Eine rein nationale Informatik-Industrie muß scheitern

Auch Frankreichs Regierung kann DV-Branche kaum helfen

24.07.1992

Jahrelang hat die französische Regierung versucht, die nationalen Anbieter mit Geldspritzen über Wasser zu halten. Trotzdem befinden sich unter den vier Großen in Frankreich Bull, Hewlett-Packard, IBM und Siemens-Nixdorf nur ein Franzose. Lorenz Winter beschreibt, warum das Konzept der französischen Regierung fehlschlagen mußte.

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Firmenmeldungen kaum mehr als regionale Bedeutung zu haben. Doch beim genaueren Hinsehen beleuchten sie recht präzise den heutigen Allgemeinzustand der französischen Informatikbranche.

Fall eins: In Granville in der Normandie wirft IICC Normerel zum Jahresende beim Bau von Mikrocomputern das Handtuch. Generaldirektor Francois Martel klagt aus diesem Anlaß bitter über "Banken, Zulieferer und öffentliche Hand, die bei uns nicht mehr mitspielen wollten und stur ignorieren, daß in Frankreich außer einer Handvoll Softwarehäuser immer noch eine infomationstechnische Basis existiert, die man mit einiger Anstrengung durchaus erhalten könnte".

Fall zwei: Etwa 500 Kilometer entfernt versucht die kalifornische Firma Solectron öffentliche Startsubventionen und Bestellungen von IBM zu erhalten, um damit ein Zweigwerk für den EG-Markt in der Nähe von Bordeaux in Gang zu bringen. Bei der Regierung ist der zweitgrößte Elektronikzulieferer der Welt schon fündig geworden: 70 Millionen Franc ( rund 21,5 Millionen Mark) Zuschüsse zahlt Paris für die Errichtung von 250 neuen Arbeitsplätzen - in Schottland waren Selectron zuvor nur 50 Millionen Franc geboten worden.

IICC Normerel war einer der letzten französischen Versuche, die als "Industrie mit großer Zukunft" gerühmte Informatikbranche allein mit nationaler Ressourcen zu bestücken. Das Unternehmen ging 1989 aus der Fusion von IICC und der SMT-Goupil-Tochter Normerel hervor. Martel, damals schon Chef von IICC, favorisierte eigentlich eine Allianz mit der taiwanischen Gruppe Arche Technology, doch die Regierung des damaligen Premiers Michel Rocard bestand auf einer rein französischen Lösung. Das wiederum zwang Martel sofort zur Korrektur seiner ursprünglichen Umsatzziele: Statt 450 Millionen Franc waren im Rahmen einer nationalen Unternehmensgruppe nur 250 Millionen zu erwarten.

Der neuen Firma fehlte somit von Anfang an die kritische Masse, während nach Ansicht von Martel im Falle einer Verbindung mit Arche ein Weltmarktanteil von zehn Prozent "ohne weiteres drin" gewesen wäre. Der schrumpfende Markt für Mikrocomputer und die brutalen Preiskämpfe in der Branche taten dann ein übriges. Schon drei Jahre nach seinem Start ging dem Unternehmen die Luft aus. Künftig will IICC Normerel sein Glück mit Notebooks, modularen Systemen und ähnlichen Neuerungen versuchen.

Schwacher Trost für den Chef. Der Fehlschlag seiner Firma war weder selbstverschuldet noch ein Einzelfall. Seit Anfang der 80er Jahre büßte Frankreich vielmehr einige hundert ähnlich ehrgeiziger, aber industriepolitisch fragwürdiger und finanziell ungesicherter DV-Unternehmen ein. Übrig blieben bis heute nach einer Zählung der Fachzeitschrift "Electronique International Hebdo" rund "30 kleinere Gesellschaften, die sich in irgendwelchen mehr oder minder aussichtsreichen Nischenmärkten tummeln". Nach einer Schätzung des französischen Fachverbandes kommen diese Unternehmen zusammen auf höchstens 10 Prozent Anteil im Inlandsmarkt.

Das ist eine überaus ernüchternde Bilanz jahrelanger öffentlicher Propaganda für eine lebensfähige eigene Informatikbranche. Zwar wurde in Frankreich 1991 immer noch für fast 21 Milliarden Franc Hardware verkauft, und der Gesamtumsatz gegenüber 1990 schrumpfte nur um fünf Prozent, obwohl sich der Markt im Vorjahr in einer Konjunkturflaute befand. Doch liefert die Hardware jetzt nur noch die Hälfte aller DV-Erlöse, und auch das Downsizing der Kunden hinterließ Spuren: 50

Prozent aller verkauften Geräte waren PCs und Workstations, der Absatz von Großsystemen gab dagegen schon 1990 um fast die Hälfte nach.

Da SMT-Goupil mittlerweile aus dem Markt ausschied und Digital sein Vorhaben einer Terminal-Produktion im Technologiepark Sophia Antipolis bei Nizza nie verwirklichte, umfaßt die französische Informatikbranche heute praktisch nur vier große Namen: Bull, IBM, Hewlett-Packard (HP) und Siemens-Nixdorf. Drei davon sind Nichtfranzosen.

Bull betreibt in Frankreich heute nur noch drei Fabrikationsstätten: Belfort im Dreiländereck zu Deutschland und der Schweiz, Angers im Loiretal und Villeneuve d'Ascq bei Lille. Dabei schmolz die industrielle Präsenz des Konzerns in Belfort am stärksten zusammen: Nach der Aufgabe der Peripheriefertigung blieben von einst 1300 Beschäftigten noch ganze 300 übrig, die Drucker bauen und Reparaturen ausführen. Nebenbereiche wie die Steckkartenfertigung und den Kabeleinzug verkaufte Bull an einen lokalen Zulieferer, der weitere 75 ehemalige Mitarbeiter des Konzerns übernahm.

