Produkqualität allein ist nicht ausschlaggebend für erfolgreichen SW-Einsatz:

Auch das organisatorische Umfeld muß stimmen

17.04.1987

Die Einführung von DV-Verfahren ist nicht nur von den Eigenschaften des Arbeitsmittels Software abhängig. Beeinflußt wird sie vielmehr auch von der organisatorischen Umgebung, in der ein solches Instrumentarium zum Einsatz kommen soll. Mit Aspekten der Software-Ergonomie setzt sich Ludwig Ellermann* auseinander.

Angesichts des günstigen Kosten/Nutzen-Verhältnisses wird konfektioniertre Software immer attraktiver. Diese Produkte entwickeln sich schneller fort und sie sind ausgereifter. Verbundsysteme zwischen verschiedenen Softwareprodukten - also die Verknüpfung zwischen einzelnen Programmen insbesondere zwischen PC- und Host-Programmen - eröffnen weitreichende Anwendungsmöglichkeiten.

Andererseits ist Konfektions-Software eben nicht "maßgeschneidert". Aus diesem Grunde muß eingehend geprüft werden, ob das avisierte Produkt oder die Produkte für den spezifischen Einsatzbereich geeignet sind. Die Prüfung der Eignung kann nicht nur nach dem Leistungsumfang erfolgen. Es muß auch kontrolliert werden, oh die jeweilige Lösung in die bestehende Personal- und Organisationsstruktur und deren Entwicklungsrichtungen "hineinpaßt".

Nur so kann verhindert werden, daß sich die Einführung einer Software als Flop erweist oder daß aufgrund unbeabsichtigter negativer Folgewirkungen auf eine Einführung besser verzichtet worden wäre.

Ausgefeilte Menü-Steuerung alleine hilft wenig

Vielfach gibt es heute Konzepte für die Software-Ergonomie, in denen durch eine ausgefeilte Menü-Steuerung - möglichst reduziert auf Ja/Nein Antworten - Software-Ergonomie hergestellt werden soll. Derart gestaltete Dialogschnittstellen sind so verhängnisvoll wie gefährlich. Warum dies so ist soll im folgenden entwickelt werden.

Durch die Einführung neuer Software werden praktisch immer Aufgaben vom Menschen auf den Computer verlagert und Arbeiten quantitativ und/oder qualitativ ausgeweitet. Dadurch verändern sich Aufgaben, Arbeitsabläufe und Qualifikationsanforderungen. Die Einführung von DV-Verfahren ist also nicht nur von den Eigenschaften des Arbeitsmittels "Software" abhängig, sondern auch von der Organisationsumgebung. Um negative Reaktionen der Mitarbeiter (beispielsweise "innere" Kündigung, Ignorieren des Systems, Krankheit, Absentismus, Fluktuation, Sabotage) zu verhindern, ist sowohl die Software als auch die Organisationsumgebung sowie das Zusammenwirken beider Arbeitsfaktoren ergonomisch zu gestalten

Auch auf den ersten Blick ergonomisch gut gestaltete Verfahren können abgelehnt werden beziehungsweise problematisch sein, wie die Praxis zeigt:

- Die Einführung eines sehr guten Softwareproduktes brachte über Jahre hinaus Unruhe in eine Abteilung - weil die Mitarbeiter von dem System unterfordert waren. Erst eine Anreicherung der Aufgabenbereiche mit schwierigen Tätigkeiten brachte Ruhe in die Abteilung.

- Ein hochwertig gestyltes Management-Informations-System wurde schlicht ignoriert - unter anderem, weil es in der Bedienung nicht kompatibel zur eingesetzten Standard-Software war.

- Ein sehr modernes Verfahren mußte erheblich erweitert werden - weil es sich als nicht lernförderlich erwies. Die Amtsleitung ging davon aus, daß sie zwar nicht wußte, was für Verfahren und Aufgaben in den nächsten zehn Jahren und später auf die Mitarbeiter zukommen, die Mitarbeiter aber weitgehend die gleichen sein würden.

Die Prüfung einer Software sollte sowohl die Software- als auch die Organisations-ergonomischen Eigenschaften umfassen, also die Eigenschaften des DV-Produktes selbst und seine potentielle Einbindung in die vorhandene Organisations- und Personalstruktur. Hinsichtlich der Organisations- und Personalstruktur sind deren absehbare beziehungsweise intendierte Entwicklungsrichtung zu berücksichtigen. Dieser Umstand macht die Einbeziehung einer Reihe verschiedener Merkmale notwendig.

