Arbeitsphysiologen fordern Standards für SW-Oberflächen"Schlechte Standards sind immer besser als gar keine"

29.11.1991

BREMEN (hp) - Unter dem Begriff ergonomische Hardware assoziiert der Anwender sofort strahlungsarme Bildschirme, bequeme Bürostühle und praktische Tastaturen. Software behandeln die Ergonomen aber immer noch stiefmütterlich. Auf einer von Innoventa und ICL Data initiierten Veranstaltung in Bremen diskutierten Arbeitsphysiologen, Informatiker, Software-Ingenieure und Designer über die Frage, wie und mit wessen Hilfe sich dieser Mißstand beseitigen läßt.

Die Ergebnisse der Hardware-Ergonomen werden zu einem Teil schon in Normen und Richtlinien berücksichtigt. "Die Software bereitet hinsichtlich der Akzeptanz und Beanspruchung der Anwender die meisten Probleme", meint Helmut Krueger, Direktor des Instituts für Hygiene und Arbeitsphysiologie an der ETH in Zürich.

Sensorische Störungen treten sehr häufig auf

So seien mindestens die Hälfte der Beschwerden von Bildschirmmitarbeitern auf sensorische Funktionsstörungen und nicht etwa auf eine falsche Arbeitshaltung zurückzuführen. Ursache für diesen Mißstand seien Programme, die die Erkenntnisse der kognitiven Psychologie, also der Informationsverarbeitung durch den Menschen, vernachlässige.

Der Anwender kann auf den ersten Blick nicht mehr als sechs Felder auf dem Bildschirm aufnehmen. Selbst gegen diese relativ einfache Regel verstoßen viele Softwarehersteller.

Ergonomienormen bereiten Probleme

Krueger nennt die wichtigsten Faktoren, die bei der Softwarekonzeption berücksichtigt werden sollten:

- Typ des Benutzers (Neuling, seltener Benutzer, Experte),

- Anordnung und Darstellung der Information auf dem Bildschirm,

- Auswahl der für die entsprechende Tätigkeit wichtigen Informationen,

- Codierung in Hinblick auf die beschränkte Kanalkapazität des Selieng (Schlüsselloch-Sehen),

- Art der Kommunikation (Menü, Direktmanipulation),

- Navigationshilfen,

- Fehlerhilfen,

- Ausbildung, Übung.

Die Anzahl der Kriterien läßt auf die Schwierigkeiten bei der Herstellung benutzerfreundlicher Software schließen. Hinzu kommt, daß sich das ergonomische Wissen im Bereich der kognitiven Psychologie weniger in Maß und Zahlen fassen läßt als Hardwaredaten. Dies führt auch bei der Erstellung von Ergonomienormen im Softwarebereich zu Schwierigkeiten. Allein schon an der Frage, ob hier überhaupt Normen eingeführt werden sollen, schieden sich auf der Bremer Veranstaltung die Geister.

Während die Designer den Standpunkt vertreten, daß Standards kein kreatives Arbeiten mehr zuließen, argumentierten die DV-Spezialisten mit der Verwirrung der Anwender, die durch die verschiedenartigen Programmoberflächen hervorgerufen würde. "Allein schon die uneinheitliche Tastenbelegung führt zu Problemen, und dies vor allem an Arbeitsplätzen, wo es die Mitarbeiter mit einer Vielzahl von Programmen zu tun haben", kritisiert Günther Kellner, Leiter des Softwarebereiches bei der ICL Data GmbH, Auch Krueger vertritt die Meinung, daß eine Vereinheitlichung zu Arbeitserleichterungen führt: "Wir müssen auch bei der Software soweit kommen, daß das Gaspedal rechts und die Kupplung links liegt." Auf die Frage, wie denn solche Regelungen angesichts der ergonomisch unterentwickelten Programme eingeführt werden sollten, antwortet er: "Schlechte Standards sind immer noch besser als gar keine."

"Bei ergonomischer Hardware sind vor allem die Designer gefordert. Bei ergonomischer Software müssen Informatiker, Industrievertreter, Arbeitsphysiologen, Designer und Ergonomen zusammenarbeiten", erklärt Kellner. Meist werden Ergonomen und Designer zu spät - wenn überhaupt - in den Entwicklungsprozeß einbezogen. "Die Folge sind Software-Entwickler, die alles nur technisch Mögliche auf den Bildschirm bringen. Der Anwender hat dann mit einer überladenen Oberfläche zu kämpfen", kommentiert Kellner.

Bei der Software-Entwicklung sind zudem die speziellen Bedürfnisse der unterschiedlichen Benutzergruppen in der Software zu berücksichtigen. So wird das Bürokommunikationssystem vom Auszubildenden bis hin zu Mitgliedern der Geschäftsleitung von jedem Mitarbeiter benutzt, wobei der Ausbildungsstand, das persönliche Interesse und die Zielvorstellung stark differieren.