Audio- und Videokomponenten/Schneller und effizienter den Fehlern begegnen Flugzeugwartung per Video bei der Deutschen Lufthansa

08.12.1995

Von Karl-Ferdinand Daemisch*

Neue Wege bei der Wartung von Verkehrsflugzeugen beschreitet die Deutsche Lufthansa (LH) unter dem Titel "Bisam". Ein IT- gestuetztes, dezentrales Wartungssystem mit Videoeinbindung ueber ISDN und ATM, basierend auf Workstations, die mit Multimedia- Komponenten ausgeruestet sind, soll dazu beitragen, Stoerungen an Flugzeugen schneller und effizienter als bisher beheben zu koennen.

"Bisam" steht fuer Broadband Integrated Services for Aircraft Maintenance und ist das Ergebnis eines Projekts der Telekom- Tochter DeTeBerkom. Ziel von Bisam ist es, eine neue Qualitaet der Fehlerbehebung zu erreichen, wobei es insbesondere um eine Reduzierung der Reparatur- und Standzeiten der Flugzeuge geht.

Anfang 1994 hat das Lufthansa-Management nach der Praesentation des Bisam-Konzepts und eines Prototyps der angedachten Loesung die Startfreigabe fuer das Projekt erteilt. Die Realisierung oblag danach der Lufthansa Systems GmbH und der im Bereich Telekommunikations-Anwendungen taetigen DeTeBerkom, die auch die Projektleitung wahrnimmt. Der Sun-Partner Sietec Systemtechnik implementierte dabei die von der DeTeBerkom spezifizierten Dienste wie Multimedia-Mail, generisches Application-sharing sowie Audio- und Video-Conferencing.

Spezialisten muessen nicht vor Ort sein

Seit Sommer 1995 sind die Sun-Sparcstations im Rahmen des Bisam- Projekts auf der Lufthansa-Heimatbasis in Frankfurt im Einsatz. Alle unter Bisam eingesetzten Anwendungen bauen auf einer einheitlichen TCP/IP-Architektur auf und basieren auf einer gemeinsamen Benutzeroberflaeche, was eine leichte Bedienung der Anwendung gewaehrleistet.

Um die Kosten unter Kontrolle zu behalten, war es eine der Grundvoraussetzungen fuer das Projekt, am Markt verfuegbare technische Komponenten zu verwenden und diese mit Standardsoftware, die lediglich projektspezifisch angepasst wurde, miteinander zu verknuepfen. Damit liessen sich kostspielige und zeitaufwendige Eigenentwicklungen vermeiden.

"Frueher versuchte man, mit Telefon und Fax ein Problem so gut wie moeglich zu beschreiben", erklaert Christian Orlowski, Projekt- Manager Aircraft Engineering and Fleet Projects bei der Lufthansa Systems, den Hintergrund des Vorhabens. "Heute ist durch den direkten Datenaustausch mit dem Flugzeug und durch die Schadensbildunterstuetzung ueber unser Multimedia-System eine klare Entscheidungsgrundlage gegeben."

Benoetigt ein Techniker bei der Reparatur die Unterstuetzung eines Ingenieurs oder dessen Beurteilung, muss dieser nicht mehr anwesend sein. Vielmehr kann er dessen Expertise per Bisam in Sekundenschnelle auf seine Workstation holen.

Denn das System gestattet es, die aufgetretenen Beanstandungen mit dem Experten unter simultaner Einsicht ("Joint-viewing") in die gleichen Zeichnungen ("Shared Applications") zu diskutieren, ihm Schadensbilder in Echtzeit per Video- oder Standbildinformation zu uebermitteln und den optimalen Weg der Schadensbehebung online zu besprechen. Sollte, um Klarheit ueber den Weg der Fehlerbehebung zu erhalten, die Beurteilung mehrerer Experten oder gar des Herstellers erforderlich sein, lassen sich diese alle per integriertes Video-Conferencing-einschalten.

Auf der Lufthansa-Basis in Frankfurt entstand zu diesem Zweck ein komplettes ATM-Teilnetz, um die fuer diese Anwendungen benoetigte Netzwerk-Bandbreite zur Verfuegung zu stellen.

Die Rechner sind dabei ueber einen zentralen ATM-Switch verbunden. Cisco-Router stellen in Frankfurt die Interfaces zum Lufthansa- Produktionsnetzwerk bereit. Die Anbindung des lokalen ATM-Netzes an das Lufthansa-Weitverkehrsnetz erfolgt ueber Schnittstellen zu ISDN-Mehrfachleitungen beziehungsweise ueber den ATM-Piloten der Deutschen Telekom.

Es ist geplant, ab 1996 ueber den derzeit auf Frankfurt begrenzten Testbetrieb hinauszugehen und die Workstations im Rahmen des Bisam-Projekts unter ATM auch in weiteren Lufthansa- Servicestationen zu implementieren. Damit wird die Fluggesellschaft ein weltweites, multimediales Fernwartungssystem testen.

