Armonker Dekrete gelten nichts mehr

14.07.1995

Bereits fuenf nach zwoelf duerfte es fuer IBMs APPN-Konzept sein. Drei Jahre nach Veroeffentlichung der "Networking Blueprint" bleibt APPN als von Big Blue propagierter Ansatz zum offenen Peer-to-peer- Networking noch vieles schuldig. Daran wird auch die Einfuehrung des neuen Routing-Verfahrens HPR sowie die Integration eines Socket-Interfaces in Anynet fuer VTAM 4.3 wenig aendern.

Gewiss, mit High Performance Routing peppt Armonk seine APPN- Architektur auf, aber dynamisches Rerouting zaehlt bei TCP/IP laengst zur Tagesordnung. Insofern hat Big Blue lediglich ein technisches Defizit wettgemacht. Als Crux erweist sich, dass HPR gegenwaertig nur fuer Mainframes und Front-end-Prozessoren zur Verfuegung steht. Damit ist der Aktionsradius auf zehn Prozent der SNA-Welt begrenzt. Die Hoffnung, durch die Implementierung der Anpassungssoftware "Dependent LU Requester" in Endgeraeten und Zwischenknoten auch die gute alte 3270-Welt fuer APPN zu erschliessen, ist truegerisch. Laengst ist die SNA-Klientel nicht mehr bereit, endlos auf Produkte zu warten und sich per Dekret die Homogenitaet ihrer Netzwerke vorschreiben zu lassen.

Dazu besteht auch keine Veranlassung - es gibt ja TCP/IP. Scharenweise laufen die SNA-Anwender zu diesem De-facto-Standard ueber, der sich im Vergleich zu APPN besser als Transportmechanismus in Multiprotokoll-Backbones eignet. Vor dieser Tatsache scheint das IBM-Management jedoch die Augen zu verschliessen. Mit APPN versuchen die Strategen in Armonk ganz im Stile alter Tradition, bestehende SNA-Backbones am Leben zu erhalten und dem Markt einen neuen Multiprotokoll-Standard aufzwingen zu wollen.

Doch in diesem Fall hat Big Blue die Rechnung ohne die Third- Party-Anbieter gemacht. Router-Hersteller wie auch Anwendungsentwickler zeigen der IBM-Spezifikation bislang weitgehend die kalte Schulter. Im Multiprotokoll-Betrieb ist APPN lediglich ein routbares SNA-Protokoll mehr, ohne eine nennenswerte Rolle zu spielen, und Applikationen setzen fast ausschliesslich auf TCP/IP auf.

Zugegeben, mit APPN hat sich IBM fuer reine SNA-Umgebungen eine brauchbare Peer-to-peer-Loesung ausgedacht, damit aber noch keinen offenen Standard wie TCP/IP geschaffen. Die Offenlegung der Spezifikation sowie eine Produktlinie mit dem Titel Anynet reichen dazu nicht aus. Genau betrachtet, bietet Anynet in SNA-Netzen bisher lediglich die Moeglichkeit, Anwendungen auf TCP-Socket aufzusetzen - keine Spur jedoch von einer Umsetzung der Protokolle Netbios, IPX und IP in Anynet. Es ist heute eben nicht mehr damit abgetan, den Host per Anweisung aus Armonk zum grossen Server im Netz zu erklaeren und dem Anwender ein stark proprietaer angehauchtes Protokoll als offene Client-Server-Loesung zu verkaufen.