Zukunft der Informationstechnik immer schwerer vorherzusagen

Auch die IT-Experten wurden vom Internet-Erfolg überrascht

07.06.1996

Lucky war nur einer von vielen IT-Spezialisten, die dem Computer Science and Telecommuni- cations Board des National Re- search Council anläßlich seines zehnten Geburtstags ihre Aufwartung machten. Sie alle waren aufgerufen, ihre Vorstellungen zur Entwicklung der Informationstechnik in den kommenden zehn Jahren vorzutragen.

Doch Lucky führte diese Fragestellung quasi ad absurdum: "Es gab mal eine Zeit, da bedeutete ,die Zukunft' für Bell Labs: in zehn Jahren heute heißt das: in zwei Wochen." Sicher ist für den hochrangigen Bellcore-Manager nur, daß im Jahr 2000 rund eine Milliarde Menschen das Internet nutzen werden. "Was wir nicht wissen, ist, was sie damit tun werden."

Ein Kapazitätsproblem malte Robert Metcalfe, Vice-President für Technologie bei der International Data Group, Framingham, Massachusetts, an die Wand: "Das Internet ist drauf und dran zusammenzubrechen", warnte er. "Die Intranets wuchern wild, weil Sicherheit und Verläßlichkeit des Internet nicht ausreichen." Nach Metcalfes Ansicht bedarf das Netz der Netze dringend einer "Reparatur".

Raj Reddy, Dekan der School of Computer Science an der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh, beklagte hingegen, daß nur an der Technologie, nicht aber an den Inhalten gearbeitet werde. Die Schlüsselentwicklung sei die Digitalisierung der Bibliotheken. "Wir müssen alle autorisierten Werke der Menschheit online zugänglich machen," schwärmte der Wissenschaftler.

Ein Plädoyer für neue Mensch-Computer-Schnittstellen hielt Andries van Dam, Professor für Computer-Wissenschaft an der Brown University, Providence, Rhode Island. "Wir brauchen Post-WIMP-Interfaces", scherzte er: Gemeint waren Schnittstellen, die über Windows, Icons, Mäuse und Pointing-Funktionen hinausgehen. Spracherkennung, Hand- und Augen-Tracking, Software-Agenten sowie ständiger Input über Breitband-Verbindungen waren die Stichworte, die er in diesem Zusammenhang nannte.

Schwingt das Pendel schon wieder zurück?

Auch Edward Feigenbaun, leitender Wissenschaftler bei der US-Luftwaffe, formulierte einen Bedarf für anpaßbare Software-Agenten oder Software-Roboter. "Wir brauchen große, verteilte Systeme der Künstlichen Intelligenz, keine Laternenpfahl-Architektur", forderte der Air-Force-Informatiker.

Ein ziemlich düsteres Bild von der Zukunft der Informationstechnik zeichnete Howard Frank, Direktor für Informationstechnologie bei der Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) in Arlington, Virginia. Er bemängelte vor allem die "enge, un- inspirierte und überholte" Ausbildung an Schulen und Universitäten. "In den Vereinigten Staaten gehen Langzeitforschung und -entwicklung für Informa- tionssysteme zurück - genauso wie das strategische High-end-Computing", lautete seine Einschätzung. Auch das Internet bewege sich auf eine Phase des Niedergangs zu.