Die Bestimmung von Kriterien muß dem Problem gerecht werden, daß Softwareprodukte so vielfältig sind wie die zu bearbeitenden Aufgabenstellungen. Folglich müssen diese Gesichtspunkte je nach Einsatzgebiet zum Teil variiert, ergänzt und unterschiedlich gewichtet werden.

Im einzelnen sind die Kriterien für die Dialogsteuerung und für das Verhalten des Systems bei Bedienungs- und Systemfehlern zu prüfen; bei komplexeren Programmsystemen sind auch die einzelnen Anwendungsprogramme zu berücksichtigen .

Der Punkt Bedienungskomfort umfaßt Kriterien, die häufig als Maßstab der Software-Ergonomie dienen. Gefordert werden:

- einheitlicher und strukturierter Bildschirmseitenaufbau,

- automatische Cursor-Positionierung,

- geringer Umfang der Tastaturbedienung für die Dialogsteuerung,

- geringer Umfang der Sondertasten für zwingend notwendige Funktionen, großer Umfang für optionale Funktionen,

- möglichst geringer Verlust von Eingabedaten,

- Vermeidung unnötiger Eingaben (wie Übernahme von Informationen aus anderen Programmteilen oder Programmen, Benutzer-bezogenes "Merken" von Bedienungsparametern, zum Beispiel Experten oder Laienmodus),

- Vermeidung sich wiederholender Arbeiten, um "Fließbandarbeit" zu reduzieren,

- Schlüssel in Menü-Form anzeigen und nach Qualifizierung übernehmen.

Über den Bedienungskomfort hinaus gibt es eine Reihe von weiteren Forderungen an Softwareprodukte (die wiederum für die Dialogsteuerung - Fehlerfall - Programme zu prüfen sind) mit deutlich höherem Anspruchsniveau. Sie werden deshalb kurz erläutert, Vorteile benannt und Gefahren der Nichtbeachtung aufgezeigt:

Steuerbarkeit

Der Dialog sollte vom Benutzer steuerbar sein und ihn nicht einer Zwangssteuerung unterwerfen: Derartige Systeme sind in der Problemlösung flexibler, der Mitarbeiter wird nicht zu einem dequalifizierten "Maschinenbediener"; als Gefahr kann sich allerdings die Vernachlässigung der inhaltlichen Ergebniskontrolle einstellen.

Verläßlichkeit

Die einzelnen Bedienungselemente des Systems sollten so gestaltet sein, daß Benutzungs-Kenntnis aus einem Teilbereich in anderen Bereichen verwendbar ist. Im Rahmen der Verläßlichkeit sollte die "Kompatibilität " von Bedienungselementen und Programmphilosophie zu bereits benutzter Software geprüft werden: Die Erlernbarkeit wird optimiert und fördert höhere subjektive Zufriedenheit sowie geringere Fehlerwahrscheinlichkeit. Fehlbedienung in Streßsituationen läßt sich allerdings nicht ausschließen.

Fehlertoleranz

Bedienungsfehler sollten möglichst wenig negative Folgen haben: Der Benutzer kann sich unbefangener im System bewegen, Streßsituationen vermeiden; andererseits besteht das Risiko, Arbeitsergebnisse und Eingabedaten zu verlieren.

Selbsterklärungsfähigkeit

Das System muß für den qualifizierten Benutzer selbsterklärend sein, zum Beispiel durch mnemotechnisch günstige Abkürzungen. Entgegen landläufiger Auffassung sollte es jedoch keineswegs selbsterklärend sein, sondern den Benutzer im Rahmen seiner Fähigkeiten Programm-Experte sein lassen: Die Bedienbarkeit wird sicherer, führt aber möglicherweise zur Demotivation der Benutzer.

Lernförderlichkeit

Das System sollte das Lernen von fachlichen und DV-technischen Inhalten im Arbeitsprozeß unterstützen: Weitere, innerbetriebliche Qualifikationen auch für neue Aufgaben, werden vermittelt, wobei jedoch bestehende Qualifikation verlorengehen kann. Gefährlich sind ferner Programmabhängigkeit und fehlende Handlungskompetenz bei Systemausfall.

Arbeitsangemessenheit

Das System sollte den zu erledigen den Arbeiten angemessen sein. Dieses gilt nicht nur hinsichtlich der Vollständigkeit des Leistungs- beziehungsweise Funktionsumfangs für ein bestimmtes Arbeitsgebiet; es gilt insbesondere auch für die Art, wie ein Aufgabengebiet in Teilaufgaben aufgebrochen wird. Einer größeren Arbeitsökonomie steht das sehr umständliche Reagieren in Ausnahmefällen entgegen.

