ATM als kuenftige LAN- und WAN-Schluesseltechnologie Multimedia erfordert mehr als hohe Geschwindigkeiten im Netz

10.06.1994

Jahr fuer Jahr steigt die Datenlast im LAN um 40 bis 100 Prozent. Auch im WAN zeichnen sich fuer die naechsten Jahre drastische Bandbreitenzuwaechse ab - Marktkenner sprechen sogar von einer Steigerung um 250 Prozent pro Jahr. Behalten sie recht, ist das "Nadeloehr" bereits abzusehen. Zumal Multimedia und verteilte Anwendungen es erfordern, kuenftig neben Daten auch Sprache, Stand- und Bewegtbilder ueber ein gemeinsames Medium zu uebertragen.

Noch bestimmen zu 99 Prozent die Anfang der 80er Jahre definierten LAN-Techniken Ethernet und Token Ring das lokale Kommunikationsgeschehen in den Unternehmen. In diesem konventionellen Rahmen den drohenden Bandbreitenengpass lediglich durch Segmentierung des lokalen Netzwerkes, das heisst durch den Einsatz von Router und Bruecken, zu entschaerfen, kann nicht mehr die Loesung sein. Weder Ethernet-Switching noch FDDI aber sind auf lange Sicht dafuer geeignet, die Datenlast einer kombinierten Daten-/ Sprach-/Video-Uebertragung zu bewaeltigen. Und der Bandbreitenbedarf ist fuer die absehbare Zukunft hochgesteckt. Braucht die Uebertragung von Sprache mit einer Bandbreite von 4 kHz lediglich 64 Kbit/s, benoetigt herkoemmliches Video bereits zwischen 10 und 90 Mbit/s an Bandbreite. Beim hochaufloesendem Fernsehen (HTDV) mit Bildschirminhalten von 1000 bis 1200 Zeilen sind sogar bis zu 900 Mbit/s an Bandbreite erforderlich. In diesem Zusammenhang denke man nur an die Durchfuehrung von Video- Konferenzen, die den Unternehmen kuenftig betraechtliche Summen an Reisekosten ersparen sollen.

Was also tun, um dem lokalen Netz mehr Bandbreitenpolster zu verschaffen und einen hoeheren Durchsatz zu verleihen oder zumindest heute die Weichen fuer die hoehere Durchsatzleistung von morgen zu stellen? Mit der Einfuehrung neuer Applikationen wird vor allem der zentrale Backbone in Zeiten verteilter Verarbeitungsschritte und der kombinierten Daten-/Sprach-/Video- Uebertragung schnell in den Brennpunkt des Informationsgeschehens geraten. Hier gilt es zuerst, neues Bandbreitenpotential fuer zukuenftige Netzwerkentwicklungen zu schaffen. Parallel sollen die daran angeschlossenen Segmente wenn moeglich in konventioneller Technik weiterbetrieben werden.

ATM bietet sich in diesem Zusammenhang als die Technik der Zukunft an. ATM zu nutzen, das heisst vor allem, die Vorzuege einer effizienten Bandbreitennutzung sowie die geringe Laufzeit eines Zeitmultiplexers zu vereinen. Denn im Gegensatz zum Time Division Multiplexing (TDM), bei dem definierte Zeitintervalle den einzelnen Anwendungen zugeordnet werden, arbeitet ATM ueber dynamische Bandbreitenzuteilung. Die Bandbreite wird jeweils nur dann belegt, wenn Daten uebertragen werden. Mit ATM kann deshalb die fuer lokale Netzwerke typische kurzzeitige Uebertragung grosser Datenbestaende problemlos uebermittelt werden. Bedingt durch die enorme Bandbreite von ATM kommt es selbst zu Zeiten hoechsten Datenaufkommens zu keinem Engpass auf den lokalen Verbindungen. Weil via ATM jeweils eine dedizierte Verbindung - also ungeteilte Bandbreite - zwischen zwei Geraeten hergestellt wird, bleiben zudem alle anderen Systeme von der Uebertragung unbehelligt. Bis zu 155 Mbit pro Sekunde laesst die Uebertragungstechnik ATM derzeit im lokalen Netz zu. Garant fuer den hohen Durchsatz sind die kurzen, 53-Byte-langen Zellen fester Laenge, die weitgehend Hardware- technische Umsetzung im ATM-Switch und die Tatsache, dass ATM zumeist ohne Fehlerwiederholungs- und Fehlerberichtigungs- Prozeduren auskommt.

