Anonymität und Privatsphäre garantiert

AT&T entwirft ein Untergrund-Internet nach Freenet-Art

07.07.2000
MÜNCHEN (CW) - Forscher des US-Carriers AT&T haben ein alternatives Internet entwickelt. Das Prinzip ähnelt dem des umstrittenen Freenet-Projekts, bei dem Inhalte nicht auf Rechnern der kommerziellen Service-Provider, sondern auf PCs der Mitstreiter gelagert werden.

Das AT&T-Vorhaben namens "Publius" soll die Anonymität und die Privatsphäre eines jeden Surfers sicherstellen. Inhalte können zudem ohne Zustimmung des Autors weder verändert noch gelöscht werden. Dazu zerteilt Publius jede Datei in kleine Puzzle-Stücke, kopiert jedes einzelne, verschlüsselt es und verteilt es auf die Rechner der am Publius-Projekt beteiligten Anwender. Die Inhalte lassen sich wie im Web mittels URL-ähnlicher Adressierung ansprechen. Das von AT&T entworfene Verfahren setzt daraufhin die einzelnen Puzzle-Stücke zusammen und entschlüsselt sie.

"Es ist heute unmöglich, im Web etwas Anonymes zu tun", klagte Publius-Chefentwickler Avi Ruben, "Unser Tool ist für solche Leute gedacht, die ohne Zensur durch irgendwelche Mächte veröffentlichen wollen." Mit Publius, so die hehren Ziele der AT&T-Forscher, ließen sich Restriktionen undemokratischer Regimes sowie die Zugriffe von Unternehmen und Staaten umschiffen.

Die dunkle Seite des Web kommt in der Argumentation Rubins nicht zur Sprache. Urheberschutzverletzungen, Kinderpornografie und diskrimierende Hetzschriften gibt es in dem laut Rubin transparenten Web bereits. Ein vollkommen undurchsichtiges System dürfte idealer Nährboden für derartiges Treiben sein. "Als Bürger haben wir ein Recht auf Privatsphäre, nicht jedoch auf Anonymität", wetterte etwa Seagram-CEO Edgar Bronfman. Einige Bürgerinitiativen begrüßen hingegen Projekte wie Publius, schützten sie die Bürger doch vor dem Zugriff des Staates.

So hat sich an Publius eine kontroverse Debatte entzündet, in deren Verlauf immer wieder Begriffe wie "Freenet", "Napster" und "Gnutella" fallen. Freenet ist ein Projekt britischer Programmierer, das nach dem gleichen Prinzip wie Publius arbeitet. Unter der Adresse napster.com wurde ein Marktplatz eingerichtet, in dem Surfer ihre Musikstücke im MP3-Format austauschen. Die CD-Industrie läuft gegen dieses Projekt Sturm, weil sie durch die unautorisierten Kopien Urheberrechte verletzt sieht. Gnutella ist ein ähnliches Open-Source-Projekt, das derzeit AOL Sorgen bereitet.

Unklar ist, wie AT&T mit Publius verfahren wird. Zunächst will der Carrier ein Pilotprojekt mit 50 bis 100 Anwendern starten, um zu eruieren, wie die Nutzer mit den neuen Möglichkeiten umgehen. Vielleicht wirft AT&T danach alle anspruchsvollen Ziele über Bord und konzentiert sich auf die kommerzielle Vermarktung, denn die Form der Informationssicherung und -verteilung könnte Publius für die Dokumenten-Management-Industrie interessant machen.