Mitarbeiter sollen nicht nur auf Geheimcodes achten

Arbeitszeugnis: Wie Bewertung funktioniert

06.09.2002
MÜNCHEN (am) - Es ist ein offenes Geheimnis: Wenn Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, sollen sie oft ihr Arbeitszeugnis selbst schreiben oder ihrem Vorgesetzten einen entsprechenden Vorschlag liefern. Wer seine Leistung ins rechte Licht rücken will, muss viele Regeln beachten.

Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu schreiben kostet Zeit. Es gilt, sich zuerst über die Leistungen des scheidenden Mitarbeiters bei Kollegen und Vorgesetzten zu informieren und die Bewertung dann so zu formulieren, dass sie den gesetzlichen Vorgaben - jedes Zeugnis muss wahr und wohlwollend sein - entspricht. Gleichzeitig soll das Zeugnis der Individualität des Einzelnen gerecht werden. Diesen hohen Anspruch können heute viele Personalverantwortliche nicht mehr erfülllen, weil ihnen dafür die Zeit fehlt.

Individualität geht verloren

Die Folge: Entweder greifen die Personaler auf mehr oder minder passende Zeugnisse von bereits ausgeschiedenen Mitarbeitern zurück, aus denen sie eine neue Variante zusammenmixen, oder sie benutzen eine Software, die nach Eingabe von Schulnoten für bestimmte Kategorien die standardisierten Textbausteine ausspuckt. "Es besteht durchaus die Gefahr, dass Arbeitszeugnisse wie Bewerbungen auch austauschbarer werden, wenn sich alle nur an die Standardformulierungen halten und jede Individualität verloren geht", sagt Dirk Kempa, Consultant der Paola Klinger Personalberatung, Hannover.

Oft wird aber auch der Mitarbeiter aufgefordert, sich selbst sein Arbeitszeugnis zu schreiben: "Wir hören das immer wieder von Klienten", bestätigt Karriereberater Thomas Küpper, der unter www.karrierekick.de bei individuellen Karrierefragen hilft, so auch beim Erstellen von Arbeitszeugnissen.

Allerdings ist es gar nicht so leicht, die eigene Leistung und das Sozialverhalten zu bewerten. Mittlerweile beschäftigen sich darum zahlreiche Ratgeber mit dem komplexen Thema (siehe Kasten) und zeigen anhand von Beispielen, welche Bewertungen sich hinter den Formulierungen verstecken. Doch genügt es nicht zu wissen, dass ein Satz wie "Er/sie erledigte alle Aufgaben pflichtbewusst" auf die mangelnde Initiative des Mitarbeiters schließen lässt.

Zunächst sollte jedes qualifizierte Arbeitszeugnis Angaben zur Person, Tätigkeitsbezeichnung und Dauer der Beschäftigung enthalten. Die Aufgaben des Mitarbeiters werden beschrieben, um daraufhin seine Leistung beurteilen zu können. Schließlich wird auch sein Sozialverhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und bei Vertriebsmitarbeitern sowie gegenüber Kunden bewertet. Am Ende sollte der Vorgesetzte nicht nur das Ausscheiden des Mitarbeiters begründen, sondern entsprechend bedauern und mit Zukunfts- und Erfolgswünschen enden. "Es ist entscheidend, dass alle diese Elemente vorhanden sind", betont Karriereberater Küpper. "Ich habe schon Zeugnisse gesehen, die lasen sich bis zum Schluss hervorragend, aber dann fand sich keine Zeile des Bedauerns, was die ganzen vorherigen Aussagen in einem anderen Licht erscheinen lässt. Die fehlenden Zeilen sagen alles."

Auch Personalberater Kempa bestätigt, dass die Technik des Weglassens oft eine subtilere Bewertungsmethode darstellt als die so genannten Geheimcodes, die mittlerweile gar nicht mehr geheim sind, da sie jeder Interessierte in diversen Zeugnisratgebern nachlesen kann: "Wenn das Selbstverständliche besonders betont wird, Aufgaben, die nur entfernt mit der Tätigkeit zu tun haben, in den Mittelpunkt gerückt oder essentielle Aufgaben einfach nicht erwähnt werden, sind das auch Wege, jemanden negativ zu beurteilen." Wird etwa nur auf die Freundlichkeit und Pünktlichkeit eines Managers eingegangen, ohne wichtige Führungsfähigkeiten wie etwa Delegation von Aufgaben oder Motivation von Mitarbeitern zu berücksichtigen, ist die Bewertung eindeutig negativ.

Das Arbeitszeugnis einer Führungskraft sollte in jedem Fall auf die spezielle Qualifikation, die Personal- und Budgetverantwortung und vor allem auf die Erfolge des Betreffenden eingehen. Um die Bewertung individueller zu gestalten, kann auch versucht werden, den Charakter der Person zu beschreiben. "Es ist auch üblich, dass Führungskräfte statt eines Zeugnisses Referenzen (Aufsichtsrat, Kunden etc.) angeben, die auf Nachfrage die Leistung des Managers bescheinigen", erklärt Küpper.

