IT in Versicherungen/Wie lässt sich mit weniger Geld der Service verbessern?

Assekuranz: Der Trend geht zum Re-Hosting

30.01.2004
Versicherungsunternehmen befinden sich zurzeit in einem harten Verdrängungswettbewerb. Auch ihre IT-Abteilungen stehen unter starkem Kostendruck. Die Versicherungsbranche mit ihren hohen Etats hat nämlich bislang kräftig in Informationstechnik investiert. Jetzt muss sie sie mit (zu) großem Aufwand managen.Von Wolfgang Klein*

Versicherungsunternehmen sind komplexe Gebilde. Das spiegelt sich auch in der Architektur ihrer Informations- und Kommunikationstechnik. Die ist wie die Verwaltungsstruktur auf Produktsparten und den branchenspezifischen Vertrieb zugeschnitten, der, zumindest in Deutschland, im Wesentlichen über Außendienstmitarbeiter in bundesweit verzweigten Agenturennetzen läuft. Dazu kommen freie Versicherungsmakler und der Direktvertrieb über Internet und Call- Center. Diese historisch gewachsenen Strukturen standen in wachstumsstarken Zeiten nicht zur Diskussion. Vielmehr reagierten die Versicherer auf die IT-bezogenen Erweiterungs- und Verbesserungswünsche der einzelnen Vertriebsgruppen individuell. So entstand eine IT-Architektur, die mit dem Geschäft gewachsen ist und heute noch den Bedarf der Sparten wie Kfz, Leben, Haftpflicht sowie des Außendienstes weitgehend abdeckt.

Aber der Markt hat sich gewandelt, und es herrscht, wie in vielen Branchen, ein heftiger Verdrängungswettbewerb. Wer überleben will, kann nur mittels Kostenführerschaft, Innovation und perfektem Kunden-Management seine Marktanteile halten beziehungsweise ausbauen. Doch gibt es hierbei, zumindest aus Sicht der IT, ein Dilemma. Die komplexe Struktur, bestehend aus Anwendungen und Bestandsführungssystemen der jeweiligen Versicherungssparten sowie der Hard- und Software in Agenturen und Filialen, hat ein Spinnennetz von Verbindungen und Abhängigkeiten entstehen lassen. Zum Beispiel replizieren die Versicherer die Daten aus den Backend-Systemen in vielfältiger Weise, weil andere Anwendungen sie in jeweils anderen Darstellungen brauchen. Und bei vielen Versicherungsunternehmen liegt über den Backend-Systemen noch ein Agenturversorgungssystem, in das die Daten ebenfalls repliziert werden und für die einzelnen Agenturen abgelegt sind. Diese Daten werden periodisch in die Datenbanken der Agenturen reingeholt. Das Updaten ist teuer, da dafür Standleitungen genutzt werden.

Wenig Spielraum bei sinkenden Budgets

Das Verbindungs- und Abhängigkeitsnetz ist zwar weitgehend stabil. Doch die Aufgabe, entstehende Löcher und Risse im Netz zu reparieren und neue Fäden zu spinnen, ist zeitaufwändig und nicht gerade billig. So fließen bei den Versicherungsunternehmen inzwischen von 100 Euro Beitragseinnahmen im Durchschnitt rund vier Euro in die IT. Das mag im Vergleich zu anderen Branchen noch akzeptabel sein, doch geht von den Ausgaben nur ein Drittel in innovative Technologien. Den Rest wenden die Versicherer für Service, Planung und Verwaltung der IT auf ? Tendenz steigend. In Zeiten der Verdrängung bleibt dabei wenig Spielraum, die IT bei sinkenden Budgets stärker an den Geschäftsbedürfnissen auszurichten.

Viele Versicherer wollen daher ihre gestuften Anwendungssysteme unter dem Begriff Re-Hosting wieder überschaubar machen. Dies geht jedoch nicht ohne Freiräume bei den dezentralen Einheiten. Es hilft aber wenig, die Bestandsführungssysteme zu erneuern, da sich das sofort auch auf die dezentralen Einheiten auswirkt. Das Problem ist also: Die IT-Abteilungen müssen sich gleichzeitig weiter um die vorhandenen Anwendungen kümmern, die bestehende Infrastruktur aufrechterhalten, neue Endgeräte anschaffen und den Außendienst durch mobile Applikationen flexibler machen. Das ist mit sinkenden Budgets kaum zu schaffen.

