Künftig eine Qualifikationsschere zwischen Wissensverwaltern und Wissensträgern

Arbeitslosigkeit für Ingenieure, kein Thema

13.02.1987

AACHEN - Entlassung statt Entlastung haben Ingenieure durch die Mikroelektronik nicht zu befürchten. In den Branchen Maschinenbau oder Elektrotechnik scheint der Job sogar überdurchschnittlich gesichert. Zwischen "Rädchen im Getriebe" und "Topmanager" versuchten Experten und angehende Ingenieure der TH Aachen einen kritischen Blick in die Zukunft Ihres Metiers zu werfen.

Das Schlagwort "menschenlos - papierlos - arbeitslos" über die Auswirkungen der DV in Betrieb und Verwaltung greift nicht, weil kritische Facetten das Selbstverständnis des Ingenieurs über Technik prägen: "Von einer Arbeitslosigkeit zumindest beim Maschinenbau und der Elektrotechnik kann nicht die Rede sein", stellte Klaus Henning, Professor im Fachbereich Maschinenbau an der TH Aachen, bei einer Podiumsdiskussion über das Berufsbild des Ingenieurs fest. Nach Untersuchungen an seiner Hochschule kämen derzeit in der Elektrotechnik auf einen Stellensuchenden etwa sechs offene Jobs, im Maschinenbau etwa zwei Positionen. Zudem weist die Elektrotechnik eine Arbeitslosenquote von 1,2 Prozent, der Maschinenbau etwas über das Doppelte und die restlichen Tätigkeitsbereiche sechs Prozent auf. Falsch sei es indes, diese Daten über den Bedarf an Ingenieuren zu verallgemeinern und nationale wie internationale marktwirtschaftliche Komponenten zu vernachlässigen, ergänzte Klaus Neef von der Technischen Universität Berlin auf dieser Veranstaltung, zu der die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Nordrhein-Westfalen,- Referenten aus Hochschule und Praxis geladen hatte.

Status, Berufsbild sowie Arbeitssituation haben sich für den Ingenieur indes geändert. Leistungsdruck und Streß kennzeichneten derzeit seinen Arbeitsplatz, zitierte der Referent aus Berlin Ergebnisse aus seinen Forschungsstudien. Zum "Ideenlieferanten auf Kommando" sind etwa 20 Prozent der Ingenieure geworden hauptsächlich graduierte Kräfte. Sie erleben - "als Objekt von Rationalisierungen" - eine sich verschlechternde, restriktive Berufssituation; rund 40 Prozent der Ingenieure, vielfach mit dem Diplom ausgestattet, befinden sich dagegen in einer "relativ freien Arbeitssituation". Sie können ihre Aufgabenstellungen selbst organisieren und anderen Erfüllung mitbestimmen. Vor allem die Segmente Forschung und Entwicklung wie auch Informatik zählen zu diesen privilegierten Bereichen. Ein großer Teil an Ingenieuren befinde sich in einer Zwischenstellung.

Praxisschock; als erste Berufserfahrung

Doch Klagen über den Umgang mit CAD-Systemen - derzeit -an sechs bis zehn Prozent der Arbeitsplätze hierzulande installiert - mehren sich, bestimmt doch die Eigendynamik der Technik den Arbeitsrhythmus, und Routineaufgaben behindern die persönliche Entfaltung.

Mit einer gewandelten Aufgabenstellung in betriebsübergreifende DV-Systemen wächst zugleich eine neue Konkurrenz - wie technische Zeichner oder Facharbeiter - selbst für den "Dipl.-Ing." heran. Datenspeicher und Bildschirm ersetzen dann zunehmend Empirie: Die Qualifikationsprofile schichten sich um, hin zu abstraktem Denken und weg von dem klassischen Element der ingenieurmäßigen Erfahrung. Künftig klaffe bei Ingenieuren, skizziert Maschinenbau-Kybernetiker Henning, eine Qualifikationsschere zwischen den Wissensverwaltern sowie den Entscheidungsträgern im Bereich Technik.

Die Aufgabe der Hochschule ist für ihn eindeutig. Sie bereitet den Ingenieur auf die Sachbearbeiterebene im Unternehmen vor. Dort erfüllt er die Funktion des benötigten Wissensträgers, nicht als Rädchen im Getriebe, sicher auch nicht als Topmanager per sein; denn Vakanzen seien ohnehin mehr als rar.

Mangel zeige sich an anderer Stelle - beim "Praxisschock". Der Grund: fehlende Erfahrungen und Kenntnisse im Bereich Wirtschaftswissenschaften, aber auch über soziale Prozesse, neben dem noch nicht erworbenen Geschick, mit technischem und Verwaltungspersonal umzugehen. Fachliche Mängel trügen fast nie dazu bei.

Wollten sich Studenten und Studentinnen kritisch mit Studieninhalten und der späteren Berufstätigkeit auseinandersetzen, bedürfe es nicht immer einer langfristig angelegten Studienreformmaßnahme. Vor allem sei eine "möglichst frühzeitige Konfrontation mit der beruflichen Praxis" - auch über ein Industriepraktikum - hinaus nötig. Doch Chancen würden hier häufig vergeben, beklagte Henning. Auch seien, seit Mitte der 70er Jahre, Prüfungsordnungen in der Diskussion, Studienangebote für eine sozialverträgliche Technik zu nutzen.

Denn lange Studienzeiten erzeugten nicht mehr unbedingt ein Negativbild über Bewerberqualitäten. Zwar wird in Stellenofferten "der junge Mitarbeiter" gesucht, beschreibt Henning eine Diskrepanz auf dem Personalmarkt, dennoch stellen die Unternehmen auch Studenten mit einer Studiendauer von über sieben Jahren ein - bei Maschinenbau der Mittelwert -, wenn sie durch Jobbing eine "studienbegleitende Berufsqualifizierung aufweisen können. Produktspezifisches Fachdenken an Universitäten behindere noch das künftig geforderte Systemdenken. "Fähigkeiten zum Pauken und Lernen gibt die Uni dem Studenten zwar mit", so Wolfgang Neef, doch überlebensfähig bliebe er in seinem Beruf eben nur, wenn er auch komplexe Probleme analysieren und lösen könne.

Trend zum Senior mit Feuerwehrqualifikation

Nach einem Drittel der Lebensarbeitszeit nähert sich der Ingenieur allerdings schon kritischen Werten, war ein Ergebnis der Diskussion. So zählen Ingenieure ab 40 Jahren bereits zu den - laut Terminus der Arbeitsvermittlung - "schwer vermittelbaren Berufsgruppen". Die Schwierigkeit, nach einer Zeit ohne Arbeit wieder einen Job zu finden, hat zwei Gründe: zum einen mangelnde Weiterbildung über aktuelles technisches Wissen - hervorgerufen durch Zeit- und Leistungsdruck, aber auch durch Ignoranz Verantwortlicher, wie Praktiker auf dem Podium bescheinigten -; zum anderen nachdrängende, fundiert ausgebildete Ein- und Umsteiger, etwa der qualifizierte Facharbeiter. "Bisher besonders schwierig", so Beobachtungen von Klaus Henning, "ist es für den hochqualifizierten 50jährigen Ingenieur." Seit kurzem sei indes ein deutlicher Trend zum älteren Mitarbeiter und nicht zum "Überflieger" erkennbar. Denn gerade diese "Senioren" hätten mit ihrer traditionellen Erfahrung jene "Feuerwehrqualifikation" , die nötig wäre, wenn etwas durch die DV schiefgehe.