In Zeugnissen für IT-Spezialisten kommt es darauf an, die Aufgaben entsprechend zu beschreiben. Dazu Küpper: "Der SAP-Spezialist sollte auch erwähnen, mit welchen Modulen er gearbeitet hat. Der Softwareentwickler soll auch auf Tools und Entwicklungsumgebungen eingehen." Allerdings sollten in einem zweiseitigen Zeugnis - so die Standardlänge - die Beschreibung der Qualifikationen und Aufgaben höchstens eine Seite einnehmen. Personalberater Kempa gibt noch folgenden Tipp: "Leider hält sich immer noch das Vorurteil, dass Softwareentwickler nicht über eine hohe soziale Kompetenz verfügen. Darum sollten gerade sie darauf achten, dass ihre sozialen Fähigkeiten im Zeugnis entprechend gewürdigt werden."

Betriebsbedingte Kündigung

Ein Zeugnisabschnitt, der angesichts vieler Firmenpleiten, betriebsbedingter Kündigungen oder Nichtverlängerung von befristeten Verträgen immer heikler wird, ist der Schlussteil, in dem der Grund des Ausscheidens genannt wird. Hier rufen beide Berater zu mehr Ehrlichkeit auf. "Wenn es schon in der Zeitung steht, dass die Firma Mitarbeiter entlässt, sollte auch im Zeugnis auf die betriebsbedingte Kündigung eingegangen werden. Schließlich ist das kein Malus für den Mitarbeiter", argumentiert Küpper. Der Ansicht ist auch Personalberater Kempa: "Man kann schreiben: Aufgrund der wirtschaftlichen Situation sah sich die Geschäftsleitung gezwungen, sich im Rahmen der Restrukturierung von zehn Prozent der Mitarbeiter zu trennen. Wichtig ist zu begründen, warum es genau diesen Mitarbeiter trifft (etwa aufgrund der Sozialauswahl) und damit zu schließen, wie sehr man sein Ausscheiden bedauert. Manchmal ist es besser, die Wahrheit zu schreiben als hier Geheimcodes wie "Man trennte sich im gegenseitigen Einvernehmen" zu benutzen, denn diese Codes werden oft verschieden interpretiert. Allerdings wollen viele Unternehmen gerade beim Punkt "Grund des Ausscheidens" nicht zu viele Informationen preisgeben."

Wichtige Informationsquelle

Es gibt also die unterschiedlichsten Möglichkeiten, ein Zeugnis im eigenen Sinn positiv zu gestalten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Aussagekraft Arbeitszeugnisse dann noch haben. "Auch wenn im Grunde genommen jeder spürt, dass viele Zeugnisse besser sind als der Mitarbeiter in Wirklichkeit war, haben sie immer noch viel Gewicht bei der Bewerbung", stellt Küpper fest. Schließlich lasse sich anhand von Arbeitszeugnissen der Erfolg in der eigenen Berufsbiografie dokumentieren. Für Personalverantwortliche gehören sie neben Anschreiben und Lebenslauf zu den Informationsquellen über den Bewerber, auf Basis derer er über Absage oder Einladung zum Vorstellungsgespräch entscheidet.

Buchtipp

Den Zeugniscode verstehen und richtig anwenden

Verschlüsselte Botschaften erkennen. Den Zeugniscode knacken. Zeugnis schreiben wird zum Kinderspiel. Mit solchen Botschaften wirbt so mancher Ratgeber zu Arbeitszeugnissen für sich. Einige Verlage bringen ihre gesammelten Tipps sogar im Pocket-Format heraus, um den Servicecharakter und die scheinbare Leichtigkeit des Themas zu unterstreichen.

Solche Vermarktungstricks braucht das Buch "Arbeitszeugnisse in Textbausteinen" von Arnulf Weuster und Brigitte Scheer nicht. Das 400-seitige Standardwerk des Professors für Personalwirtschaft und der Controllerin erscheint inzwischen in der neunten Auflage, steht bei vielen Personalverantwortlichen im Schrank und eignet sich vor allem für Leser, die sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzen wollen. Angefangen vom rechtlichen Anspruch über die Grundlagen der Wahrheits- und Wohlwollenspflicht bis hin zu Form, Inhalt und Aufbau beschreiben die beiden Autoren den Weg zum qualifizierten Arbeitszeugnis Schritt für Schritt.

Der größte Pluspunkt des Buches sind aber die Textbausteine, die auf 236 Seiten für jeden Zeugnisabschnitt und in den unterschiedlichsten Bewertungsniveaus aufgelistet sind: Ob man den Erfolg im Vertrieb oder in der Projektarbeit beschreiben oder die Führungsleistungen würdigen will, ob man Sozialverhalten gegenüber Kollegen oder Kunden bewerten möchte, nahezu für jede Situation geben Weuster und Scheer viele Vorschläge und kommentieren dabei auch, welcher Code hinter den Worten steckt. Selbst englische Textbausteine findet der Leser.

Wer sein Zeugnis selbst verfassen muss, ist mit diesem Handbuch gut beraten. Allerdings braucht der Leser Zeit: Nicht nur um sich in die Zeugnisthematik zu vertiefen, sondern auch um unter den über 3000 vorgeschlagenen Formulierungen die richtige für sich herauszufinden. Schließlich sollte am Ende ja kein Zeugnis nach Schema F herauskommen, sondern eine Bewertung, die der eigenen Leistung und Persönlichkeit gerecht wird.

Weuster, Arnulf und Scheer, Brigitte: Arbeitszeugnisse in Textbausteinen: Rationelle Erstellung, Analyse, Rechtsfragen, 9. überarbeitete Auflage, Stuttgart, Boorberg 2002, 400 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3-415-03003-2