Effizienz im Vertrieb ist entscheidend

Wie aber lässt sich bei kleineren IT-Etats und weiterhin hohem Innovationsbedarf der gordische Knoten auflösen? Einige Versicherungsunternehmen haben damit begonnen, Kosten zu senken und trotzdem den Service zu verbessern. Daher konzentrieren sie sich zunächst auf den Vertrieb und das Kunden-Management. Die Sparkassenversicherung in Hessen, Nassau und Thüringen zum Beispiel baut ein IT-System auf, das dem Außendienst auch den mobilen Zugriff auf die Anwendungen, Bestandsdaten und das Produktportfolio erlaubt. "Entscheidend ist, dass ich mehr Effizienz im Vertrieb erreiche. Dies schaffe ich unter anderem dadurch, dass ich meine Vertriebskapazität erhöhe. Derzeit liegt die zu 50 Prozent in Backoffice-Funktionen, doch soll sie mittelfristig auf 25 Prozent fallen", sagt Bernd Becker, Vertriebsdirektor der Sparkassenversicherung. "Wir haben uns früher erlaubt, vier verschiedene Plattformen zu unterstützen. Das hat enorme Kosten für Entwicklung, Support und Schnittstellen verursacht."

50 Prozent der Erfolge über Kundenbesuche

Stationär vertreibt die Sparkassenversicherung ihre Produkte über 58 Sparkassen in Hessen, Nassau und Thüringen. Hier sind 26000 Mitarbeiter, davon 16000 im Vertrieb tätig. "Die konnten wir bisher nicht erreichen, da wir auf deren Arbeitsplatz - also dem PC - nicht präsent sind", beschreibt Becker die frühere Situation aus Sicht des Vertriebs. Für das IT-Projekt spielt das Thema Standards eine große Rolle, schließlich will das Unternehmen die hohen Kosten für Administration, Updates und Schnittstellen-Programmierung senken und höhere Effizienz erzeugen. "Wir sind von zu hohen Kosten und aufwändigen Geschäftsprozessen aus gestartet", sagt Becker. Daher standen Prozessoptimierung und die genaue Beschreibung der Prozesse am Beginn des Projektes. "Nur dann können wir beurteilen, ob wir die Prozesse mit Standards verschlanken können."

Basis des Systems ist ein Bestandsführungssystem, das die Sparkassenversicherung zu einer Web-Server-Applikation erweitert hat und über eine von T-Systems bereitgestellte Kommunikationsplattform online vom Außendienst genutzt wird. "Wir haben uns für Icis entschieden, weil es eine Standardsoftware ist, die 70 bis 80 Prozent der Betriebs- und Vertriebsprozesse abdeckt", begründet Becker die Entscheidung für die spartenübergreifende Lösung, mit der sich unter anderem Verträge im Leben- und Kompositbereich sowie Provisionierungen bearbeiten lassen. Die Online-Variante des Systems beinhaltet auch ein Berechtigungskonzept und den für Agenturinhaber so wertvollen Schutz ihrer Datenbestände.

Das System ist auch über den Mobilfunkstandard GPRS erreichbar; die rund 1000 Mitarbeiter können nun beim Kundenbesuch mobil auf Daten zugreifen. "Der Außendienst erreicht etwa 50 Prozent seiner Erfolge über Kundenbesuche. Für die muss ich also möglichst viele Prozesse verbessern, schließlich sind unsere Vertriebskapazitäten für uns das Wesentliche", sagt Becker und beantwortet damit indirekt die Frage nach den Kosten für das neue System: "Für uns wird die neue Technologie Ersparnisse bringen."

Ansatz ist, eine technische Plattform zu schaffen, mit der die Versicherer ihre Bestandsführungssysteme weiterführen und die die Infrastruktur bis zum Außendienst abdeckt. Eine solche Integrationsplattform ermöglicht den Zugriff auf zentrale Systeme unabhängig von der Zugangstechnik und stellt ergänzende Funktionen bereit. Sie ist mit Endgeräten wie Laptop, PDA oder Handy und über diverse Zugangstechniken wie UMTS, GPRS oder DSL zu erreichen. Das Multi-Device-Portal erkennt Endgerät und Übertragungstechnik und bereitet die Inhalte gerätespezifisch auf. Für Sicherheit sorgt bei jeder Einwahl eine getunnelte, sichere Verbindung. Die Fachsysteme im Back Office sind online integriert, zugegriffen wird über ein rollenbasierendes und personalisiertes Berechtigungssystem.

Die mobile Anbindung der Vertriebsmannschaft mögen manche Versicherer noch als Kür bezeichnen, die dahinter steckende Integrationsplattform aber ist ein Schritt, die Kosten für die IT-Wartung zu verringern und neues Geld für Innovationen freizusetzen. Heute besteht eine auf Client-Server-Anwendungen aufgebaute Desktop-Struktur in den meisten Versicherungsagenturen.

Flexibilität für den Launch neuer Produkte

Die einzelnen versicherungsspezifischen Anwendungen sind mit einer Vielzahl von Funktionen ausgestattet, die den gesamten Vertriebsprozess unterstützen sollen. Dazu gehören unter anderem Module zur Kundenselektion, Vertragsauskunft sowie Office-Anwendungen, Agenturverwaltung oder Antragsverwaltung. Diese Desktop-Systeme sind in der Regel über Standleitungen an das LAN der Zentrale angeschlossen. Der ganze Service rund um diese Systeme kostet die Versicherungen pro Außendienstmitarbeiter bis zu 8000 Euro, denn sie halten dafür einen ganzen IT-Service-Pool aufrecht, der sich nur um Fehlerbehebung, Updates und Neuinstallationen kümmert. Der Landwirtschaftliche Versicherungsverein, (LVM) hat zum Beispiel ausgerechnet, dass allein die Datensicherung pro Monat und Agentur 14 Stunden in Anspruch nimmt.

