Büros ertrinken immer noch in der Papierflut

Archivierungssysteme können sich nur langsam durchsetzen

12.07.1991

Als vor etwa zehn Jahren die Ära des PCs eingeläutet wurde, entwickelte sich bei Optimisten gleich die Vision des papierlosen Büros. Dies entpuppte sich allerdings schnell als Trugschluß. Nach wie vor wird die kontinuierlich wachsende Inormationsflut auf Papier gebracht und wandert in die Ablage. Dabei können Büro- und Archivierungssysteme helfen, die Papierflut einzudämmen, sowie die Suche und die Vorgangsbearbeitung zu erleichtern, so lautet das Ergebnis eines Wang-Presseseminars, über das Petra Adamik* berichtet.

Nach Untersuchungen von Diebold sind Archivierungssysteme auf der Basis eines Einzelplatz-PCs heute bereits für rund 30 000 Mark zu haben. Für Mehrplatz-Systeme müssen allerdings deutlich mehr als eine Million Mark investiert werden. Bei den Einsatzmöglichkeiten sind der Phantasie, so Gerhard Adler, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Diebold GmbH in Eschborn, keine Grenzen gesetzt. Die Palette reiche von Banken, Bausparkassen und Versicherungen, mit ihren unterschiedlichen Vertragsdaten bis hin zu öffentlichen Verwaltungen und dem Immobiliengeschäft.

Der Markt für optische Archivierungssysteme steht jedoch nach Ansicht des Marktforschers erst am Anfang. So waren in der Bundesrepublik zum 1. Januar 1991 ganze 220 Systeme installiert. Mit 100 Installationen (davon 60 Einzelplatz-Systeme) erzielte die DV-Industrie in diesem Marktsegment insgesamt etwa 35 Millionen Mark. In der Bundesrepublik gibt es nach Untersuchungen von Diebold etwa 25 Anbieter für mehrplatz-fähige Archivierungssysteme auf Basis von optischen Speichern. Trotz steigender Umsatzzahlen rechnen die Marktauguren auch in den nächsten Jahren nicht mit einem Milliardenmarkt.

Optimistischer sind da die großen Anbieter, darunter die Wang Deutschland GmbH, die sich selbst als Nummer drei in diesem Marktsegment einordnet. Nach Ansicht von Geschäftsführer Horst Enzelmüller, unterschätzen die Marktforscher die Impulse, die ab 1993 vom europäischen Binnenmarkt ausgehen und den Markt für Büroautomation und Archivierungssysteme beleben werden.

Für sein Unternehmen hofft Enzelmüller nach der Zitterpartie der letzten Jahre auf rosige Zeiten im vereinten Europa.

Minicomputer und Beratungs-Know-how

Als zwei nicht zu unterschätzende Faktoren bezeichnet der Wang-Geschäftsführer dabei die rund 50 000 Minicomputer, die das Unternehmen weltweit installiert hat, sowie das komplexe Beratungs-Know-how, das in 40 Jahren Firmengeschichte erworben wurde.

Mit diesem Erfahrungsschatz und der umfangreichen Hardwareplattform im Rücken will das Unternehmen sich mit seinem Bürokommunikations-Konzept Office 2000 als Nischenanbieter in Europa etablieren und gleichzeitig sein klassisches Angebot für die Textverarbeitung reaktivieren.

Office 2000 bietet Bürokommunikation auf der Basis heterogener Systemkomponenten unter Einbeziehung von Dokumenten- und Bildverarbeitung. Hierbei will man sich, so Enzelmüller, "auf das ureigenste Thema des Hauses, die Lösungen für Bürokommunikation", konzentrieren. Den Fehler, der das Unternehmen in die roten Zahlen brachte, alles im eigenen Haus zu machen, werde das neue Management nicht wiederholen. Systeme, etwa die im Unix-Umfeld und Komponenten werden in Zukunft dazugekauft und auch bei der Beratung will Wang mit Systemhäusern enger kooperieren.

Als Stolpersteine bei der Verbreitung von Büroautomations- und optischen Archivierungssystemen betrachten Marktexperten nicht nur die Kosten, sondern auch rechtliche Aspekte sowie veraltete Arbeitsabläufe in den Unternehmen. Hans-Jörg Bullinger, Leiter des Instituts für Arbeitswissenschaft und Technologie-Management an der Universität Stuttgart sowie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation, drückt die Entwicklung der vergangenen Jahre drastisch aus: "Wir haben mit dem Computer nur alte Vorgänge elektrifiziert und dumme Abläufe schneller gemacht. "Mit einem Umdenken in der Ablaufstrukturierung will er eine Verbesserung und Rationalisierung erreichen.