Doch wie koennen ATM und die traditionellen LAN-Techniken im lokalen Netz koexistieren? ATM arbeitet verbindungsorientiert, das heisst, zwischen zwei benachbarten ATM-Switches wird eine virtuelle Verbindung aufgebaut, bevor die Informationen transferiert werden. Alle anderen ATM-Schalteinheiten und ATM-Verbindungen sind an diesem Kommunikationsschritt unbeteiligt. Anders in Ethernet-, Token-Ring- und FDDI-Installationen, wo ein gemeinsames Medium - Bus beziehungsweise Ring - fuer die Kommunikation genutzt wird und Broadcast-Nachrichten fuer die Verstaendigung der Systeme untereinander erforderlich sind. ATM und herkoemmliche LAN- Techniken koennen also nur koexistieren, wenn der ATM-Switch Broadcast-Nachrichten (Steuerinformationen, mit denen sich die Stationen innerhalb eines LANs ihre Sendebereitschaft anzeigen) erkennt, kopiert und ueber alle Kanaele und Anschluesse des ATM- Netzes an die anderen Switches verteilt. Die auf den ersten Blick schwierige Aufgabenstellung wurde ueber das Verbindungs- Managementsystem, das heute im Zusammenspiel mit ATM-Switches zum Einsatz kommt, bereits geloest.

Konvertierung von LAN-Paketen moeglich

Zudem wurden die Voraussetzungen fuer die Konvertierung traditioneller LAN-Pakete in ATM-Pakete und umgekehrt mit dem Aufbau der ATM-Zelle geschaffen. Die ATM-Zelle hat eine feste Laenge von 53 Bytes, wobei die ersten fuenf Bytes fuer den Header mit den Steuerinformationen reserviert sind. Dieser Aufbau ermoeglicht es, Ethernet-, Token-Ring- und FDDI-Pakete in 48-Bytes-lange Zellen fixer Laenge aufzuteilen und ihnen den ATM-spezifischen Header voranzustellen. Jenseits des ATM-Backbones wird umgekehrt die ATM-Zelle wieder ins urspruengliche Paketformat umgewandelt und an die Zielstation weitergereicht. Erste ATM-Produkte, die diese Konvertierung beherrschen, beispielsweise der EtherCell-Switch von SynOptics Communications, sind bereits auf dem Markt, andere stehen kurz vor der Freigabe.

Aber nicht nur hinsichtlich der Kombination unterschiedlicher LAN- Techniken erweist sich ATM als flexibel. ATM wurde unabhaengig von den darueberliegenden Protokollen konzipiert. Genauer gesagt: Kommunikationsprotokolle wie TCP/IP, DECnet, LAT, NetWare IPX, VINES und NetBIOS koennen ebenso transportiert werden wie gebrueckte SNA-Pakete. Die Unabhaengigkeit von den darueberliegenden Protokollen liegt auch darin begruendet, dass ATM hinsichtlich der Fehlerprozeduren weitgehend von den darueberliegenden Protokollen entkoppelt wurde. Somit koennen beim Einsatz von ATM-Switches die vorherrschenden Protokolle weiter eingesetzt werden - ebenso wie die eingefuehrten Strukturen, beispielsweise Subnetting in TCP/IP- Netzwerken.

Die Unabhaengigkeit der ATM-Uebertragungstechnik von der physikalischen Netzwerkschicht bietet dem Anwender noch einen weiteren Vorteil. Er kann flexibel auf unterschiedlichen physikalischen Uebertragungsmedien aufsetzen. So hat das ATM-Forum mit UNI (User-to-Network Interface) 3.0 im LAN-Bereich Zuordnungen zu unterschiedlichen Transportmedien und Uebertragungsgeschwindigkeiten geschaffen. Im UNI 3.0 sind alle Spezifikationen zur Signalisierung enthalten, die fuer die Realisierung standardkonformer ATM-Produkte notwendig sind. Drei Kabelarten bieten gute Perspektiven, mit ATM im LAN auf bestehende Verkabelungssysteme aufzusetzen:

- Mit 155 Mbit/s auf Multimode-Faser ( 62,5 um und 50 um), koennen bis zu zwei Kilometer ueberbrueckt werden,

- mit 155 Mbit/s auf UTP (Unshielded Twisted Pair)-Kabel sind bis zu 100 Meter an Kabelweg moeglich und

- mit 100 Mbit/s (TAXI) auf 62,5 hm-Multimode-Faser und FDDI- spezifischer 4B/5B-Codierung des Bitstroms wird ein Weg eroeffnet, mit ATM auf der bestehenden FDDI-Verkabelung aufzusetzen.

