Asien und USA als Chip-Abnehmer im Visier Erfurter Thesys will mit grossen Spruengen ins Multimedia-Land CW-Bericht, Andrea Rausch

11.03.1994

Die aus einem Teil des ehemaligen Kombinats Erfurter Mikroelektronik hervorgegangene Thesys GmbH will vor allem im Telekom- und Multimedia-Markt mitmischen: Das Management-Duo mit dem Sarden Claudio Loddo und dem Thueringer Hans-Juergen Straub peilt gegenueber dem vergangenen Jahr eine Umsatzverdoppelung auf 60 Millionen Mark an. Vorlaeufer MTG (Mikroelektronik Technologie Gesellschaft) machte 1992 bescheidene 1,7 Millionen Mark. Als Umsatzrenner soll der Scaler 2, ein Multimedia-Chip, reuessieren, der auf der CeBIT vorgestellt wird.

Das Ende des einst 9000 Mitarbeiter zaehlenden volkseigenen Betriebs in Thueringens Hauptstadt Erfurt zog sich hin. Nach der Wende als PTC Holding (Production Trade Company) nach und nach Tausende von Leuten entlassend, baute man 1990 noch auf eine Einzelprivatisierung des Erfurter Betriebes. Im Jahr darauf sollte die Mikroelektronik Technologie Gesellschaft (MTG), eine standortuebergreifende Konstruktion, die neben Erfurt auch Werke in Dresden, Frankfurt/Oder und Neuhaus am Rennsteig integrierte, dem immer schwieriger werdenden Halbleitermarkt trotzen. 1992 entschloss sich die Treuhand dann doch, das erste Konzept aufzugreifen, und im Herbst wurde mit Unterstuetzung der Landesregierung und unter Beteiligung des amerikanischen Halbleiterherstellers LSI Logic die Thesys gegruendet. Erst jetzt konnte die Geschichte des einstigen Renommierbetriebs - modernste Chipfabrik der DDR - neu geschrieben werden.

Der Sarde Claudio Loddo (44), als General Manager Europe International von LSI als Verhandlungspartner im Privatisierungsreigen und daher mit den Problemen in Erfurt bestens vertraut, und der Thueringer Hans-Juergen Straub (39), zuletzt im Bereich Planung und Finanzen des Kombinats, dann im Vorstand der Holding sowie Geschaeftsfuehrer der MTG in Dresden, starteten im November 1992 nach zaehem Ringen mit der Treuhand das operative Geschaeft. Traeger der GmbH: die Landesbank Hessen- Thueringen mit 80,2 und LSI mit 19,8 Prozent. Dass das griffige Konzept der Einzelprivatisierung schon 1990 auf den Tisch des Breuelschen Hauses gelegt worden war, ficht die beiden Macher nun nicht mehr an: "Die Verhandlungen waren zaeh - wir aber auch."

Zwar ist eine weitere Privatisierung angestrebt, doch laut Straub sollten es Investoren sein, "die die Unternehmenspolitik unterstuetzen". Und die sieht bei Thesys so aus:

- Fokussierung auf wichtige Marktsegmente wie beispielsweise Telekommunikationsbereich und Industrieanwendungen,

- Entwicklung von Nischenprodukten unter anderem im Multimedia- Bereich,

- Kombination von eigengefertigten Produkten wie ASICs (Application Specific Integrated Circuits) und ASSPs (Application Specific Standard Products) mit FPGAs (Field Programmable Gate Arrays) und Standard-ICs zu kompletten elektronischen Systemloesungen.

Die Produktion von ASICs und ASSPs umfasst rein digitale und analog-digitale Mixed-signal-Schaltkreise in CMOS- und BICMOS- Technologien.

Geschaeftsfuehrer Loddo, verantwortlich fuer Vertrieb, Marketing, Entwicklung und Produktion, brachte aus seinen Fuehrungspositionen bei Fairchild Semiconductor, Silverstar, Hitachi Electronic Components und LSI Logic nicht nur Erfahrungen und Kontakte im internationalen Geschaeft mit, sondern auch einen Teil des Marketing-, Entwicklungs- und Vertriebsteams: Dagmar Berendes, Hans-Detlef Boesch, Peter Grund und Paul Hollingworth. Als Insider des Betriebs und seiner Strukturen verantwortet sein Kollege Straub als Geschaeftsfuehrer die Bereiche Personal, Finanzen, Controlling und Logistik.

Der Sarde aus Monserrato will die Kunden ueberzeugen, dass ein klares Konzept vorliegt, "dass Visionen fuer die naechsten Generationen sichtbar sind und wir Vehikel fuer unsere Kunden sind". Deswegen legen die Erfurter besonderen Wert darauf, ihrer Klientel komplette Systemloesungen anzubieten.

Die Entwicklungsabteilung kann jede Art von Methodik anbieten: von programmierbaren FPGAs bis zu Vollkundenschaltungen, von der Kunden- bis zur Auftragsentwicklung. Systemloesung, so der ebenso schneidige wie verschmitzte Loddo, beinhaltet last, but not least die technische Unterstuetzung sowie den Verkauf saemtlicher Komponenten, die erst in ihrer Gesamtheit das System ergeben.

