OSI-Produkte präsentieren sich auf der CeBIT als "reif für die Praxis":

Auch User beweisen sich in Multivendor-Show

10.03.1989

Allen Unkenruf en über sich dahinziehende Standardisierungsbemühungen zum Trotz können OSI-Protagonisten, und zwar Hersteller und Anwender, auf der diesjährigen CeBIT zahlreiche OSI-Produkte präsentieren. Ob die stolz als bisher größte Multivendor-Show apostrophierte Demonstration in Halle 13 auf Stand D10/109 den selbst gesteckten Kommunikationszielen immer entsprechen kann, sei dahingestellt. Dennoch imponiert das Aufgebot an Unternehmen und Produkten (siehe auch Seiten 26, 28 und 29). Dietger Kruschel* erläutert im folgenden den fachlichen Hintergrund der Schau.

Die für den Benutzer interessanten Funktionsschichten des OSI-Modells sind die Schichten 6 und 7. Insbesondere die Schicht 7 gehört den Anwendungsstandards wie X.4001 FTAM, Edifact, ODA oder X.500. OSI gilt deshalb mit Recht als allgemein akzeptierte Grundlage einer offenen Systemkommunikation. Gerade im vergangenen Jahr hat sich auf diesem Gebiet viel getan. OSI wurde zum Schlagwort, das die Diskussion vieler Kongresse beherrscht und neben ISDN und Unix auch Verwirrung stiftet, weil "offene Kommunikation" inzwischen von mehreren Seiten als das Zukunftsziel interpretiert wird. Kein Zweifel: Standards dienen der Vereinheitlichung von Prozessen.

Standards sind notwendig, wenn Programme portabel werden sollen. Dazu gibt es Unix. Standards sind notwendig für ein einheitliches Informations-Management. Die Arbeiten zu einem offenen OSI-Netzwerk-Management-System sind hierzu noch nicht abgeschlossen. Standards sollen auch die offene Kommunikation in heterogenen Systemen ermöglichen. Und dazu gibt es die allseits akzeptierten OSI-Regeln. Übrigens, unter "System" verstehen die Normungsorganisationen von ISO und CCITT einen Komplex aus Rechnern, Programmprodukten, peripheren Geräten, Bedienern und Übertragungsmedien. Sie zusammen bilden ein autonomes Ganzes, zur Übertragung von Informationen.

Auf die Anwendungen kommt es an

Das hochgesteckte Ziel von OSI lautet: die ungehinderte Verbindung von derartigen Systemen unterschiedlicher Hersteller mit unterschiedlichen Informationsmanagement- und Betriebssystemen. Darüber hinaus zielt OSI auf eine weltweite Kommunikation und damit auf einen reibungslosen Übergang in den öffentlichen Telematikdienst.

Schon kurz nach Verabschiedung des OSI-Modells durch ISO und CCITT entstand der Entwurf einer Serie von Empfehlungen, die die weltweite Mitteilungsübermittlung zum Gegenstand haben. Als erste konkrete Definition der Schicht 7 wurden die X.400 Standards (Message Handling System) verabschiedet.

Von vielen EDV-Benutzern dringend erwartet wurden die FTAM-Standards (File Transfer Access and Management). Auf der Grenze zwischen der Anwendungsschicht-7 und einem Benutzerprogramm liegen die Standards ODA und Edifact. Während ODA das Entwicklungsstadium noch nicht verlasen hat, gibt es auf Basis der Edifact-Standards bereits eine breite Auswahl konkreter Produkte verschiedener Hersteller. Die Anwendungsarchitekturen MAP und TOP verstärken den Trend zu OSI-Lösungen: OSI ist reif für die Praxis.

Anläßlich der Hannover-Messe CeBIT '89 beweisen 24 Hersteller informationstechnischer Systeme und zehn große europäische Computeranwender, welche praktischen Möglichkeiten OSI heute schon bietet. Als Hersteller sind dies die EurOSInet-Mitglieder Bull, Control Data, Digital Equipment, Data, General, Geo-Mail, Hewlett-Packard, IBM, ICL, mbp, Motorola, NCR, Olivetti, Philips, Prime, Retrix, Siemens, SD-Scicon, Sema Group, Sydney, Tandem, Unisys, Wang, Wollongong und Zellweger.

Unterstützt wird die Gruppe durch die Anwendervereinigung Ositop, mit BASF, CCTA-UK Government, CIIBA-French Government, RARE, Dresdner Bank, Electricité de France, Exxon Chemicals und Hoechst.

