Neues BGH-Urteil bringt nur bedingt Klarheit

ASP - wer haftet für Systemausfälle?

23.03.2001
Zahlreiche rechtliche Unklarheiten bei der Risikoverteilung für Systemausfälle bedrohen das Geschäftsmodell der Application-Service-Provider (ASP). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer neuen Entscheidung zum Online-Banking Auswüchse bei der vertraglichen Haftungsbeschränkung beschnitten und damit zumindest teilweise Klarheit auch für den ASP-Markt geschaffen. Von Martin Schellenberg*

Einen kräftigen Dämpfer musste kürzlich die Postbank hinnehmen: Sie hatte in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) das Risiko für den Systemausfall weitgehend auf die Kunden abgewälzt. Zeitweilige Beschränkungen des Zugangs zum Online-Service aus technischen und betrieblichen Gründen, also auch bei Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten seien möglich. Einer Verbraucherschutzorganisation ging das zu weit, und sie klagte den Fall durch die Instanzen.

Leistungsdefinition oder Haftungsausschluss?Der BGH hat nun in einer richtungsweisenden Entscheidung die entsprechenden Bestimmungen für ungültig erklärt (Urteil vom 12. Dezember 2000 - XI ZR 138/00, siehe Kasten "Das BGH-Urteil"). Dreh- und Angelpunkt der Entscheidung ist die Frage, ob die oben zitierten Klauseln als Leistungsdefinition oder als Haftungsausschluss zu qualifizieren sind. Die Bank stellte sich auf den Standpunkt, es handele sich um eine Leistungsdefinition. Dem Kunden sei für den Fall der Wartung oder sonstigen Systemausfalls ein Zugang erst gar nicht versprochen worden. Die Frage der Haftung und Gewährleistung, so die Argumentation der Postbank, stellt sich in diesem Falle nicht.

Der BGH hat dies nicht akzeptiert. Das Finanzinstitut habe vielmehr die Leistung "Zugang zum Online-Banking" angeboten und diese dann wieder für den Fall des Systemausfalls eingeschränkt. Auf derartige Beschränkungen finden jedoch die Regelungen des AGB-Gesetzes Anwendung. Danach darf die Haftung für den Fall der groben Fahrlässigkeit und des Vorsatzes überhaupt nicht ausgeschlossen werden. Bei leichter Fahrlässigkeit kann sich der Anbieter nur dann von Ersatzansprüchen frei zeichnen, wenn die Hauptleistungspflicht nicht betroffen ist. Mit der angegriffenen Regelung sei jedoch jede Haftung ausgeschlossen, unabhängig davon, ob der Systemausfall schuldhaft verursacht worden sei. Dies benachteilige den Kunden unangemessen, die Klausel sei daher nichtig.

Was bedeutet diese Entscheidung nun für das ASP-Modell und die dort üblichen Service Level Agreements (SLAs)? Zunächst einmal sind auch dort Klauseln unzulässig, die nach dem obenbeschriebenen Muster gestrickt sind. Ein genereller Ausschluss der Haftung des ASP für Systemausfälle dürfte also nichtig sein, wenn die entsprechende Klausel wie in den Postbank-AGB formuliert ist.

Üblicherweise beschreiten jedoch ASPs heute einen Weg, der seinen Ursprung in der TK-Branche hat: Der Provider verspricht im Rahmen des SLAs beispielsweise nur 99,7 Prozent Verfügbarkeit im Jahr. Fällt das System also weniger als 0,3 Prozent der Zeit aus (pro Jahr sind dies mehr als 24 Stunden), liegt keine Vertragsverletzung seitens des Anbieters vor.

Vor dem Hintergrund der BGH-Entscheidung stellt sich nun die Frage, ob diese Klausel der von der Postbank verwendeten Formulierung gleichzustellen ist, folglich also nicht mehr verwendet werden dürfte. Hierfür enthält das BGH-Urteil jedoch keinen Hinweis. Vielmehr hebt das Gericht ausdrücklich darauf ab, dass die von der Postbank verwendete Klausel ihrem Wortlaut nach das Leistungsversprechen einschränkt, nicht jedoch den Leistungsgegenstand definiert.

