PC-Markt als Vorbild für den Workstation-Vertrieb

Auch für Unix-Systeme setzt sich der Direktvertrieb durch

26.06.1992

Das Geschäft mit DOS-PCs wird immer mehr zum Vorbild für die Anbieter von Unix Systemen. Spätestens seit sich die Grenze zwischen Workstation und PC verwischt, ist abzusehen, daß sich Unix über den PC vom Nischen- zum Massenprodukt entwickelt. In der Folge, so hat Hans-Peter Sander festgestellt, setzen immer mehr Anbieter auf einen Distributionskanal, der sich im Massenmarkt bewährt hat: auf den Direktvertrieb.

Dem europäischen Unix-Markt steht, so die Prognosen der meisten Branchenkenner, ein immenses Wachstum bevor. Schon in der Mitte dieses Jahrzehnts, so schätzt das Marktforschungs-Unternehmen IDC, wird ein Drittel der weltweit installierten Computer unter dem Multiuser-Betriebssystem laufen. Der Grund: Es dient als Integrator für die heterogenen DV-Landschaften der Anwenderunternehmen.

Mit der steigenden Zahl an Applikationen erobert sich der Exot aus der wissenschaftlich-technischen Ecke den Markt der kommerziellen Anwendungen. Das Verhältnis zwischen den Anteilen wissenschaftlich-technischer und kommerzieller Anwendungen - heute 44 zu 24 Prozent - wird sich in einigen Jahren umgekehrt haben.

1997 ein Marktanteil von 30 Milliarden Dollar

Der weltweite Wert des Marktes für Unix Software beträgt nach Schätzungen der IDC- Analysten derzeit acht Milliarden Dollar. Er soll bis 1997 auf das stattliche Volumen von über 30 Milliarden Dollar anwachsen. Bei allen rosigen Aussichten ist aber dennoch ein riesiger Nachholbedarf vorhanden. Die Entwicklung bei der Unix-Hardware bestätigt den rasanten

Aufwärtstrend.

Im vergangenen Jahr lag das Marktvolumen bei Workstations und PCs - nach einem Wachstum von 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr - bei 2,8 Milliarden Dollar. IDC prophezeit für dieses Jahr eine weltweite Ausdehnung des Bestands an Unix-PCs und -Workstations um mehr als 40 Prozent. Auch hier bestätigt sich der Trend vom Freak-Rechner zum Business-System. Knapp ein Viertel der im vergangenen Jahr ausgelieferten 125000 Workstations wurden für kommerzielle Anwendungen angeschafft.

Die Branchenkenner sind sich einig, daß der Unterschied zwischen PC und Workstation vom technischen Leistungs- und vom Preisniveau her immer kleiner wird. Eine Auflösung der Trennlinie zwischen den beiden Rechnertypen ist bereits abzusehen. Es steht zu erwarten, daß die Entwicklung des Workstation Markts in ähnlichen Bahnen verläuft wie vor

einigen Jahren das PC-Geschäft. Vor allem die 486er-PCs mit voluminösen Festplattenspeichern verstärken den Druck auf die klassischen System-Anbieter für Unix. Um zu überleben, expandieren sie daher selber in den PC-Markt.

"Einheiten unter 10000 Mark werden in den PC-Markt ein brechen", prognostiziert Ralf Bengsch, Geschäftsführer des Direktvertreibers Compuadd, Hanau. PR-Manager verschiedener Workstation-Hersteller operieren verstärkt mit dem Begriff "Entry-Level-Workstations". Selbst traditionell auf Händler fixierte Workstation-Größen wie Sun Microsystems reduzieren inzwischen ihre Preise drastisch. So kostet ein RISC-Rechner mit Solaris 10 und Farbmonitor nur noch 14000 Mark. Außerdem hat der Workstation-Hersteller Sun seine Absicht bekundet, sich auf dem PC-Markt zu etablieren.

Dort herrschen jedoch rauhere Sitten als im wissenschaftlich-technischen Workstation-Reservat. Ein unübersehbares Zeichen für die Versuche, als Unix-Hardwerker den harten Preiskampf zu überstehen, ist die Abkoppelung ihrer bislang kostenlosen Entwicklungswerkzeuge von der Standard-Software.

Das Unbundling der Tools soll nicht nur Geld einbringen, sondern unabhängigen Softwareherstellern Arbeit für viele Jahre bescheren und eine Menge Applikationen hervorbringen. Was den PC so erfolgreich machte, hat als Trend bei den Workstations gerade begonnen: Ein stetig wachsendes Angebot an System- und Anwendungssoftware wird auch hier den Markt spürbar beleben.