Voraussetzung dafür ist nach Ansicht Bullingers allerdings ein gut strukturiertes Informations-Managment, mit dem zunächst einmal festgestellt werden muß, was in den einzelnen Abteilungen passiert. Kommunikationsfunktionen dürfen dabei kein Inseldasein führen, sondern müssen unternehmensweit vereinheitlicht werden.

Die Disziplin bei der gemeinsamen Nutzung von Infrastruktur läßt nach Untersuchungen des Arbeitswissenschaftlers aber noch zu wünschen übrig - sie muß gesteigert werden, soll eine Rationalisierung möglich sein. Auch beim Projektmanagement wird man in Zukunft umdenken müssen, meint der Organisationsexperte, wenn die Vorteile integrierter Bürosysteme zum Tragen kommen sollen.

Hier fordert er vor allem auf der horizontalen Schiene einschneidende Verbesserungen. Dies könne allerdings das Management erheblich unter Druck setzen, da unter Umständen Mitarbeiter besser informiert seien als der Chef selbst. Auch der Führungsstil sollte sorgfältig überdacht und wenn notwendig verbessert werden.

Für eine fächerartige Abtastung eines Unternehmens auf Rationalisierungsmöglichkeiten plädiert Bullinger, bevor die Entscheidung für die Büroautomation gefällt wird.

Quantität statt Qualität

Heute werde bei Investitionen in DV-Ausrüstung immer noch zu sehr auf Quantität statt auf Qualität geachtet. Eine vollständige Integration aller Bereiche der Büroautomation, angefangen bei der Daten- und Textverarbeitung bis hin zu Grafik, Bild und Sprache, sei aber erst gegeben, wenn Netzwerke zur Infrastruktur werden. Dezentrale Arbeitsstationen können dann auf zentrale Server zugreifen und gemeinsame Ressourcen nutzen.

Im Umfeld der Büroautomation werden auch die Expertensysteme, so Untersuchungen des Fraunhofer Instituts, eine weitaus größere Rolle spielen als bisher.

Ein nicht zu unterschätzender Hemmschuh für die Verbreitung von Archivierungssystemen sind nach Erfahrungen von Jürgen Welp vom Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Münster die zahlreichen rechtlichen Aspekte der elektronischen Bildverarbeitung von Dokumenten. Das Strafrecht schützt Dokumente und Urkunden vor Fälschung (° 267 StGB), und das sogenannte Computerstrafrecht (° 269 StGB) setzt Normen für die Behandlung von elektronisch gespeicherten Daten und Dokumenten.

Für die meisten Geschäftsunterlagen besteht eine lange Aufbewahrungspflicht. Mit Ausnahme von Bilanzen, Jahres- und Konzernabschlüssen dürfen diese Unterlagen inzwischen unter bestimmten Voraussetzungen auf Bild- oder anderen Datenträgern aufbewahrt werden. Die Speicherung auf optischen Platten entspricht nach Auffassung von Welp in jeder Hinsicht den gesetzlichen Anforderungen.

Bei den einzuhaltenden Verfahren allerdings beklagt der Rechtsexperte das Fehlen von Richtlinien und fordert klarstellende behördliche Erlasse. Auch die Beweiskraft von elektronisch gespeicherten Dokumenten ist immer noch problematisch, da das Prozeßrecht nur Originalen die formelle Beweiskraft zubilligt.

Weitere Modifizierungen der Schriftform für elektronische Urkunden sind nach Ansicht von Welp notwendig, dazu muß allerdings ihre Authentizität gewährleistet sein. Trotz aller Schwierigkeiten wird die Büroautomation weiter fortschreiten, und die optischen Archivierungssysteme dürften ihren festen Platz innerhalb dieser Systeme erobern.

Über eines sind sich die Experten allerdings einig: Den Nutzen dieser Systeme werden die Anwender erst zu dem Zeitpunkt spüren, wenn sie ihre Arbeitsabläufe auf der Basis der neuen Technologien reorganisieren.