AT&T/Quadral-Engagement mit Skepsis beobachtet Die Privatisierung von Bull geht jetzt in die entscheidende Phase Von CW-Korrespondent Lorenz Winter

23.12.1994

PARIS - Dem franzoesischen Industrieministerium liegt eine Liste von Konzernen vor, die einen Kapitalanteil von mindestens zehn Prozent an der Groupe Bull S.A. erwerben moechten. Die Entscheidung fuer bestimmte Kandidaten duerfte zu einer Kraftprobe zwischen der Unternehmensleitung und den staatlichen Aufsichtsinstanzen werden.

Die beim ersten Durchlauf qualifizierten Kandidaten werden Anfang Januar naechsten Jahres informiert. Sie erhalten sechs Wochen Zeit, um die industrielle und wirtschaftliche Situation des Konzerns genau unter die Lupe zu nehmen. Danach koennen sie ein zweites, unwiderrufliches Gebot abgeben und sich bei Bedarf mit Partnern verbuenden, die selbst keine zehn Prozent Besitzanteil anstreben (und deshalb zur ersten Runde nicht zugelassen waren). Den Ausgang der zweiten Runde erwarten Kenner des Dossiers Bull fruehestens fuer Maerz 1995.

Bekannt geworden ist das Interesse des Duos AT&T/Quadral. Diese Gruppe hat fuer die von ihr angestrebten 40 Prozent vom Kapital des Computerfabrikanten nach unbestaetigten Geruechten 1,5 Milliarden Franc geboten. Man schaetzt dort also den Marktwert der Groupe Bull auf rund 3,7 Milliarden Franc. Nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wuenscht die momentan mit 4,43 Prozent beteiligte japanische Mec-Gruppe ihren Anteil auf zehn Prozent zu erhoehen. Zudem soll die IBM neues Interesse an einer hoeheren Beteiliung geaeussert haben. Ihr frueherer Anteil von mehr als vier Prozent ging anlaesslich einer Kapitalerhoehung bei Bull auf 2,1 Prozent zurueck. Im Gespraech als eventuelle Mitaktionaere sind ferner Motorola, Acer, Samsung und IPC, berichtet die Tageszeitung weiter.

Der Kaufpreis bildet allerdings nur den kleineren Teil der Rechnung fuer die Bull-Interessenten. Denn obwohl die Bilanz des Unternehmens durch den letzten oeffentlichen Kapitalnachschuss von 11,5 Milliarden Franc vorlaeufig ausgeglichen wurde, wird schon kurzfristig ein neuerlicher Bedarf an frischen Mitteln von 3,5 bis vier Milliarden Franc erwartet.

Die Summe von Kaufpreis und Nachschuss soll vor allem dazu dienen, die Eigenmittel des Computerfabrikanten auf vier Milliarden Franc aufzustocken und seine Nettoverschuldung von zehn auf vier Milliarden Franc zu druecken.

Bull-Anwender fuehlen sich vernachlaessigt

Mittlerweile haben jedoch sowohl das Management von Bull als auch der europaweite Club der Bull-User (Cube) Bedenken gegen das Interesse von AT&T/Quadral angemeldet. Bull-Vorstandschef Jean- Marie Descarpentries fuerchtet, ein neuer Grossaktionaer im Hause koennte ihn des Chefsessels entheben. Und den Cube stoert es offenbar, dass sich bei der Privatisierungsaktion niemand um die Meinung der User zu kuemmern scheint.

"Wir wuenschen uns keinen Player, der nur die Kundschaft abkassiert, aber womoeglich nicht das Angebot garantiert", betont Maurice Cantin, Vorsitzender des Gcos-8-Ausschusses (fuer Grosssysteme) bei Cube.

Dem Industrieministerium (zugleich fuer das franzoesische Fernmeldewesen zustaendig) ist zudem nicht ganz geheuer bei der Vorstellung, dass AT&T seine Kaufbereitschaft an die Bedingung knuepfen koennte, eine Betriebslizenz als Carrier in Frankreich zu erhalten. Auch der bisherige Bull-Aktionaer France Telecom haelt das fuer den Pferdefuss der amerikanisch-franzoesischen Offerte.

Dem Anwenderverband Cube gehoeren rund 1300 Firmen an, die durch etwa 1500 Einzelpersonen vertreten sind. Der Verein waere prinzipiell nicht abgeneigt, in das zu privatisierende Unternehmen zu investieren. Juristisch ist das jedoch schwierig, da es sich bei den Cube-Mitgliedern vorwiegend um oeffentliche Unternehmen und Verwaltungen handelt. "Wir pruefen noch, ob eventuell ein persoenlicher Einstieg der Vertreter unserer Mitgliedsfirmen in Frage kommt", erlaeutert ein Sprecher der Organisation.

Descarpentries persoenlich schwebt fuer Bull weiterhin ein moeglichst offenes Aktionariat vor, bei dem nach Moeglichkeit kein Eigner einen zu grossen Kapitalanteil erwirbt. Zehn Prozent sollten nach seinen Vorstellungen den Mitarbeitern zufallen, fuenf Prozent den leitenden Angestellten von Bull, die er zur Zeichnung von 200 000 Franc Aktienbesitz pro Kopf aufrief. Weitere 10 Prozent kaemen auf NEC (derzeit gut vier Prozent); France Telecom und IBM blieben zunaechst bei 17 beziehungsweise zwei Prozent.

Descarpentries saehe gerne Motorola und andere Mitglieder des Power-PC-Konsortiums im Kreis der Bull-Eigner. Der Halbleiterproduzent, so argwoehnen Insider, wuerde sich aber wohl kaum mit einer Nebenrolle begnuegen wollen.