Angers, trotz massivem Beschäftigungsabbau in den Vorjahren mit 2500 Mitarbeitern immer noch größte Fertigungsstätte, mußte weitere 20 Prozent Personal einbüßen. In der Fabrik von Villeneuve endlich läuft die gesamte Mikro- und PC-Fertigung vom Band - sowohl Bull- als auch Zenith-Geräte werden hier zusammengebaut. Obwohl die Produktion des einstigen Zenith-Werkes in Irland inzwischen dorthin verlagert wurde, fertigte Villeneuve 1991 mit rund 200 000 Einheiten kein Stück mehr als 1989.

Etwas stabiler sieht die Lage bei IBM France aus. Big Blue montiert in Montpellier und Bordeaux die Großrechner ES 9000 für ganz Europa und beschäftigt damit 3700 Mitarbeiter. Zwar sind auch dort 1992 im Rahmen eines Sozialplanes zahlreiche Abgänge vorgesehen, aber der Einbruch wird wohl weniger dramatisch als bei Bull sein.

Bull ist der einzige nationale Vertreter

Mit am besten meisterte HP France den Strukturwandel der Informatikbranche. Die Kalifornier produzieren schon seit 20 Jahren im Gebiet zwischen Lyon und Grenoble und richteten vor einigen Jahren sogar noch ein neues Zweigwerk in L'Isle d'Abeau beim Lyoner Flughafen Satelas ein. Kamen aus Frankreich früher die Echtzeitsysteme und Terminals des Konzerns, so ist heute die Mikro- und PC-Fertigung (einschließlich Vorproduktion) auf die Region Rhone-Alpes konzentriert. Etwa 800 Mitarbeiter bauen pro Monat 12 000 Maschinen. Da HP in Europa letzthin noch Marktanteile zulegte, könnte die Anzahl der Beschäftigten 1992 möglicherweise noch anwachsen.

Vor drei Jahren kaufte Siemens-Nixdorf einem französischen Mittelständler seine Fabrik in Haubourdin bei Lille ab. Dort montieren jetzt gut 150 Mitarbeiter zwischen 10 000 und 12 000 Mikros pro Jahr. Im Pariser Vorort Plaisir produziert Siemens-Nixdorf die Targon-Serie (RISC/Unix-Maschinen) sowie Minis für das Betriebssystem Pick. Da in den kommenden Monaten dort auch Farbterminals hergestellt werden sollen, könnte sich die Zahl der 250 Mitarbeiter in Plaisir noch erhöhen.

Mit Ausnahme dieser Unternehmen führt der Rest der Branche eher ein Schattendasein, was angesichts einer mittlerweile bei kümmerlichen sechs Prozent angelangten Wertschöpfung in der Mikroinformatik kaum verwundert. Firmen wie die Thomson-Tochter Celia in Toulon, ADI in Langlade bei Nimes oder Nucleus mit Umsätzen zwischen 100 und 200 Millionen Franc verstehen sich heute als Integratoren: Sie basteln Komponenten fernöstlicher, amerikanischer oder anderer französischer Lieferanten, zusammen und sorgen für die Entwicklung von technischen Spezifikationen und Anwenderprogrammen, Schlußtests und Qualitätskontrolle. "Eine eigene Fabrik zu bauen, stand für uns nie zur Diskussion", räumt Marketing-Direktor Philippe Viencent von Cetia unumwunden ein.

Trend zu offenen Systemen verschließt Marktnischen

Durch den Trend zu offenen Systemen sieht der französische Fachverband sogar die Restbestände einer eigenen französischen Informatikbranche gefährdet: "Dieser Trend macht es kleinen und Mittleren Firmen immer schwerer, überhaupt noch eine geeignete Marktnische zu entdecken", vermutet Verbandspräsident Francois Michel. Technisch können diese Unternehmen zwar durchaus mithalten, aber ohne die finanzielle Rückendeckung eines Großkonzerns gelangen sie kaum je zu wirtschaftlicher Rentabilität.

Ausbruchsversuche aus diesem Dilemma gibt es auch heute noch. So glaubt ADD-X mit Sitz in Buc bei Paris an die Zukunft der RISC-Technologie von Mips und entwickelte als erster französischer Hersteller einen Mikroprozessor vom Typ R 1000. Gipsi setzt derweil auf Farbterminals, Archipel auf Parallelrechner und HCI auf tastaturfreie Computer.

Der Erfolg war jeweils verschieden. Gipsi, 1988 als Sprößling einer vorausgehenden Zusammenarbeit zwischen Bull sowie den staatlichen Forschungszentren CNET und Inria entstanden, sah sich mit seinen Terminals in Frankreich anfangs allein auf weiter Flur. Doch schon bald wurde es von Rivalen wie Tektronix, DEC, IBM und HP überrollt - ganz zu schweigen von der fernöstlichen Konkurrenz. Prompt halbierte sich der Stückzahlenabsatz um die Hälfte.

HCI suchte dagegen von vornherein die Zusammenarbeit mit einem taiwanischen Hersteller, der gleichzeitig eine Lizenz für den Vertrieb der französischen Erfindung auf Drittmärkten erwarb. Archipel aus Annecy am Genfer See endlich, ein Winzling mit 23 Millionen Franc Umsatz im Jahr 1991, schlägt sich mit einem Rechner auf Transputer-Basis vorläufig noch ganz manierlich.

Doch das Konzept, eine informationstechnische Basis allein auf nationale Ressourcen zu gründen, hatte wohl kaum je eine Chance. Nicht nur die Systeme wurden offener, sondern auch die Märkte und ihre Standorte beliebiger - ganz gleich, ob dies den politischen Instanzen nun paßt oder nicht.