Hardware auf der CeBit/Das Angebot an Netzwerk-Computern ist eher dürftig

Auf der CeBIT ´97 bleibt die NC-Revolution aus

07.03.1997

Lange Zeit diskutierten Hersteller, Analysten und selbsternannte Brancheninsider darüber, ab wann sich ein Rechner als Netzwerk-Computer bezeichnen darf. Im Mai 1996 einigten sich die Initiatoren der NC-Bewegung (IBM, Apple, Sun, Netscape und Oracle) auf Richtlinien, die im sogenannten NC Reference Profile 1 definiert wurden. Danach müssen NCs etwa bestimmten Mindestanforderungen bezüglich der Hardware genügen. Dazu gehören unter anderem eine Monitorauflösung von mindestens 640 x 480 Bildpunkten, ein Eingabegerät wie Maus oder Trackball sowie die Möglichkeit, Text einzugeben und Audiodaten abzuspielen. Ein ständig verfügbarer lokaler Speicher, also ein Disketten- oder Festplattenlaufwerk, ist ausdrücklich nicht vorgeschrieben.

Unterstützung von Web-Standards ist Pflicht

Wichtiger als die ohnehin rudimentäre Hardware-Ausstattung ist die Unterstützung verbreiteter Internet-Protokolle (IPs). Hierzu zählen etwa das Transmission Control Protocol (TCP) und das File Transfer Protocol (FTP). Für den Terminalemulationszugriff auf Host-Systeme ist das Telnet-Protokoll vorgeschrieben. Die Einbindung in Netzumgebungen soll über das Simple Network Management Protocol (SNMP) realisiert werden.

Neben diesen Basisstandards sind im Reference Profile 1 eine Reihe von Mail-Protokollen und WWW-Standards festgelegt. Zu den wichtigsten Spezifikationen gehören das Web-Publishing-Format Hypertext Markup Language (HTML) und das Kommunikationsprotokoll Hypertext Transfer Protocol (HTTP). Darüber hinaus existieren eine Reihe von Festlegungen hinsichtlich Multimedia-Formaten und Sicherheitsfunktionen. Für die lokale Ausführung von Java-Anwendungen benötigen NCs ferner eine integrierte Java Virtual Machine (JVM).

Die Idee des Netzwerk-Computers ist mit der von Sun entwickelten Programmiersprache Java untrennbar verbunden. Daß diese nicht nur zum Erstellen hübscher Animationen auf den oft kargen Web-Seiten der Anbieter taugt, will der Hersteller aus Mountain View, Kalifornien, in Halle 1, Stand 8a2 demonstrieren. Dort lautet das Motto "Java Enterprise Computing". Die "Javastation", Suns Variante eines NC, ist Bestandteil eines breiten Angebots an Java-basierter Hard- und Software und soll, so die Sun-Marketiers, das "Front-end-System der Zukunft" in unternehmensweiten Java-Umgebungen bilden.

Gemeinsam mit 30 Partnerfirmen zeigt Sun eine Vielzahl von Java-Applikationen, darunter Software für die Bereiche Customer Management, Call Center oder Internet Commerce.

Eines von mehreren Anwendungsbeispielen für den NC auf dem 800 Quadratmeter großen Stand werden sogenannte Javakiosks sein. Messebesucher können diese Rechner über Touchscreens als interaktive Stand- und Informationssysteme nutzen.

Sun hat die Javastation im November 1996 offiziell vorgestellt. Der NC wird von einem "Microsparc-II"-Prozessor gesteuert und ist standardmäßig mit 8 MB Arbeitsspeicher ausgerüstet. Für den Netzzugang sorgt eine integrierte 10Base-T-Verbindung, die bis Mitte 1997 auf 100Base-T ausgebaut werden soll. Festplatte, Disketten- oder CD-ROM-Laufwerk sind für die Javastation nicht vorgesehen. Auch Einschübe für Erweiterungen fehlen. Der Rechner arbeitet mit Suns "Java-OS" und soll im Bundle mit dem Programmpaket "Hot Java Views" angeboten werden. Anwender erhalten damit den Sun-eigenen Browser "Hot Java", Electronic-Mail- und Kalenderfunktionen sowie ein Name Directory. Der Hersteller offeriert unterschiedliche Varianten der Javastation. Das Einstiegsmodell wird mit 8 MB RAM, Maus und Tastatur geliefert. Für größere Applikationen ist unter anderem eine Konfiguration mit 64 MB RAM und 17-Zoll-Monitor erhältlich.

Ausdrücklich als Terminalersatz positioniert IBM seine "Network Station" (Halle 1, Stand 4G2). Der Rechner wurde vom US-Hersteller NCD entwickelt und stellt eine erweiterte Version der NCD-"Explora"-X-Stations dar. Das Herzstück bildet ein Power-PC-Prozessor vom Typ 403. In der Basisversion ist der NC mit einem Arbeitsspeicher von 8 MB bestückt, der sich auf maximal 64 MB ausbauen läßt. Das Grafiksubsystem greift auf 1 MB VRAM zu und unterstützt je nach eingesetztem Bildschirm Auflösungen von 640 x 480 bis maximal 1600 x 1280 dpi. Zum Lieferumfang gehören ein serieller und ein paralleler Anschluß, eine Maus und eine Tastatur.