Die ATM-Normierung fuer den LAN-Bereich ist mittlerweile weit fortgeschritten. Hier macht sich das ATM-Forum, dem mittlerweile mehr als hundert, darunter marktfuehrende Unternehmen angehoeren, fuer verlaessliche Entwicklungsregeln stark. Ziel des ATM-Forums ist es, durch Konsens zwischen den ATM-Mitgliedern hinsichtlich gemeinsamer und verbindlicher ATM-Richtlinien die Standardisierung weiter voranzutreiben, parallel zum WAN-Bereich auch im LAN- Bereich zu etablieren und auf dieser Basis schnell mit kompatiblen ATM-Produkten aufzuwarten. Somit koennen im lokalen Netz heute bereits Uebertragungsraten von 100 Mbit/s und 155 Mbit/s, bald auch von 622 Mbit/s via ATM Realitaet werden.

Mit ATM wurde erstmals eine Uebertragungstechnik entwickelt, die gleichermassen im lokalen Netz wie im Weitverkehrsnetz eingesetzt werden kann. Diese Tatsache wird kuenftig dazu beitragen, dass die bisher klare Unterscheidung zwischen LAN und WAN allmaehlich schwinden wird.

Bisher gilt bei der Zuteilung von Bandbreiten das starre TDM (Time Division Multiplexing)-Prinzip. Die zur Verfuegung stehende Bandbreite wird in kleine Zeitsequenzen unterteilt, die Benutzern oder spezifischen Anwendungen fest zugeteilt werden. Der Nachteil dieser Verfahrensweise liegt auf der Hand. Die Bandbreite ist fuer diese spezifische Anwendung reserviert, auch wenn sie keine Daten zu uebertragen hat. Dieses TDM-Uebertragungsprinzip mag aufgehen, solange ein mehr oder weniger gleichmaessiger Datenstrom die Seiten wechselt. Tritt der Datenverkehr jedoch sporadisch auf, entstehen zwangslaeufig lange Leerzeiten auf dem Uebertragungsweg.

Mit der Uebertragung des sporadisch auftretenden LAN-Verkehrs und bald auch von Sprache und Video haben beziehungsweise werden sich die Anforderungen an die Uebertragungstechnik auch im WAN-Bereich drastisch aendern.

ATM nutzt auf dem WAN die gesamte zur Verfuegung stehende Bandbreite, belegt dabei aber nur die Bandbreite solange, wie Daten uebertragen werden. Danach steht die komplette Bandbreite wieder allen anderen Kommunikationspartnern zur Verfuegung. Wird keine Bandbreite benoetigt, wird die Verbindung getrennt und es entstehen damit keine weiteren Kosten, bis auf die monatliche Grundgebuehr fuer den Telekom-ATM-Anschluss. Damit eignet sich ATM vortrefflich zur Uebertragung von burst-artigem Datenaufkommen sowie extrem hoher Datenmengen, beispielsweise von hochaufloesenden Video. Da ATM, wie bereits erwaehnt, mit Zellen fester Laenge unterschiedlichen Typus arbeitet (es gibt gesonderte Zellen fuer LAN-, Sprach- und Video-Daten), koennen darueber hinaus ueber die WAN-Strecke Sprache, Video und LAN-Daten simultan uebertragen werden.

Auch hinsichtlich des Einsatzes von ATM im Weitverkehrsnetz gibt es inzwischen ein verlaessliches Reglement fuer die Produktentwickler. Die massgebliche treibende Kraft ist hier das ITU-TC. ITU-TC hat im Rahmen ihrer I-Serie Normen fuer die Entwicklung von ATM-Komponenten definiert und die ATM-Technik als Basis fuer das zukuenftige Breitband-ISDN empfohlen. Daraufhin wurde ATM als Grundlage fuer das kuenftige weltweite Breitbandnetz von den europaeischen Fernmeldebehoerden, wie auch von der Telekom, im Rahmen des Breitband-ISDNs verabschiedet.

