object Model (SOM) der IBM als Implementierungsstandards durchsetzen, bedeutet das eine Vereinfachung der Integrations- und Sicherheitsprobleme.

So schwierig die technische Integration der Groupware-Systeme auch scheint, sie ist bei weitem nicht die einzige Huerde, die es zu nehmen gilt. Organisatorische Umstellungen und das Ueberwinden sozialer und nicht zuletzt psychologischer Widerstaende sind mitunter weitaus problematischer. Die Frage, welche Voraussetzungen eine Organisation erfuellen muss, damit sie sich fuer den Einsatz von Groupware eignet, ist fehl am Platze.

Groupware kann sich prinzipiell jeder Organisation anpassen. Welche Ziele man damit verfolgt und welche Effekte man erzielen will, ist die eigentliche Fragestellung.

Das Einsatzspektrum reicht von der Kontrolle des Arbeitsfortschritts ueber die Verbesserung der Kommunikation bis hin zur Nutzung voellig neuer Synergieeffekte in den Organisationen. Im Extremfall laesst sich Groupware sogar zur vollstaendigen Kontrolle der Mitarbeiter einsetzen. Dass dieser Traum eines jeden Vollblutbuerokraten die Arbeitsatmosphaere zur Hoelle machen kann, zeigen einige Studien sehr deutlich.

Ohne Vorbereitung durch Re-Engineering

Recht erfolgreich lassen sich die Systeme bereits zur Substitution bestehender Organisationsablaeufe einsetzen, das heisst ohne vorbereitende Reorganisationsmassnahmen. Entsprechende Beispiele existieren in verschiedenen Bereichen der oeffentlichen Verwaltung. Hier liessen sich Routinearbeiten automatisieren.

Neben einer allgemeinen Verbesserung der Kommunikation liegt die Staerke der Groupware aber vor allem in der Nutzung und Stimulation von Synergieeffekten aus verschiedenen Unternehmens- oder Verwaltungsbereichen. So vereinfachen etwa elektronische Konferenzen eine themen- und problemorientierte Zusammenarbeit ueber die Grenzen von Abteilungen hinweg.

Mitarbeiter, die in verschiedenen Teilen einer Organisation mit aehnlichen Problemen kaempfen, koennen sich ueber das Medium Groupware finden und Erfahrungen austauschen.

Angesichts der Vielzahl von Problemen, die solche Systeme heute noch mit sich bringen, ist man geneigt, ihre Anwendung hinauszuzoegern. Weil es aber darum geht, das organisatorische und soziale Umfeld eines Groupware-Einsatzes in der eigenen Organisation zu ermitteln, ist es wichtig, schon jetzt erste Erfahrungen zu sammeln, um spaeter leistungsfaehigere Systeme effizienter steuern zu koennen.