Big Blue bietet die Network Station in zwei Varianten für Token-Ring- oder Ethernet-Umgebungen an. Beide Modelle verwenden das TCP/IP-Protokoll für die Kommunikation mit dem Server. Der Rechner kommt dabei ohne lokalen Plattenspeicher aus. Nach dem Einschalten führt der NC ein Diagnoseprogramm aus und lädt den Programm-Kernel vom jeweiligen Server. Dabei kann es sich um IBM-PC-Server, die Unix-Maschinen der RS/6000-Baureihe, das Midrange-System AS/400 oder um S/390-Großrechner handeln. Mit der Eingabe der Benutzer-ID und eines Kennworts erhält der Anwender die für ihn voreingestellte Software-Umgebung von IBMs "Network Station Manager", der auf dem Server-System liegt.

IBM-NC fährt auch Legacy-Anwendungen

Auf dem IBM-NC können sowohl Host-basierte Anwendungen wie S/390-, RS/6000- oder AS/400-Programme ablaufen als auch Windows- oder NT-Applikationen und Java-Applets. Für Browser-Funktionen und größere Java-Anwendungen ist allerdings eine Speichererweiterung erforderlich.

Mehr als 300000 NCs will der X-Terminal-Spezialist NCD schon installiert haben. Das erklärte der Hersteller zur Herbstmesse Comdex in Las Vegas im vergangenen Jahr. Die dort vorgestellten, vormals als X-Terminals vermarkteten Produkte "Explora" und "HMX Universal Network Computer" werden auch auf der CeBIT im Mittelpunkt stehen (Halle 11, Stand A02). Für die Hersteller bedeutet die Repositionierung von X-Terminals in Richtung NC allerdings lediglich einen Softwarewechsel, wie etliche Analysten meinen. So verwundert es nicht, daß auch der X-Terminal-Anbieter Tektronix seine "Netstations" jetzt als NCs anpreist (Halle 12, Stand F20). Die Rechner sollen künftig mit dem "Navio NC Navigator" der Netscape-Tochter Navio ausgerüstet werden. Tektronix bietet dazu ein Software-Upgrade an.

Oracle positioniert den NC auch im Soho-Segment

Im Gegensatz zu IBM oder Sun sieht Oracle, einer der engagiertesten NC-Verfechter, für die Thin Clients schon jetzt Marktchancen im privaten Bereich und im Small-Office/Home-Office-(Soho-)Segment. Das Unternehmen bietet dazu unterschiedliche NC-Varianten an, die auf dem Stand B29 in Halle 3 zu sehen sind. Nach Oracle-Lesart gehört dazu der "Standard Desktop NC", der für Aufgaben wie Web-Browsing, E-Mail, einfache Textverarbeitung und Tabellenkalkulation sowie Präsentationsgrafik ausgelegt ist.

Eindeutig auf den Home-Markt zielt der "NC-TV". Diese Version soll Benutzern interaktives Fernsehen, Web-Zugriff und Applikationen wie Entertainment on Demand oder elektronischen Handel zur Verfügung stellen. Eher für den Schreibtisch konzipiert ist der "NC Phone": ein Terminaltelefon mit einer Tastatur für den Zugriff auf E-Mail und diverse Dienste wie etwa Flugreservierungen.

Oracle produziert die NCs nicht selbst, sondern greift auf mehrere Lizenzhersteller zurück, darunter die britische Firma Acorn und Wyse Technology. Auf dem Messestand zeigt die Ellison-Company unter anderem die von der französischen Idea gefertigte "Internet Client Station", die die Alcatel SEL AG in Deutschland vermarktet. Der Rechner arbeitet mit einem Mikroprozessor vom Typ "ARM 7500FE", der mit 40 Megahertz getaktet ist.

Auf dem Motherboard sind 4 MB Arbeitsspeicher und 4 MB ROM untergebracht. Die Verbindung zum Netz stellt ein 10Base-T-Adapter her. Der Idea-NC bietet neben dem Internet-Zugang auch Zugriff auf SNA-Host-Systeme. Oracle will für die NCs "schlanke" Java-basierte Anwendungen für Textverarbeitung, E-Mail und andere Office-Funktionen anbieten.

An einer echten Neuigkeit zum Thema Netzwerk-Computer bastelt die kanadische Corel Corp. Das Gerät nennt sich "Video-NC" und unterscheidet sich von seinen Konkurrenten vor allem durch integrierte Lautsprecher und ein Mikrofon. Für die Teilnahme an Videokonferenzen läßt sich eine digitale Kamera anschließen. Der Video-NC hat allerdings einen Nachteil und dürfte deshalb an dieser Stelle noch gar keine Erwähnung finden: Die Messebesucher können ihn nicht sehen. Corel stellt den Rechner nicht an seinem Stand aus. Für den interessierten Laien dürfte es zudem schwierig sein, am Messestand Informationen über den NC einzuholen. Die gibt es zur Zeit nur für die Presse, wie ein Sprecher mitteilte. Befindet sich also am Stand E06 in Halle 6 gerade kein PR-Beauftragter der Kanadier, muß der geneigte Besucher mit einer Präsentation der Anwendungs-Suite "Corel Office for Java" vorlieb nehmen, die eines Tages im Bundle mit dem Rechner ausgeliefert werden soll.