Zwischen Forderungen nach Bedienungskomfort und allgemeiner Software-Ergonomie, teils zwischen Detailpunkten, bestehen widersprüchliche Anforderungen. Bei der Entscheidung für oder gegen ein Softwareprodukt sind - unter Berücksichtigung personeller und organisatorischer Rahmenbedingungen und deren Entwicklungstendenzen - Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen.

Der Bereich Organisations-Ergonomie umfaßt die Einbindung einer spezifischen Software in bestehende oder zu reorganisierende Aufgabenkonstellationen. Hier sind insbesondere arbeitspsychologische Erfordernisse zu berücksichtigen. Es werden, sofern diese Probleme nicht im Rahmen der Software-Auswahl zu lösen sind. Abhilfen seitens der Organisationsgestaltung stichwortartig benannt.

Mindestmaß in puncto Arbeitsabwechslung

Die durch Einführung einer Software veränderte Arbeitssituation soll ein Mindestmaß an Arbeitsabwechslung bieten, um die Arbeitszufriedenheit zu steigern und gleichzeitig leistungshemmender Monotonie entgegenzuwirken. Der Arbeitsprozeß kann mit anderen Tätigkeiten angereichert werden.

Ganzheitliche Erledigung von Aufgaben

Die Einführung einer Software soll dem Mitarbeiter psychologisch ganzheitliche Aufgaben bieten oder neu schaffen. In gleichem Maße, in dem die Qualität der Systeme besser wird kann auch die Entfremdung vom Arbeitsprodukt sowie der Ausschuß anwachsen. Die Reorganisation der Arbeitsabläufe sollte geplant werden.

Arbeitsselbständigkeit

Eine Software soll den Mitarbeitern Handlungsspielräume einräumen. Der Konflikt zwischen verantwortungsvoller Mitarbeit und Entmündigung (zum Beispiel durch Zwangsdialogsteuerung) ließe sich durch autonome DV-Nutzung entschärfen.

Mindestmaß an sozialen Kontakten zu berücksichtigen

Bei der Einführung einer Software sollte ein Mindestmaß an sozialen Kontakten erhalten bleiben. Hier kann unter Umständen eine schlechter gestylte Software, die die Mitarbeiter zu kooperativen Problemlösungen zwingt, vorteilhaft sein, weil wichtige informelle Kontakte bestehen bleiben. Gefährlich auswirken könnte sich die arbeitspsychologisch ungünstige Fesselung des Mitarbeiters an den Bildschirmarbeitsplatz, die sich durch regelmäßige Arbeitsbesprechungen lösen ließe.

Vermeidung von Unterforderung

Die krankheitserzeugende Wirkung von andauernden Überforderungen ist hinlänglich bekannt. Unterforderung durch vermeintlich gut gestaltete Softwareprodukte bringt andere Probleme mit sich - beispielsweise erhöhte Fluktuation oder schleppende Arbeitserledigung. Arbeitsanreicherung mit schwierigen Tätigkeiten schafft hier Abhilfe.

Die Vielzahl der Kriterien macht das Einbeziehen unterschiedlicher Fachkompetenz notwendig. Neben dem Management für die Unternehmensziele, den DV-Spezialisten für Systemfragen und Abteilungsleitern für arbeitsfachliche Fragen sollten unbedingt auch die künftigen Benutzer des Systems einbezogen werden. Dies ist notwendig, weil die Mitarbeiter mit dem System arbeiten müssen und ihre Detailkenntnisse bestimmter Arbeitsgebiete wichtige Aufschlüsse über die Einsatztauglichkeit der Software liefern kann. Schließlich ist auch für die Beurteilung einer Reihe von Kriterien die Einschätzung der Mitarbeiter unverzichtbar.

Günstiger organisatorischer Rahmen eines Tests ist eine eigenständige Projektorganisation. Für größere Reorganisations- oder Implementierungsvorhaben empfiehlt sich die Freistellung von Mitarbeitern für die Projektarbeit.

