Predictive Analytics in der Praxis

Auf der Suche nach dem Use Case

29.03.2018
Von 
Daniel Eiduzzis ist Manager Alliance & Business Development bei der initions AG. In dieser Position verantwortet er die strategischen Partnerschaften zu ausgewählten Kooperationen sowie die Weiterentwicklung des Beratungsportfolios und des initions Markenkerns.
Das Potenzial von Predictive Analytics und Data Science ist riesig. Wo sollten Unternehmen ansetzen, um Use Cases für sich zu definieren und ihren Datenschatz zu heben?

Big Data ohne Predictive Analytics ist wie ein Auto ohne Motor. Um bei unserem Bild zu bleiben, könnte man auch sagen, sie sind der Treibstoff, der das Auto voranbringt. Das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IDC schätzt, dass sich das Datenvolumen in einem Unternehmen alle 18 Monate verdoppelt. Die Herausforderung besteht darin, dieses Datengold als Wettbewerbsvorteil zu nutzen. An dieser Stelle kommt Predictive Analytics in Spiel.

Ob und wann zum Beispiel ein Motherboard den Geist aufgibt, lässt sich per Predictive Maintenance feststellen. Analoge Analysemethoden sind dann nicht mehr nötig.
Ob und wann zum Beispiel ein Motherboard den Geist aufgibt, lässt sich per Predictive Maintenance feststellen. Analoge Analysemethoden sind dann nicht mehr nötig.
Foto: LumineImages - shutterstock.com

Was ist Predictive Analytics?

Auf Basis komplexer Datenanalysen ermöglicht Predictive Analytics Vorhersagen über künftige Ereignisse und Trends. Das Thema ist nicht neu, Forecasting-Modelle werden schon seit einigen Jahren beispielsweise im Vertrieb genutzt. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung und der steigenden Datenmenge wird Predictive Analytics immer wichtiger und bietet Unternehmen vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Klassische Anwendungsgebiete finden sich in Banken- und Versicherungsunternehmen, der Telekommunikation und insbesondere im Versandhandel und e-Commerce wieder.

Lesetipp: Big Data Analytics - Wie Datenanalyse zum Fiasko wird

Beispielsweise lassen sich Prognosemodelle im Rahmen des Risikomanagements erstellen oder Kundenanalysen für mögliche Cross-Selling-Ansätze nutzen. Auch im medizinischen Bereich bietet Predictive Analytics nie dagewesene Neuerungen, von der frühzeitigen Identifizierung von Krankheiten aufgrund statistisch eindeutiger Werte bis zur Prognose von Merkmalen und Fertigkeiten in der Stammzellenforschung.

Abgrenzung zu Data Mining

Predictive Analytics kommt aus dem Data Mining und setzt sich mit der Vorhersage (prediction) der wahrscheinlichen Zukunft und Trends auseinander. Zentral ist bei Predictive Analytics der Prädiktor, eine Variable, die für eine Einheit oder eine Person gemessen wird, um das Verhalten in der Zukunft vorherzusagen. Da es dabei um Datenveredlung geht, ist Predictive Analytics auch dem Bereich Business Analytics als strategisches Werkzeug für Entscheider zuzuordnen. Prof. Carsten Felden beschreibt das Ziel von Business Analytics in der enzyklopaedie-der-wirtschaftsinformatik: "Ziel ist es Antworten nicht nur auf die Frage: 'Was war?', sondern auch: 'Was wird sein?' zu finden."

Predictive Analytics ergänzt Business Intelligence um alles Zukünftige und kann mögliche Szenarien durchspielen und so Entscheidungen erleichtern.

Predictive Analytics geht dabei noch über Data Mining hinaus, da es weitere Methoden und Verfahren nutzt. Beispielsweise maschinelles Lernen oder Text Mining, das unstrukturierte Textinformationen wie Artikel und Blogs auswertet.

Zu den klassischen Data-Mining-Methoden gehört das Clustering, welches Daten segmentiert und verschiedene Gruppen bildet. Oder auch die Klassifizierung, bei der Elemente automatisch vorhandenen Gruppen und Klassen zugeordnet werden. Weitere Data-Mining-Methoden sind die Regressionsanalyse, die Beziehungen zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen identifiziert oder die Assoziationsanalyse, die Abhängigkeiten zwischen Elementen über Wenn-dann-Regeln herstellt.

Das Analytics-Reifegradmodell von Gartner sortiert Predictive Analytics aufbauend auf

  • Descriptive Analytics (Was ist passiert) und

  • Diagnostic Analytics (Warum ist etwas passiert?)

ein. Die nächste Evolutionsstufe nach Predictive Analytics ist dann Prescriptive Analytics (Wie müssen wir handeln, damit ein zukünftiges Ereignis (nicht) eintrifft?).