Die derzeitige technische Ausstattung erschwert zudem die Flexibilität für den Launch neuer Produkte und Softwarestände, da die Agenturen dafür meist mit zu geringen Bandbreiten an das Netz angeschlossen sind. So verteilt ein großer deutscher Versicherer viermal im Jahr seine Software auf CD, die dann in den Agenturen von Serviceteams auf den Desktop gespielt wird. Das bedeutet im Endeffekt, dass es auch nur viermal im Jahr neue Produkte geben kann. Die müssen in der Software abgebildet sein, damit der Außendienstler sie beim Kunden vorstellen und fallabschließend bearbeiten kann.

Provisionen immer auf aktuellem Stand

Der LVM hat als einer der ersten großen Versicherer den Außendienst daher nicht nur mobil angeschlossen, sondern Datenhaltung und Anwendungen wieder "rehostet". Die Außendienstmitarbeiter greifen über Thin Clients, die nur noch mit einem Betriebssystem ausgestattet sind, online auf alle Anwendungen und Daten zu. Das senkt allein die Kosten für den IT-Service pro Arbeitsplatz um bis zu 30 Prozent. Und auch das für den Vertrieb so geschäftskritische Problem der persönlichen Daten der Agenturinhaber hat der Versicherungsverein zentral gelöst. Der Versicherer hat jedem Außendienstler notariell beglaubigt, dass seine Daten sicher und vor externen Zugriffen geschützt auf den zentralen Servern abgelegt sind.

Mit der Frage der persönlichen Daten einher geht auch die für Versicherungen typische Provisionsregelung. Sie stellt die "Leib- und Magenrente" der Außendienstler dar. Da die Versicherer die Vertrags- und Kundendaten aus ihren Bestandsführungssystemen heute nur in Abständen von Wochen in die Datenbanken der Agenturen überspielen, haben sie in vielen Fällen ein Portal entwickelt, über das sich die Außendienstler den Provisionsstand oder auch ihre Inkasso-Informationen aktuell abrufen. Das ist auch für den Kundenkontakt entscheidend, denn nichts wäre peinlicher, als wenn der Außendienstmitarbeiter mit einem veralteten Inkasso-Stand zum Kunden ginge und beispielsweise auf dessen noch nicht überwiesene Versicherungsraten zu sprechen käme.

Daten und Software zentral bereitstellen

Die technische Plattform rezentralisiert zunächst nur die vertriebsnahen Anwendungen in einem Online-Portal. Das ermöglicht Versicherern, Daten und Software für den Außendienst zentral bereitzustellen. Die Pflege und Synchronisation Tausender lokaler Systeme in Agenturen entfällt. So können Versicherer auch neue Produkte flexibel nach den Bedingungen des Marktes einführen, statt auf das Software-Update im nächsten Quartal zu warten. Daten und Anwendung stehen immer aktuell online zu Verfügung, und das Portal passt sich den unterschiedlichen Arbeitssituationen seiner Anwender an. Der erhält nur die für ihn wirklich notwendigen Daten und Funktionen. Im Kontakt mit den Kunden nützt dem Außendienstler die kundenzentrierte Sicht eben mehr als ein produktzentrierter Blickwinkel auf die Bestandsdaten. (bi)

*Wolfgang Klein ist Manager Focus Solutions bei T-Systems in Düsseldorf.

LVM-Versicherungen

Die LVM-Versicherungen (Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster a.G.) zählt zu den führenden Versicherungsgruppen in Deutschland. Der Rundum-Versicherer mit Zentrale in Münster deckt alle Leistungen ab, die Privatpersonen und Geschäftsleute an Versicherungsschutz benötigen. Mit rund drei Millionen Kunden und über sieben Millionen Verträgen erreichten die Beitragseinnahmen im Jahr 2003 etwa zwei Milliarden Euro. Der Vertrieb der LVM-Produkte läuft über etwa 2100 Agenturen.

Die SV Hessen-Nassau-Thüringen

Die SV Sparkassenversicherungen sind als Lebens-, Komposit- und Gebäudeversicherer tätig. Als öffentliche Versicherer bieten sie im Verbund mit den Sparkassen, Landesbanken und Giroanstalten in regional abgegrenzten Geschäftsgebieten komplette Finanzdienstleistungen an. Die SV Hessen-Nassau-Thüringen mit Sitz in Wiesbaden beschäftigte Ende 2003 rund 1500 Mitarbeiter im Innendienst und 872 im Außendienst. Die Gesamtbeiträge der SV betrugen im Jahr 2002 bei rund 3,5 Millionen Verträgen über eine Milliarde Euro.