Arbeitslosigkeit ist die groesste Herausforderung Roland Berger entwirft Szenario zur Bewaeltigung der Strukturkrise

07.01.1994

MUENCHEN (hv) - Roland Berger, Gesellschafter der gleichnamigen Muenchner Management-Beratung, hat ein Konzept vorgestellt, mit dem Deutschland bis zum Jahr 2000 jaehrlich ein Wirtschaftswachstum von vier bis fuenf Prozent realisieren soll. Grundlegende strukturelle Veraenderungen und mehr Flexibilitaet koennten demnach zur Schaffung von sechs bis sieben Millionen neuer Arbeitsplaetze fuehren.

An der Grundvoraussetzung fuer einen wirtschaftlichen Neuanfang liess Berger keinen Zweifel: "Wir brauchen einen Wandel im Meinungsklima." Die Genesung der deutschen Wirtschaft haenge stark davon ab, ob eine technologiefreundliche Einstellung und hohe Leistungsbereitschaft vorhanden seien.

Um eine gesellschaftliche und politische Destabilisierung zu verhindern, muesse vor allem die Arbeitslosigkeit eingedaemmt werden. Westeuropa steuere 1994 auf eine Rekordarbeitslosenrate von zwoelf Prozent zu, auch in Deutschland werde die Quote bei mehr als elf Prozent liegen.

Von der Konjunktur her sei in dieser Frage keine Erleichterung zu erwarten - im Gegenteil, in den letzten vier Konjunkturzyklen habe sich die relative "strukturelle Sockelarbeitslosigkeit" jeweils fast verzehnfacht. Was also ist zu tun? Berger nennt als wichtigste Schrauben, an denen gedreht werden koenne, die Arbeitskosten, die Strukturinnovation der Wirtschaft und die Flexibilitaet.

Rund 1,5 bis zwei Millionen Jobs liessen sich hierzulande allein durch einschneidende Massnahmen zur Bewaeltigung der Arbeitskostenkrise schaffen. Dazu zaehlen nach Ansicht des konservativen Beraters vor allem unpopulaere Schritte, etwa Reallohnruecknahmen waehrend der Rezession oder ein Verzicht auf Reallohnsteigerungen in Westdeutschland, solange die wiedervereinigungsbedingte "Umverteilperiode" andauere. Tarifabschluesse haetten sich grundsaetzlich im Rahmen der Produktivitaetssteigerungen zu halten.

Berger empfiehlt ausserdem die Senkung der Lohnnebenkosten, indem Sozialausgaben mehr aus dem Steueraufkommen bezahlt und weniger dem Faktor Arbeit angelastet werden. Ferner sei die Entlohnung minderqualifizierter Arbeiten flexibler zu handhaben.

Die Wirtschaftsstrukturen lassen sich nach Ansicht des Top- Consultants in dreierlei Hinsicht optimieren: Erstens muesse das Wachstum der High-Tech-Industrien von 4,9 auf acht Prozent jaehrlich erhoeht werden. Zweitens sei der Anteil der Beschaeftigten im privaten Dienstleistungssektor von derzeit 43,7 auf 51 Prozent zu steigern. Und drittens muessten die Marktanteile des deutschen Exports in Asien und den Vereinigten Staaten deutlich zunehmen - naemlich von gegenwaertig 3,7 (Asien) beziehungsweise 5,2 Prozent (USA) auf den durchschnittlichen Anteil Deutschlands am Weltexport von 11,5 Prozent.

Schliesslich koenne durch mehr Flexibilitaet in allen Bereichen, besonders aber durch die Flexibilisierung der Arbeitszeiten die Quote der Teilzeitbeschaeftigten von derzeit 15,5 Prozent in Deutschland auf 20 Prozent erhoeht werden. Zum Vergleich: In Holland betraegt der Anteil laut Berger 34,4 Prozent, in Grossbritannien 23,2 Prozent und in Japan 19,5 Prozent.