Das Analytics-Reifegradmodell von Gartner beschreibt vier Evolutionsstufen
Das Analytics-Reifegradmodell von Gartner beschreibt vier Evolutionsstufen
Foto: Gartner

Intelligente Wartung mit Predictive Maintenance

In der Industrie findet diese Teildisziplin der Business Analytics seine Anwendung unter anderem in der Predictive Maintenance. Sensoren übermitteln dabei Daten zum Status, beispielsweise einer Anlage, wie Leistung, Temperatur, Umdrehungen und Auslastung und analysieren Kenndaten bezüglich Nutzung, Verschleiß und Zustand. Ziel von Predictive Maintenance ist unter anderem die Etablierung von intelligenten Wartungsintervallen in der Produktion. Aufgrund der bedarfssynchronen Bestandsoptimierung im Just-im-Time Steuerungskonzept wirken sich ungeplante Maschinenstillstände im besonderen Maße kritisch aus

In der Vergangenheit waren Produktionsverantwortliche meist nur in der Lage, auf Basis von klassischen Kennzahlen, wie der nackten Betriebsdauer, erforderliche Service- und Wartungsintervalle einzuplanen. Predictive Maintenance soll auf Basis der zurückliegenden Maschinen- und Sensordaten frühere ungeplante Ausfälle analysieren und sich zukünftig abzeichnende kritische Systemveränderungen frühzeitig identifizieren und entsprechende Alerts senden. So kann die Produktionsplanung proaktiv reagieren und vermeintlichen Ausfällen entgegenwirken. Das produzierende Unternehmen gewährleistet vertraglich vereinbarte Lieferfristen bei konstanter Qualität der Produkte.

Welche Veränderungen bringt Predictive Analytics mit sich?

Predictive Analytics wirkt sich vielfältig auf das Business Intelligence Ecosystem aus. Am deutlichsten zeigt sich dies im Anforderungsprofil an die BI-Stakeholder. Das betrifft zum einen die technischen Fertigkeiten im Umgang mit entsprechenden Werkzeugen (beispielsweise SPSS, Halo) und Programmiersprachen (Python, R), zum anderen wird ein tiefgehendes betriebswirtschaftliches Verständnis vom Content der Daten verlangt. Der Übergang zur Data Science ist hier fließend.

Lesetipp: Predictive Analytics im Einsatz - Wie London seine U-Bahn wartet

Auch die Infrastruktur muss bestimmte Anforderungen erfüllen, da das performante Arbeiten mit großen Datenmengen eine leistungsstarke State-of-the-Art Infrastruktur voraussetzt, was sehr kostenintensiv sein kann. Unternehmen sollten vor diesem Hintergrund neue Betriebsmodelle, wie den Einsatz von Cloud-Lösungen, abwägen. Unter Umständen müssen sie sich von bisherigen homogenen One-Vendor-Systemlandschaften verabschieden. Vielmehr sollten Werkzeuge implementiert werden, die den jeweiligen Anwendungszweck herstellerunabhängig am besten unterstützen. Dabei sollte es darum gehen, die Anwender von Predictive Analytics mit den Instrumenten auszustatten, die sie beherrschen und mit welchen sie den größten Nutzen für ihr Unternehmen erzielen können. Das Herstellerportfolio sollte hier nachrangig sein.

Predictive Analytics führt in der Folge auch zu organisatorischen Umbrüchen. In der jüngeren Vergangenheit wurde das Thema Business Intelligence und Analytics häufig in fachbereichsnahen Competence-Centern aufgehängt. Zukünftig müssen solche Center-of-Excellence zusätzlich noch mit Software- und Innovations-Labs verknüpft werden, um der fachlich-taktischen Kompetenz auch die unterstützende technische Ressource zuzuordnen. Dass die Projektvorgehensweisen von gestern (Wasserfallmethode) hier nicht mehr funktionieren, ist selbsterklärend. Agile Vorgehensweisen wie Scrum müssen der neue Standard werden.

Die Basis muss stimmen

Allerdings gilt auch: Predictive Analytics funktioniert nur so gut, wie die Datenbasis auf der sie fußt. Um valide und verlässliche Prognosen erstellen zu können, müssen Unternehmen in Zukunft Themen wie Data Quality und Data Governance noch mehr Bedeutung zukommen lassen. Dies kann auch organisatorische Konsequenzen zur Folge haben. Technologisch gibt es hier sinnvolle Werkzeuge, die sich gut in die jeweiligen Ecosysteme einbetten lassen. Automatisierte Validierungen können hilfreich sein, um Redundanzen zu identifizieren oder Lücken und Schiefstände aufzudecken.

Erste Schritte in Richtung Predictive Analytics

Den Themen Data Science und Predictive Analytics sollten sich Unternehmen in kleinen Schritten nähern. In konkreten Projektinitiativen können herausgeschälte Business Cases auf Machbarkeit und ihren Wertbeitrag hin überprüft werden, bevor schwer zu rekrutierende Kompetenzen wie Data Scientists engagiert werden. Externes Know-how kann über Projekte bei den ersten Gehversuchen sinnvoll unterstützen. Gerade in diesen noch neuen Themen müssen Anwender mit ihren Beratern bis zu einem gewissen Grad Pionierarbeit leisten. Umso wichtiger ist es, mögliche Anfängerfehler zu vermeiden.