Grosses Augenmerk galt uebrigens der Einbindung bereits eingesetzter Anwendungen in das neue System. Dafuer wurde teils Weiterentwicklung betrieben, teils schuf man Schnittstellen zwischen den vorhandenen Anwendungen, damit diese im Rahmen einer Informationskette miteinander kommunizieren konnten. So fuehrte die Lufthansa bisher zwar massenweise Akten und Bilddokumente, jedoch waren diese nur teilweise zentral online verfuegbar.

Mit Bisam wird es jetzt moeglich, zu einzelnen Fehlern auch Bilder und Vektorgrafiken bereitzustellen. Eine Still-Video-Kamera nimmt Bilder der Fehler auf, womit sie sofort im System und damit im Netz verfuegbar sind. Die Speicherung dieses Bilddokuments laesst sich dann sowohl lokal als auch zentral vornehmen. Zudem kann der Techniker vor Ort ueber ein digitales Endoskop auch von unzugaenglichen Bereichen der Technik entsprechende Aufnahmen erstellen.

"Das Problem ist heute, dass wir am Flugzeug Materialien haben, zum Beispiel Komposit-Materialien anstelle von Aluminium, durch die die Reparaturmethoden sehr viel komplizierter wurden und auch schwieriger zu beurteilen sind", erklaert Harald Entner, Projekt- Manager der DeTeBerkom. "Sollten die Beanstandungen am Flugzeug ueber die in Standardhandbuechern festgelegten Reparaturmethoden hinausgehen, benoetigt der Wartungstechniker die Unterstuetzung von Spezialisten, um zu entscheiden, ob das Flugzeug noch flugtauglich ist oder nicht."

Bisam setzt auf dem Projekt "Bord-Boden-Kommunikation" auf, das per Datenfunk Beanstandungen in standardisierter Form an den Boden uebertraegt - dazu gehoeren Meldungen ueber verschmutzte Sitze ebenso wie Probleme mit einem Triebwerk. Dort werden die Informationen ausgewertet und Vorbereitungen zur Reparatur getroffen, bevor die Maschine gelandet ist (vgl. CW Nr. 40 vom 6. Oktober 1995, S. 55, "Griffelcomputer haben sich in einigen Projekten bewaehrt").

Bei der Landung steht der Mechaniker schon mit den entsprechenden Unterlagen und Ersatzteilen bereit und kann sofort mit den Reparaturarbeiten beginnen. Dieses Reporting, das in modernen Flugzeugen wie dem Airbus A340 oder der Boeing 747-400 weitgehend ueber Wartungsrechner mit Datalink-Schnittstelle automatisiert erfolgt, ist neben der multimedialen Kommunikation der Hauptschwerpunkt bei Bisam.

Dahinter stehen Anwendungen, die ebenfalls bereits auf einem dezentralen Sparc-Systemverbund realisiert wurden. Dies ist zum einen die auf einer grossen Ingres-Datenbank basierende Anwendung "Docman" fuer die technische Dokumentation der Flugzeuge. Sie besorgt die Online-Verwaltung von Flugzeugunterlagen, die sich aus der Dokumentation des Flugzeugherstellers sowie aus Unterlagen der Flugzeugingenieure zusammensetzt. Ausserdem enthaelt Docman eine Fuelle von Anweisungen, die Auskunft geben, wie ein Flugzeug zu reparieren ist, und verfuegt ueber eine Referenz, in welcher Reihenfolge die Arbeiten abzuwickeln sind.

Integriert in diese Loesung ist zum anderen das System "Fine", das Beanstandungen der Techniker am Boden sowie die Daten aufnimmt, welche die Piloten ueber Funk melden. Das System fuehrt auch Informationen ueber frueher am Flugzeug vorgenommene Reparaturen und gegebenenfalls dokumentierte Schadensbilder. "Dies ist eigentlich eine moderne Art des Workflow-Managements", kommentiert Projekt- Manager Entner.

Fuer Bisam kommen heute Sparcstation-5- und Sparcstation-20-Systeme zum Einsatz, die mit JPEG-Parallax-Karten zur Datenkompression ausgestattet sind. Sie ermoeglichen - im Gegensatz zu ISDN - mit Videokompression per Motion-JPEG qualitativ hochwertige Bilder sowie die Skalierung der Uebertragung multimedialer Dienste ueber TCP/IP. Damit ergab sich ein Einsatz auf Basis von ATM bis hin zu Ethernet-Netzen, denn das unterlegte Netz bestimmt durch seine Bandbreite letztlich die Leistung, die eine Bisam-Workstation an den Mann bringt.

Eine Ausweitung des bislang auf Deutschland begrenzten Projekts ist bereits in Sicht. "Es gibt ziemlich weitreichende Diskussionen mit Boeing", verraet Lufthansa-Manager Orlowski. Die Verbindung mit Boeing bedingt nun eine ATM-Schaltung zwischen Frankfurt und Seattle - ueber die Deutsche Telekom und andere Carrier wie etwa Sprint in den USA -, um eine gute Verbindung zwischen beiden Orten sicherzustellen. Eines der naechsten Ziele besteht darin, eine Applikation von Boeing mit ihren Zeichnungssaetzen in das Bisam- System einzubinden, um auch hier die reibungslose Zusammenarbeit ueberpruefen zu koennen

*Karl-Ferdinand Daemisch ist freier DV-Journalist in Loerrach.