Prozentuale Verfügbarkeit erlaubtIm Umkehrschluss müsste dies bedeuten, dass die auf eine prozentuale Verfügbarkeit abstellenden Klauseln in SLAs zulässig sind. Denn sie schließen keine einmal versprochene Leistung aus, sondern gewähren sie erst gar nicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Kunde zwischen verschiedenen Stufen wählen kann und gegen ein höheres Entgelt eine höhere Leistung erhält. Dies müsste vollends klarstellen, dass es sich bei der geringeren Verfügbarkeit um ein anderes Produkt handelt und nicht um einen Haftungs- und Gewährleistungsausschluss. Letztlich hat das BGH-Urteil für die Zulässigkeit prozentualer Verfügbarkeitsklauseln keine eindeutige Klärung erbracht. Nach wie vor könnte man den Standpunkt einnehmen, durch diese Gestaltung mogele sich der ASP um die Klärung der Frage herum, nach welcher Vertragsart er seine Leistung erbringt.

Schwierige Definition des VertragstypsUnd in der Tat sind die prozentualen Verfügbarkeitsklauseln ursprünglich aus der Verlegenheit heraus entstanden, dass für TK-Leistungsverträge keine eindeutige Rechtsprechung für die Einordnung in die gesetzlichen Vertragstypen der Miet-, Dienstleistungs- oder Werkverträge existiere. Je nachdem, welchem Vertragstypus man die Leistung zuordnet, sind auch unterschiedliche gesetzliche Gewährleistungs- und Haftungsregelungen einschlägig. Diese kann man in AGB zwar abweichend regeln, solange insgesamt das gesetzliche Leitbild gewahrt bleibt. Da jedoch Unsicherheit darüber besteht, welcher Vertragstyp einschlägig ist, geht der Anbieter bei einer gerichtlichen Überprüfung das Risiko ein, dass die Klausel für unzulässig erklärt wird und die entsprechende Haftungsbegrenzung zugunsten einer unbegrenzten gesetzlichen Haftung entfällt.

Der BGH hat auch in seiner hier besprochenen Entscheidung zum Online-Banking auf eine Einordnung in die gesetzlichen Vertragstypen verzichtet. Im Ergebnis wird sich eine angemessene Risikoverteilung für Systemausfälle also an der kaufmännischen Grundregel orientieren: Haftungsrisiken müssen der Höhe nach begrenzt werden, und der Provider muss sich für den Rest angemessen versichern.

*Dr. Martin Schellenberg ist Rechtsanwalt bei der Andersen Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg

Das BGH-UrteilIn seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2000 hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Gegensatz zur Vorinstanz (XI ZR 138/00) einzelne Klauseln der AGB der Postbank für das Online-Banking für unwirksam erklärt (XI ZR 138/00). Bislang hat das Institut eine Vertragsklausel verwendet, wonach "aus technischen und betrieblichen Gründen zeitweilige Beschränkungen und Unterbrechungen" im Zugang zum Bankrechner zulässig sein sollten. Außerdem zählte die Klausel weitere Ursachen für betriebliche Störungen auf, darunter "höhere Gewalt, Änderungen und Verbesserungen an den technischen Anlagen" sowie "sonstige Maßnahmen", worunter unter anderem die Überlastung der Kommunikationsnetze zu verstehen sei.

Diese Einschränkungen dienen nach Ansicht des BGH nicht nur einer Beschreibung der tatsächlichen Zustände, sondern reduzieren vollkommen undifferenziert den grundsätzlich rund um die Uhr eröffneten Online-Service. Damit wird unzulässigerweise auch die Haftung für grob fahrlässiges und vorsätzliches Handeln ausgeschlossen