Es muß davon ausgegangen werden, daß die unterschiedlichen beteiligten Gruppen daran interessiert sind, ihre spezifischen Interessen durchzusetzen. Während das Management eher wirtschaftliche oder rationalisierende Zielsetzungen verfolgt, stehen für die DV-Abteilung eher die Einpassung in die Systemumgebung und die Berücksichtigung von Wartungsproblemen im Vordergrund. Für die Abteilungsleiter geht es eher um die fachspezifischen Interessen. Neben diesen organisationsfunktionalen Interessenlagen können dabei auch noch eine Reihe von informellen und/oder gruppendynamischen Einflüssen eine Rolle spielen.

Qualifikationsmaßnahmen werden erforderlich

Besonderen Augenmerks bedarf die Einbeziehung der Mitarbeiter, die in der Regel keine "Profis" in Sachen Interessenformulierung und -Durchsetzung sind, geringere oder keine Kenntnisse in Datenverarbeitung besitzen und innerbetriebliche Konsequenzen schwerer abschätzen können.

Zur Sicherung der Qualität der Entscheidung sind verschiedene Maßnahmen notwendig. Erstens müssen alle Beteiligten am Entscheidungsprozeß hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Kriterien einen annähernd vergleichbaren Wissensstand haben. Das macht in der Regel Qualifikationsmaßnahmen notwendig, um Wissensdefizite hinsichtlich der Zielsetzungen, DV-technischer Gestaltungsmöglichkeiten und organisatorischer Alternativen abzubauen. Für die Beantwortung von Detailfragen sind Hilfen für die freigestellten Mitarbeiter wichtig.

Die jeweilige Software beziehungsweise mehrere Alternativen sollten im Hause mit der potentiellen Hardware-Konfiguration insbesondere seitens der Mitarbeiter ausführlich getestet werden. Als Anhaltsgrößen sind dafür etwa eine halbe bis zwei Wochen auzusetzen. Es empfiehlt sich die Software anfangs in einer kurzen Phase ohne eine Einweisung zu testen. Hier wird ermittelt, wie schwer das Handling der Dialogschnittstelle ist und wie gut das System realitätsnahe Fehlbedienungen abfängt. Anschließend sollen nach einer Einweisung oder Schulung weitere Eigenschaften ermittelt werden.

Ist genügend Wissen über die Softwareprodukte und Rahmenbedingungen des Einsatzes vorhanden, werden die unterschiedlichen Varianten bewertet. An dieser Stelle sollte entweder ein externer Berater oder eine von allen Beteiligten gewählte Vertrauensperson mit entsprechender Qualifikation die Moderation der weiteren Vorgehensweise übernehmen.

In einer offenen Diskussionsrunde müßten die Vor- und Nachteile der Software-Lösung(en) erörtert werden. Falls in der Diskussion kein Konsens gefunden wird, ist nach formalen Entscheidungskriterien ein Kompromiß zu ermitteln. Hier kann beispielsweise ein System zur Nutzwertanalyse eingesetzt werden.

Wichtige Grundsätze für die Entscheidungsfindung sind:

- Es ist ein Zielkatalog zu erarbeiten, der gleichwertig die Interessen der beteiligten Gruppen berücksichtigt, damit nicht durch die Gestaltung des Zielkatalogs bestimmte Interessen übergewichtet werden.

- Die Gruppen haben gleiches Stimmgewicht, um eine ernsthafte Beteiligung sicherzustellen.

- Die Wertung soll nach unterschiedlichen Methoden analysierbar sein, um Manipulationen zugunsten bestimmter Lösungen herausfiltern zu können.

- Die Entscheidung wird lediglich als Gesamtentscheidung der Projektgruppe ausgewiesen, um den Vertretern der einzelnen Gruppen den nötigen Handlungsspielraum zu sichern.

Bei der Prüfung von Softwareprodukten sind also eine ganze Reihe von Kriterien zu berücksichtigen. Der damit verbundene Aufwand ist so erheblich, daß gefragt werden muß: Lohnt sich diese Anstrengung?

Eine Reihe von möglichen negativen Auswirkungen kann nicht oder nur schwer in eine Kosten/Nutzen-Rechnung eingebracht werden. Dieses auch deshalb, weil die Ablehnung eines Verfahrens seitens der Mitarbeiter über "nichttolerierte" - folglich schwer zu ermittelnde Verhaltensweisen geschehen kann.

*Ludwig Ellermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Organisation/DV an der Universität Bremen.

Aus: Kongreßband VI der Online '87, 10. Europäische Kongreßmesse für Technische Kommunikation vom 4. bis 7. Februar 1987 in Hamburg. Kann bei Online GmbH, Postfach 10 08 66 in 5020 Velbert 1, bezogen werden.