Telekom-Tarife fuer ATM weniger positiv

Weniger positiv sind allerdings die Kostenvorstellungen, die die Telekom fuer den neuen Hochgeschwindigkeitsdienst hegt. Die Tarife fuer das ATM-Pilotprojekt der Telekom im Grossraum Hamburg, Berlin, Koeln/Bonn sehen folgendermassen aus:

Fuer einen 34 Mbit/s-Anschluss beispielsweise zahlt der Anwender eine einmalige Anschlussgebuehr von 1000 Mark, eine monatliche Grundgebuehr von 25000 Mark sowie eine Nutzungsgebuehr pro Stunde von 350 Mark im Ortsbereich beziehungsweise 3500 Mark im Fernbereich.

Bis ATM vollends einsatzreif ist, koennte das Hochgeschwindigkeitsverfahren Frame Relay, dessen Speedlimit heute bei 2 Mbit/s liegt, als Uebergangstechnologie dienen. Frame Relay ist ein Protokoll, das auf Hochgeschwindigkeit getrimmt wurde. Flusskontrollmechanismen wurden weitgehend an die hoeheren Protokollebenen und damit die Endgeraete deligiert, so dass Frame Relay im wesentlichen die Aufgabe hat, Daten schnell durchzusetzen.

Der relativ einfache Aufbau des Frame-Relay-Protokolls bringt dem Anwender einen wesentlichen Vorteil: Neue Release-Zustaende koennen per Software hergestellt werden. Darueber hinaus koennen beispielsweise X.25-Uebertragungskomponenten durch Software-Updates Frame-Relay-faehig gemacht werden. Eine wesentliche Einschraenkung allerdings bleibt bestehen: Frame Relay arbeitet mit Rahmen variabler Laenge. Somit eignet sich diese Technik leider nicht zur Uebertragung von Video und Sprache.

Die Erklaerung liegt darin, dass sowohl Sprache als auch Video mit hoeherer Prioritaet als LAN-Daten und zudem im kontinuierlichen Datenfluss uebertragen werden muessen, weil es ansonsten am Ausgabegeraet zu Sprech- beziehungsweise Bildpausen kaeme. Eine Verfahrensweise, die ein Pakettyp, zudem in variabler Laenge, nicht zulaesst, da in diesem Fall die Verzoegerungszeit der Informationen durchs Netz nicht vorhersehbar ist.

Trotzdem wird Frame Relay allmaehlich den Weg zu einer Hochgeschwindigswelt ebnen, in der letztendlich beide Uebertragungstechniken koexistieren. Dort, wo es lediglich um die Uebertragung von LAN- und Terminal-Daten geht und nicht um die Integration von Sprache und Video, wird der Anwender auf die Frame-Relay-Technik setzen, die ihm genuegend Bandbreitenpotential fuer die Zukunft vorhaelt. Nur wo ein extrem hoher Durchsatz und die kombinierte Uebertragung von Daten, Sprache und Video gefordert ist, wie auf dem WAN-Backbone, wird ATM zum Zuge kommen.

Frame Relay als kuenftiger Zubringer zum ATM-Netz

Somit wird Frame Relay zukuenftig zum Zulieferer fuer das zentrale ATM-Netz avancieren. ITU-TC hat mit I.555 bereits einen Standard definiert, der das Zusammenspiel von ATM- und Frame-Relay-Netzen regelt. Auch die Standardisierung fuer den Uebertragungsdienst Frame Relay ist weitgehend abgeschlossen. Die fuer die Entwickler von Frame-Relay-Komponenten und -Schnittstellen verlaesslichen Regeln wurden durch ANSI in der TI-Serie und durch ITU-TC in der I- und Q-Serie festgeschrieben.

Alle wichtigen Internetworking-Hersteller unterstuetzen bereits diesen Standard. Viele Anbieter, darunter auch der Marktfuehrer im Router-Bereich, Cisco Systems sowie die Kommunikationsanbieter AT&T und Stratacom, betreiben ihre Entwicklungen gemaess dem CCITT- I.555-Regeln, so dass ATM-/Frame-Relay-Installation kuenftig nahtlos zusammenwirken koennen. Dieser Entwicklungseifer wird vor allem in den USA getragen durch weitflaechige Frame-Relay-Netze, die dort von den Telekommunikations-Anbietern bereits zur Verfuegung gestellt werden. Bleibt also nur noch zu hoffen, dass die Telekom bald diesem Beispiel folgen wird, um auch in der Bundesrepublik einen erschwinglichen Hochgeschwindigkeitsdienst offerieren zu koennen.