AT&T, KDD, ITS, Transfer Data Test, Transpac, das weltweite EurOSInet-Netzwerk und das Ositop-Netz liefern die weltumspannende Infrastruktur.

Real-existierendes OSI auf dem Prüfstand

In der von allen Teilnehmern der Multivendor-Show gestalteten Messepräsentation stehen somit ausschließlich reale OSI-Applikationen der Anbieter auf dem Prüfstand. Dazu Ositop-Vertreter Rainer Janssen von der Hoechst AG: "Schon heute ist es möglich, OSI-Produkte einzusetzen und meßbare Erfolge im, betrieblichen Ablauf zu erzielen." Bei Hoechst wird seit über einem Jahr X.400 Message Handling (Elektronische Post) eingesetzt.

Das Interesse an der gemeinsamen Präsentation von OSI-Anwendungen beschreibt Janssen so: "Erst wenn eine Vielzahl insbesondere großer Unternehmen Produkte nach international abgestimmten Standards einsetzen, werden die Vorteile richtig deutlich. Wir wollen dafür werben, daß sich OSI rasch in praktischen Nutzen für möglichst viele Anwender umsetzt."

Um diese Ziele zu erreichen, erdachten OSI-Strategen für die CeBIT ein sogenanntes "Business Model" ein Modell also, mit dem beispielhaft gezeigt wird, wo und welche OSI-Produkte heute schon sinnvoll einzusetzen sind.

Als Mitspieler in diesem Modell gibt es die Verwaltung eines Handelshauses, einen Kaufmarkt, einen Zwischenhändler, einen Produktionsbetrieb und eine Bank. Alle haben Geschäftsbeziehungen miteinander und arbeiten mit unterschiedenen Computersystemen vom PC zum Großrechner. Im Messespiel der Multivendor-Partner spielt jedes Unternehmen eine definierte Rolle. Die Kommunikation zwischen Bank und Produktionsbetrieb, Handel, Lieferant und Verwaltung wird elektronisch abgewickelt, wobei existierende OSI-Produkte der Mitspieler miteinander in Aktion treten.

Die Kommunikationswege auf dem Stand sind verschlungen. So wird bewußt nicht der einfachste Weg, also die direkte Verbindung von Terminal zu Terminal gewählt, sondern vielmehr mehrere weltweit strukturierte Kommunikationsplattformen mit einbezogen. "Offene Kommunikation" bedeutet schließlich auch ein reibungsloses Zusammenspiel der verschiedenen, globalen Kommunikationsnetze.

Demo auf der CeBIT "praxisorientiert"

Trotz der notwendigen Vereinfachung für eine Messeshow orientiert sich das CeBIT-Kommunikations-Modell an betrieblicher Praxis. Das Modell beschreibt typische Geschäftsabläufe, wie sie sich zwischen Unternehmen täglich abspielen.

Zu Beginn eines Tages erkundigt sich zum Beispiel das Verkaufsgeschäft bei der Hauptverwaltung nach den neuesten Preislisten. Dieser Abfragevorgang wird zwischen den verschiedenen "Mitspielern" per FTAM (File Transfer, Access und Management) abgewickelt. Dann wird im Modell unterstellt, die Ware ist ausverkauft und muß beim Zwischenhandel nachbestellt werden. Für den Bestellvorgang wird das X.400 Message Handling System (Elektronische Post) benutzt. Der Distributor bestätigt den Auftrag schriftlich, aber ebenfalls per Electronic Mail. Auch die Bestellung des Großhändlers beim Herstellerwerk wird per Electronic Mail abgewickelt. Die Hauptverwaltung ihrerseits wird gewöhnlich den Auftrag bestätigen und gleichzeitig den Einkauf veranlassen, die für die Produktion erforderlichen Bauteile zu beschaffen. Für den Einkaufsprozeß wird ein OSI-Programm benutzt, das dem Edifact-Standard entsprechend aufgebaut ist. Setzt auch der Lieferant ein standardisiertes System ein, können auch dieser Bestellvorgang und die nachfolgende Rechnungsstellung elektronisch abgewickelt werden. Am Abend eines Tages wird die Hauptverwaltung am Verkaufserfolg interessiert sein. Die Abfrage wird mit FTAM-Anwendungen durchgeführt.

