Auch wir stehen erst am Anfang

01.12.1978

Es sind keine spektakulären Beschäftigungseinbrüche in Bayern zu befürchten." Dieses Fazit zieht der Bayerische Wirtschaftsminister Anton Jaumann aus der in seinem Auftrag vom Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) durchgeführten Studie "Auswirkungen der Mikroelektronik auf die bayerische Wirtschaft". Untersucht wurden die folgenden Anwendungsbereiche der Mikroelektronik: Meß-, Steuer- und Regelungstechnik, Werkzeugmaschinenbau, Spielzeugindustrie, Büromaschinen und Datenverarbeitung. Es galt insbesondere festzustellen, welche Konsequenzen sich für die Wettbewerbs- und Entwicklungsfähigkeit der mittelständischen Wirtschaft in Bayern ergeben sowie ob und in welchem Maß Arbeitsplätze bedroht sind, wenn die Mikroelektronik in diesen vier ausgewählten Bereichen zukünftig in verstärktem Umfang vordringt. Angesehen von der Datenverarbeitung steht man hier noch am Anfang des Mikroelektronik-Einsatzes. Aus diesem Grunde kommt den Untersuchungsergebnissen der ISI-Forscher für den Bereich der Büromaschinen und Datenverarbeitung (BMDV) eine besondere Bedeutung zu.

Zur Zeit gibt es in der Bundesrepublik knapp 100 BMDV-Betriebe. Es dominieren Großbetriebe. "Ein Resultat des Strukturwandels im Laufe der Verbreitung der Mikroelektronik." Eine bemerkenswerte ISI-Feststellung. Die Befragung mittelständischer Betriebe ergab, daß die meisten Firmen noch vor der Umstellung ihrer Produkte auf mikroelektronische Funktionslösungen stehen. Solche Entwicklungsprojekte erfordern Aufwendungen in Höhe von ein bis drei Millionen Mark, die über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren vorfinanziert werden müssen. Neben Finanzierungsschwierigkeiten waren Know-how-Defizite erkennbar bezüglich technischer und marktbezogener Konsequenzen als Folge der Umstellung auf die Mikroelektronik. Auch hinsichtlich der Marktforschung zeigen sich entscheidende Engpässe. Daraus zogen die ISI-Forscher den Schluß daß eine auf mittelständische Unternehmen ausgerichtete staatliche Förderungspolitik weniger an den Investitionskosten als vielmehr an kompletten Umstellungsfällen ansetzen sollte. Sie gaben auch Empfehlungen, wer diese konzeptionellen, inhaltlichen Management-Hilfen den kleinen und mittleren Unternehmungen geben sollte: einerseits das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr und andererseits das ISI! Was der Bayerische Wirtschaftsminister von solchen Empfehlungen hält, läßt sich indirekt aus dem "Interview der Woche" (vergleiche Seite 4) herauslesen: ". . . wenn ein Unternehmen. . . nicht weiß, wie es vorgehen soll, dann hätte hier ein Untersuchungsleiter, der ja auch nur über Zweitwissen verfügt, für solche Betriebe bestimmt keine positive Anleitung geben können." Ich möchte einschränkend hinzufügen: Es sei denn, es handelt sich um Innovationsforscher mit verkannten Unternehmerqualitäten - aber die sind in Forschungsinstituten wahrscheinlich rar.

In die ISI-Untersuchung wurden im Rahmen BMDV-Analyse auch Softwarehäuser einbezogen.

Es wurde Aufschluß darüber gesucht, ob sich hier neue Chancen für mittelständische Firmen ergeben und ob Softwarehäuser eine Rolle bei der Förderung der Anwendung der Mikroelektronik übernehmen können. Die erste Teilfrage wurde bejaht, die quantitativen Beschäftigteneffekte jedoch als begrenzt angesehen. Es wurde auch bejaht, daß die Softwarehäuser in ein Konzept zur Förderung der Umstellung der mittelständischen Industrie auf die Mikroelektronik als aktive Partner einbezogen werden könnten (Anwenderberatung, Vertragsentwicklung). Abgesehen davon, daß der in der Studie gebrauchte Konjunktiv die bereits nachweisbaren respektablen Leistungen der "Softwarehäuser" - älteren, aber auch neueren Gründungsdatums - untertreibt, verdient die folgende Feststellung der ISI-Forscher Beachtung: "Mittelständische Anwenderunternehmen schätzen nach eigenen Aussagen die direkten Umgangsmöglichkeiten mit den kleinen Softwarehäusern: Sie schätzen, daß sie sich nicht in der Position des Bittstellers befinden; sie schätzen, daß sie sich gegenüber kleinen Softwarehäusern besser gegen den Abfluß ihres Know-hows schützen können." Die Stoßrichtung dieser Argumentation liegt auf der Hand. Sie unterstreichen das allem Anschein nach immer noch bestehende Vertrauensdefizit gegenüber den Applikationshilfen der großen Bauelementehersteller.

Damit ist zugleich eine Stoßrichtung für die Förderung der Anwendung der Mikroelektronik in der mittelständischen Industrie aufgezeigt, die marktkonform erscheint: Die Förderung der Kooperation zwischen mittelständischen Geräteherstellern und Software-Entwicklern sowie die Förderung der Existenzgründung neuer Softwarehäuser. Ein Fachjournalist, der diese Förderstrategie anläßlich der Präsentation der ISI-Studie auf der electronica 78 nicht mit Nachdruck herausgearbeitet sah, gab den Kommentar: Eine verpaßte Chance.

Diesen Kommentar hörte ich auch von jemandem, der sich von der Untersuchung endlich Aufschlüsse darüber versprochen hatte welche Folgewirkungen die Mikroelektronik bei den Beschäftigten insgesamt gesehen auslösen wird. Mit "job killer"- versurs "job knüller"-Argumenten kann man der sich verstärkenden Technologie-Feindlichkeit gegenüber der Mikroelektronik nicht mehr allzu lange begegnen. Partiell eingetretene oder zu befürchtende negative Beschäftigteneffekte wurden bereits zum Anlaß genommen, tarifpolitische Forderungen durchzusetzen, die eine neue Form von Rationalisierungsschutzmaßnahmen darstellen. Das hat den Bundesminister für Wirtschaft bewogen, ein Gutachten anfertigen zu lassen zum Thema: Technischer Fortschritt, Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Ein interdisziplinär arbeitendes Forschungsteam vom IFO-lnstitut für Wirtschaftsforschung sowie von ISI und Infratest Forschung wird die Untersuchungsergebnisse im Herbst nächsten Jahres vorlegen. Wir geben darum zu diesem Fragenkomplex vorerst keinen Kommentar ab, denn wir stehen erst am Anfang unserer Untersuchungen.