Auch Anbieter von Online-Diensten ueber Gebuehrenerhoehung veraergert Telekom geraet mit Tarifkonzept 96 erstmals in die Schusslinie

01.09.1995

MUENCHEN (hi) - In grossangelegten Anzeigenkampagnen wirbt die Telekom fuer die 1996 geplante neue Tarifstruktur. Doch waehrend diese besonders fuer Unternehmen Kostensenkungen in Milliardenhoehe verspricht, mehren sich kritische Stimmen, die die neuen Tarife des Bonner Carriers als reine Beutelschneiderei bezeichnen.

Nach den Plaenen der Telekom soll im Rahmen des "Tarifkonzeptes 96", das laut Telekom-Vorstandsmitglied Gerd Tenzer aufkommensneutral ist und dem Bonner Carrier weder Mehr- noch Mindereinnahmen beschere, das Telefonieren deutlich billiger werden. Neben dem Verzicht auf die Weitergabe der Umsatzsteuer - der die Telekom ab 1. Januar unterliegt -, der den Geschaeftskunden jaehrlich rund drei Milliarden Mark zusaetzliche Belastung erspart, krempelt die Telekom ihr Tarifsystem komplett um.

Fuer den Telekom-Kunden ist das neue Tarifsystem, das Kurztelefonate im Ortsbereich und Ferngespraeche billiger macht, erst einmal komplizierter. Statt der bisherigen zwei Tarifzeiten gibt es zum Jahreswechsel vier Tarife, die auf sechs Zeitfenster gespreizt sind. Diese Aufteilung ist entfernungsunabhaengig. Einen besonders guenstigen Nachttarif fuer die Fax- und Datenkommunikation gibt es zwischen zwei und fuenf Uhr.

Darueber hinaus wird kuenftig zwischen vier statt drei Entfernungszonen unterschieden: Neben den bisherigen Zonen (bis 20 Kilometer, 20 bis 50 Kilometer sowie mehr als 50 Kilometer) gibt es dann eine weitere Zone, den sogenannten "Region-200-Tarif" fuer Entfernungen zwischen 50 und 200 Kilometern.

Zusaetzlich kostet eine Tarifeinheit ab dem neuen Jahr nur noch zwoelf statt 23 Pfennige, wobei allerdings der Zeittakt bei Ortsgespraechen von sechs auf eineinhalb Minuten verkuerzt wird. Hinzu kommen deutliche Erhoehungen bei den Bereitstellungsgebuehren.

Bereitstellungsgebuehren werden deutlich erhoeht

So entfallen die bisher gewaehrten zehn Freieinheiten pro Monat, womit sich ein Telefonanschluss bei einer gleichbleibende Grundgebuehr von 24,60 Mark effektiv um 2,30 Mark verteuert. Ebenso steigt der Grundpreis eines heute guenstigen Doppelanschlusses (35, 20 Mark) auf 59,20 Mark.

Die deutliche Verteuerung der Ortsgespraeche begruendet die Telekom damit, dass dieser Bereich in der Vergangenheit nicht kostendeckend berechnet worden sei. Eine Argumentation, die der Verband der Postbenutzer nicht nachvollziehen kann, da die Ortsgespraeche bereits hochrentabel fuer den Konzern gewesen seien. Telekom- Sprecher Juergen Kindervater kommentierte die Angaben des Verbands gegenueber der Nachrichtenagentur "Reuters" als "schlichte Luege".

Weiter spricht die Interessenvereinigung im Gegensatz zur Telekom von einer deutlichen Verteuerung des Telefonierens. Nach Angaben des Verbands bringen die neuen Tarife der Telekom 15 Milliarden Mark an Mehreinnahmen. Negativ betroffen davon seien neben den privaten Kunden vor allem auch kommunale Verwaltungen, Freiberufler, Einzelhaendler und Unternehmen, die nur regional taetig sind.

Schwer im Magen liegt die Tariferhoehung auch den Anbietern von Online-Diensten, die sich in Gruenderlaune gerade erst euphorisch auf das grosse Geldverdienen eingerichtet haben. So mancher Kunde duerfte aufgrund der hohen Telefongebuehren kuenftig naemlich offline bleiben. Beim Telekom-eigenen Datex-J duerften die Telefongebuehren in Zukunft teurer sein als der eigentliche Online-Obolus. Kein Wunder also, dass die Telekom laut Vorstandsmitglied Tenzer bereits ueberlegt, ob man den Nutzern von Online-Diensten entgegenkommen und Rabatte oder Optionsangebote einraeumen soll.

Zweifelhaft erscheinen auch die Angaben der Telekom, dass die neuen Tarife in vielen Unternehmen zu deutlichen Kosteneinsparungen fuehren werden. Denn es ist ein offenes Geheimnis, dass die meisten deutschen Companies seit der Einfuehrung der Regelungen ueber Corporate Networks die hohen Tarife fuer Ferngespraeche dadurch umgehen, dass sie den Sprachverkehr ueber ihre internen Datennetze weiterrouten, um dann erst vor Ort mit den bisher guenstigen Ortstarifen in das oeffentliche Netz zu gehen.

Offen ist noch, inwieweit die neuen Tarife bei Unternehmen, die ihre remoten Aussenstellen via ISDN vernetzt haben, zu Kostensteigerungen fuehren werden. Entsprechende Dial-up-Software vorausgesetzt, die die Datenverbindung auch rechtzeitig wieder trennt, duerfte sich in diesen Faellen unter Umstaenden sogar eine Kostenreduzierung ergeben, da eine ISDN-Netzverbindung bei entsprechender Implementierung kaum laenger als 90 Sekunden steht.

Mobilfunk wird vom Preis her interessanter

Gewinner der Diskussionen um die neuen Tarife sind die privaten Telefongesellschaften, die bereits in den Startloechern sitzen und auf die Freigabe des Telecom-Markts warten. Dann duerften selbst die Privatkunden fuer die neuen Carrier eine lohnende Klientel sein, zumal die Telekom ihren Wettbewerbsvorsprung (alle Leitungen auf der letzten Meile bereits verlegt zu haben) dank neuer Technologien wie dem Funkuebertragungsverfahren DECT einbuesst. Ebenso duerften die Mobilfunk-Provider zu den Gewinnern der neuen Tarifstruktur gehoeren, da der Kostenabstand zwischen Mobilnetztarifen und Festnetz schwindet.