Gastkommentar

Auch in der Datenverarbeitung die Fertigungstiefe verringern

16.09.1994

Die Stimmen, die von einer konjunkturellen Entwarnung sprechen, mehren sich. Die Wirtschaft atmet auf, aber werden mit den nun wieder positiveren Perspektiven nicht die Reformbestrebungen in der Informatik unterlaufen?

Zumindest duerften sich die Vorzeichen veraendern. Denn erzeugten gerade erst die Absatzprobleme in fast allen Branchen eine kritische Betrachtung der DV-Kosten und provozierten als Folge eine neue Kreativitaet in der strategischen Ausrichtung, so besteht angesichts eines nachlassenden Problemdrucks die Gefahr, dass manche interessante und vor allem notwendige Ideen zur modernen Umgestaltung der Informationstechnik wieder an Prioritaet verlieren und zunaechst einmal (wahrscheinlich bis zur naechsten Rezession?) auf Eis gelegt werden.

Weitsicht und Durchhaltevermoegen bei den Verantwortlichen sind gefragt. Will die DV ihre Funktion als strategischer Produktionsfaktor nicht verlieren, darf sie sich in ihrer mittelfristigen Planung nicht zu sehr von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhaengig machen. Mit anderen Worten: Der positive Rezessionseffekt, die bestehenden Strukturen in Frage zu stellen und nach effizienteren und kostenguenstigeren Loesungen zu suchen, darf nicht deshalb leichtfertig verspielt werden, weil im Zeichen eines beginnenden Aufschwungs vielleicht die Geschaeftsleitungen oder Controller nicht mehr so genau auf jede Mark achten.

Dieses Problem sei am Beispiel Outsourcing dargestellt: Die Auslagerung von DV-Funktionen, eben noch als willkommenes Mittel zur Verringerung der laufenden Aufwendungen beziehungsweise Investitionen gefeiert, wird nun wieder in Frage gestellt, weil der aeussere Kostendruck nachzulassen scheint.

Solche Schlingerkurse stehen einer ueberzeugenden und professionellen strategischen Planung im Wege. Die ist aber wegen der deutlich gestiegenen Anforderungen an die Informationstechnik wichtiger denn je: gerade hinsichtlich ihrer Reaktionsfaehigkeit und auch des Fixkostenanteils, damit sich Unternehmen flexibler den raschen Marktveraenderungen anpassen koennen und zudem wirtschaftlich besser in der Lage sind, konjunkturelle Schwankungen aufzufangen.

Dies bedeutet: Es gilt auch in der Datenverarbeitung, die Fertigungstiefe deutlich zu verringern, indem man sich erstens vom haeufig kosten- und betreuungsintensiven Eigenbetrieb zentraler Systeme trennt und die notwendigen Grossrechnerfunktionen stattdessen zu leistungsvariablen Preisen billiger am Markt einkauft. Dies soll moeglichst bei gleichzeitigem Umstieg auf Standardsoftware geschehen, um den Kostenblock "Wartung von Individualsoftware" zu zerschlagen. Zweitens ist - beguenstigt auch durch die Befreiung von den Host-Anwendungen - eine konsequente Hinwendung zu Client-Server-Architekturen vorzunehmen, da sich mit ihrer Hilfe die individuellen Organisationsverhaeltnisse und Wettbewerbsanforderungen wesentlich besser abbilden lassen, sie vielfach kostenguenstiger sind und weniger Investitionsrisiken in sich bergen.

Ein Outsourcing-Anbieter muss hierbei auch in der Lage sein, die DV des Kunden auf dem Weg in Client-Server-Strukturen zu unterstuetzen. Bestenfalls liefert er beratend das Know-how zum Umstieg auf die neuen Technologien gleich mit und hat die Konzepte und die Infrastruktur, verteilte Anwendungen in Produktion zu nehmen.

Nur so schafft auch der Outsourcing-Anbieter den Einstieg in neue Geschaeftsfelder, die ihm auf lange Sicht Gewinne neben seinem Mainframe-Stammgeschaeft sichern. Folglich wird er seine Investitionsentscheidungen konsequent in diese Richtung lenken, um seinen Kunden das bieten zu koennen, was heute zunehmend gefordert wird: Mainframe-Leistung waehrend der Zeit des Umstieges auf neue Technologien und notwendige "Rest-Mainframe-Leistung" sowie professionelle Dienstleistungen fuer verteilte Umgebungen nach dem Umstieg.

In diesem groben Rahmen, der anders als manche ideologischen Mainframe-Diskussionen eine praxisgerechte Koexistenz von zentralen und dezentralen Loesungen vorsieht, duerften sich zukuenftig die meisten Strategien der Anwender bewegen. Budgets werden so langfristig entlastet, die Unternehmen bleiben offen fuer technische Innovationen, ganz gleich welchen Namen sie tragen. Die Frage nach dem Nutzen der DV wird klarer beurteilt: Geschaeftsprozesse werden effektiver unterstuetzt und damit wird die Wettbewerbsfaehigkeit des Anwenderunternehmens gesteigert.

Nur eines kann die Anwender auf dem Weg dorthin behindern - fehlendes Stehvermoegen bei der Umsetzung der gerade begonnenen Konzepte, die genau diese Richtung eingeschlagen hatten. Denn eines ist sicher: Die naechste Rezession kommt bestimmt.