X.400 ist mehr als ein Mailboxsystem

Mitteilungen, die Menschen elektronisch austauschen möchten, sind in der Regel nicht strukturiert. Sollen Informationen in fest strukturierter Weise übertragen werden, sind ergänzende Standards notwendig. X.400 greift hier nicht ein, sondern versteht sich als ein Transportinstrument für beliebig strukturierte Mitteilungen. Dokumente oder Daten: X.400 transportiert alles.

So sind die Standards weitgehend offen für die Übertragung beliebiger Dokumententypen. Die Integration existierender Telematikdienste, wie Teletex, Fax, Btx und Telex stehen deshalb im Mittelpunkt der X.400 Service-Leistungen.

Im Unterschied zum FTAM-Standard erfolgt die Mitteilungsübermittlung nach X.400 im store-and-forward-Verfahren. Der Austausch erfolgt zwischen Personen, vergleichbar mit einem Briefumschlag, der von Briefkasten zu Briefkasten transportiert wird, wobei der Brief-Inhalt keine Rolle spielt. X.400-Produkte bieten heute nahezu alle Hersteller informationstechnischer Systeme.

Im Gegensatz zu traditionellen Datenübertragungs-Protokollen bietet FTAM mehr als nur File-Transfer. Zusätzlich bietet dieses OSI-Produkt die Möglichkeit, auf fremdem Dateien zuzugreifen und sie zu verändern. Hierin liegt auch der wesentliche Unterschied zu X.400, bei dem die Übertragung von Dateien ebenfalls möglich ist.

Im Unterschied dazu bietet jedoch FTAM Zugriffsmöglichkeiten auf die Datei des Zielsystems. FTAM ist ein bilateraler Dienst. Eine FTAM-Aktivität ist immer eine Kommunikation zwischen genau zwei Endpunkten. X.400 dagegen ist multilateral, das heißt, eine Mitteilung kann an beliebig viele Empfänger im Netz verschickt werden.

FTAM ist mehr als "Dateien holen"

Eine typische FTAM-Anwendung ist ein Fall, bei dem, räumlich weit verteilt, Meßdaten anfallen. Die Erfassung solcher Meßdaten geschieht mit speziellen Systemen. Die Auswertung und weitere Verarbeitung kann für alle Meßstellen gemeinsam an zentraler Stelle durchgeführt werden. Hier sind unterschiedliche Rechnertypen beteiligt. Auch die Verarbeitung kann auf mehreren Systemen stattfinden. In diesem heterogenen System können mit FTAM-Anwendungen Daten von den Meßstellen abgeholt werden. An zentraler Stelle werden sie verarbeitet und die Ergebnisse dann wiederum per FTAM zu anderen Rechnern weitergeleitet. Anläßlich der Hannover-Messe werden FTAM-Produkte von zahlreichen Unternehmen vorgestellt. Die Tabellen auf den Seiten 26, 28 und 29 geben einen vollständigen

Überblick.

Der Bedarf, strukturierte Daten in offenen Systemen zu übertragen, ist enorm. Gemeint sind damit Rechnungen, Bestellungen, Zahlungsvorgänge, Buchungen, Zolldokumente und vieles mehr. Hohe Erwartungen ergeben sich aus der Möglichkeit zur schnelleren Kommunikation, aus Einsparungen bei der Datenerfassung und durch Vermeiden von Datenübertragungsfehlern.

Die Edifact-Standards nun, die diesem Bedarf entgegenkommen, sind nach dem OSI-Referenz-Modell an der Grenze zwischen der Schicht 7 und den darauf basierenden Benutzerprogrammen angesiedelt. Sie nutzen die Dienste der unteren Ebene zur Übertragung der Informationen zwischen den Systemen. Für einen Dokumentenaustausch können sowohl X.400- als auch FTAM-Produkte genutzt werden. Programme auf Basis der Edifact-Standards sind gleichfalls in den oben erwähnten Tabellen aufgeführt, genauso wie X.500-Directory-Systeme.

Ein Directory nach X.500 besteht aus einer Reihe von Komponenten. Für den Benutzer ist sie eine Datenbank, die Informationen speichert und auf Anforderung zur Verfügung stellt. Directory-Systeme wurden dazu entwickelt, ihre Funktionalität im Zusammenspiel mit anderen Kommunikations-Standards, insbesondere mit X.400 und FTAM zu erbringen. X.500 Directory Services-Produkte präsentieren: Retix, die Sema Group, Siemens und Wollongong.

*Dietger Kruschel ist freier EDV-Fachjournalist in Nürnberg