Know-how und Qualitaetsverstaendis brachten die 480 uebernommenen Mitarbeiter mit, nur im Vertrieb und Marketing musste aufgestockt werden, so Marketing- und Engineering-Chef Boesch stolz: Thesys selbst marschiert forsch drauflos - dahin, wo die Maerkte sind. Fuer Multimedia-Chips ist das, so Loddo, eindeutig in Korea, Taiwan, Hongkong und den USA. Loddo machte Repraesentaten aus, geht auf Spezialmessen, denn "wir muessen in relativ kurzer Zeit erfolgreich sein, deshalb machen wir grosse Spruenge und nicht kleine Schritte". Das Unternehmen will seine Chips im Multimedia-Bereich auf moeglichst vielen Video-Overlay-Boards sehen. Nach "Innovation trifft Erfahrung" lautet der neue Slogan denn auch "Thesys on top". Der Multimedia-Chip "Scaler" und sein Nachfolger "Scaler II" sowie weitere ASSPs sollen en masse produziert werden.

Nach Aussagen von Brancheninsidern verfuegt die Erfurter GmbH ueber eines der modernsten und aeusserst leistungsfaehigen Design-Center Europas. Ein Spezialtrupp von Ingenieuren beschaeftigt sich ausschliesslich mit der Designmethodik. Die Gruppe, ein ausgeduenntes Ueberbleibsel aus DDR-Zeiten, ist mit ihren Leistungen international anerkannt.

Die Entwicklungen finden auf Systembeschreibungs-Level - CASE/Zustandsgraphen - und nicht mehr auf Gatter-Level statt. Der "TH6210 Scaler 2" aus der Multimedia-Familie Thevideo soll in Halle 8 der CeBIT vorgestellt werden. Im Gegensatz zum Vorlaeufer "Scaler 1" kommt das Interpolationsverfahren fuer die Skalierung in horizontaler wie vertikaler Richtung zum Einsatz. Vorteil laut Thesys: Bester Bildeindruck bei jedem Bildformat. Neben Videoquellen wie Cam- cordern oder Videorekordern koennen nun auch Bewegtbildsequenzen, die sich auf CD-ROMs oder der Festplatte des PCs befinden, ueber den ISA-Bus eingelesen und auch in vergroesserter Form - Upscaling - dargestellt werden. Ausserdem verfuegt der neueste Wurf der Thueringer ueber ein bidirektionales Interface fuer Audiosignale, um diese innerhalb des PCs aufnehmen, speichern, verarbeiten und abspielen zu koennen.

Engagement in Osteuropa wird langfristig geplant

Gezeigt wird unter anderem ein auf Scaler basierendes Videophone der Firma Chips at Work aus Bonn. Auf dem Stand werden Multimedia- Kartenhersteller aus der ganzen Welt erwartet. Thesys will in Hannover nicht als ASIC-Hersteller auftreten, sondern als Spezialist in Sachen Multimedia-Chips - ASSP heisst die Parole. Deshalb gibt es auch zusaetzlich den ersten Chip fuer den Telekommunikationsbereich, den Ein-Gigahertz-Divider "TH7001".

Die mehrheitliche Uebernahme im vergangenen Jahr von Standorten sowie zehnkoepfiger Vertriebsmannschaft von AE Advanced Electronics, Muenchen, sorgte schnell fuer Vertriebs- beziehungsweise Design-Center in Duesseldorf, Bad Camberg, Muenchen und Stuttgart.

Fuer eine ueberregionale Praesenz knuepfte man ein Netz von Repraesentanten, Partnern und Joint-ventures. Auch in den USA, Japan, Korea, Singapore und Thailand haben die Erfurter ihre Vertreter vor Ort.

Allein aus der Historie heraus bestehen gute Verbindungen nach Osteuropa. Bisheriges Resultat: zwei Joint-ventures in Kiew und Woronesh bei Moskau. Freilich: Dieses Engagement braucht Zeit und muss gepflegt werden. Straub: "Dahinter stehen nur langfristige Plaene." Die beiden Geschaeftsfuehrer warnen jedoch davor, "die oestlichen Maerkte zu ignorieren". Die Fabrik am Rande von Erfurt, in der Haarbergstrasse 61, soll "lean" gehalten werden. Der italienische Kunstsammler und der thueringische Langstreckenlaeufer "wollen ueberschaubar und flexibel bleiben". Und schuldenfrei? Die Anschubfinanzierung der Treuhand von 125 Millionen Mark wurde, so sieht es aus, exzellent investiert. 1993 machte Thesys schon 30,2 Millionen Mark - mit den geplanten 60 Millionen Mark in diesem Jahr soll der Break-even erreicht werden. Da ist die im November vergangenen Jahres erfolgte Zertifizierung mit dem ISO-Standard 9001 ein fast schon erwarteter Meilenstein auf dem Weg zum Erfolg.