Trotzdem bleibt für viele Anwender - wie das Kaufverhalten beweist - der Unterschied zwischen PC und Workstation unantastbar. Während im boomenden PC-Direktmarkt Unix-PCs an den Kunden gelangen, muß man den Direktvertrieb für Workstations als nicht existent bezeichnen. Und das, obwohl jene Trümpfe, die dem PC-Direktmarkt zu seinem rasanten Wachstum verhalfen, gleichermaßen im Bereich der Workstations stechen: Auch hier handeln Spezialisten, wie professionelle Softwareentwickler, längst unabhängig von Händlern; auch hier ist eine hohe Qualität zum Standard geworden und auch hier lassen sich im direkten Vertrieb zu erzielende Preiseinsparungen nicht wegdiskutieren.

Für den Erfolg bei der direkten Vermarktung spielen auch Faktoren eine Rolle, die ursprünglich nichts mit Unix zu tun haben. Jens Schnabel von DEC-Direkt: "Es gibt einfach noch zu wenig spezifische Software. Wir könnten zum Beispiel irrsinnig viele unserer ,Personal Workstations' direkt verkaufen, wenn Windows NT schon verfügbar wäre."

Workstations sind auch im Direktvertrieb zu teuer

Zurückhaltend wie das Käuferverhalten ist das Angebot der Hardware-Direktanbieter. Alle Großen der Branche, ob Dell, Compuadd oder auch DEC-Direkt, bieten wie selbstverständlich Unix-PCs an. Marktführer ist hier der PC-Spezialist Dell, der von Anfang an Rechner zusammen mit dem AT&T-Unix an die Endkunden verkaufte. Derzeit führt das Unternehmen in Deutschland SCO-Unix in.

DEC-Direkt verkauft Ultrix-Rechner per Telefon. Newcomer Compuadd bietet bei allen PCs die Option Xenix oder SCO-Unix. Daneben stellt auch fast jeder kleine No-name-Direktverkäufer den einen oder anderen Unix-PC ins Schaufenster. Den Kunden bereitet die Suche nach der richtigen Workstation über den Direktmarkt einige Mühe. Zwar geht der Trend auch bei manchen alteingesessenen Hardware-Riesen in Richtung Direktmarkt. Salopp gesprochen ist außer dem Wörtchen "direkt" hinter dem Firmennamen und der Offerte, nun auch Arbeitsplatzrechner "direkt" per Telefon oder Fax beim Hersteller zu ordern, vom niedrigen Preis als Haupttrumpf der Direktverkäufer noch wenig zu spüren. Bei der Preiskalkulation haben die PC-Spezialisten Vorteile. Dell etwa wagt sich erst gar nicht ins RISC-Geschäft und bleibt auf dem bisherigen Erfolgskurs mit den günstigeren Intel-Systemen.

DEC-Direkt bietet Workstations aus eigenem Hause an. Anfang des Jahres brachte das Unternehmen die "Personal DECstation" auf den Markt und ließ verlauten, bei einem Preis deutlich unter 10000 Mark "über die preisgünstigste RISC-Workstation am gesamten Markt" zu verfügen. Mag diese Erklärung für diese Entry-Level-Workstation von Markenanbietern auch tatsächlich zutreffen, so bekommt DEC-Direkt beim Vergleich mit Geräten gleichartiger Konfigurationen doch Schwierigkeiten. Sparc-Clones zum Beispiel sind günstiger zu erwerben. Zweifel der Anwender, ein Direktanbieter sei nicht in der Lage, den Service eines traditionellen Händlers zu bieten, hemmen die Kaufbereitschaft gerade im Unix-Markt. Der Grund: Unix geht nach wie vor der Ruf voraus, ein kompliziertes Betriebssystem zu sein. Daher wird es wohl auch künftig schwer sein, besonders erklärungsbedürftige High-end-Workstations über den Direktkanal abzusetzen

Doch zum einen wird die Unix-Handhabung von Version zu Version einfacher, und zum andern bieten Direktverkäufer von PCs und Workstations inzwischen durchaus kundgerechten Service an.

Hier kommt den Anbietern der Verzicht auf Fachhändler zugute. durch den direkten Kontakt mit dem Lieferanten, fließen die Kundenwünsche direkt in alle betroffenen Unternehmensbereiche, von der Geräteentwicklung über Produktion und Vertrieb bis hin zum After-Sales-Support, ein.