Arbeitslosigkeit durch Technik - Kehrseite des Fortschritts

02.11.1984

Spätestens seit dem Streik für die 35-Stunden-Woche müßte klargeworden sein: Die harte Kontroverse um die Auswirkungen neuer Techniken auf die Arbeitsplätze in der Güter- und Dienstleistungsproduktion steht künftig im Zentrum der Finanz-, Technologie-, Wirtschafts-, aber auch Tarifpolitik. Im Kern geht es um die Frage: Werden die bei der Anwendung neuer Techniken in der Produktion vernichteten Arbeitsplätze durch die Ausweitung technisch neuer Investitionsgüter und Produkte des Endverbrauchs überkompensiert?

Wachstumsoptimisten hoffen auf die selbstheilende Expansionskraft der Märkte im In- und Ausland. Sie soll in der Lage sein, die Arbeitsplatzvernichtung beim Einsatz neuer Techniken durch veränderte Produktions- oder Beschäftigungsfelder zu überflügeln. Diese altbekannten Fürsprecher jener reinen Lehre, die daran glaubt, die Marktkräfte würden sich wieder einmal - im Münchhausen-Effekt - am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen, treffen sich verständlicherweise in diesem Lager. Läßt man den Markt, am besten weltweit, wirken, dann werden auch, so der Schwur, technikbedingte Probleme der Arbeitslosigkeit abgeräumt. Die Jobkiller-Wirkung neuer Techniken versinkt nach dieser frohen Botschaft unter der Flut neugeschaffener Arbeitsplätze. Die Bundesregierung vornweg der Bundespostminister als Promotor neuer Kommunikationstechnologien, Industrieverbände, aber auch die Mehrheitsfraktion des "Rats der fünf Weisen" setzen auf diese beschäftigungsoptimistische Hoffnung. Der Hartnäckigkeit einer solchen Behauptung steht der absolute Mangel ihrer wissenschaftlichen Absicherung gegenüber. Nicht einmal der "Sachverständigenrat" hat über Modellrechnungen die Beschäftigungswirkungen angewandter neuer Techniken untersucht. Dieser Glaube an das marktwirtschaftliche Zauberwerk verschüttet die Notwendigkeit, die Durchsetzung neuer Techniken als gesamtwirtschaftliche und damit politische Gestaltungsaufgabe wahrnehmen. Nicht strategische Handlungsorientierung, sondern das altbekannte "Muddling-through" mit den unvermeidbaren sozialen Kosten dominiert.

Die Kritiker dieser "Laisserfaire"-Auffassung, vor allem in Kreisen um die Gewerkschaften, beschreiben mit guten Argumenten das Gespenst technischer Arbeitslosigkeit. In den alten Bahnen der einzelwirtschaftlichen Durchsetzung neuer Techniken lauert eine gigantische Arbeitsplatzvernichtung, denn entsprechende Kompensationsmechanismen wirken von sich aus unzureichend. Arbeitslosigkeit wird damit zur Kehrseite des technischen Fortschritts. Wen wundert es da, daß angesichts derartiger Folgewirkungen die "Technikfeindlichkeit" zunimmt.

Drastischer Anstieg der Arbeitslosigkeit

Die Voraussetzung, solche Hemmnisse zu überwinden, bildet eine gesamtwirtschaftlich rationale Gestaltung der wirtschaftlichen Durchsetzung neuer Techniken. Noch schlägt die technisch bedingte Arbeitslosigkeit nicht voll durch. Untersuchungen belegen jedoch eine kontinuierliche Rationalisierung auch in den Jahren wirtschaftlicher Rezession. Eine "Vergreisung" des Kapitals fand in den letzten Jahren nicht statt. Vielmehr zeigt sich ein technischer Gärungsprozeß, der demnächst die Arbeitslosigkeit drastisch ansteigen lassen wird. Bis in die neunziger Jahre ist nach zahlreichen Prognosen eine weitere Öffnung der "Produktions/Produktivitäts-Schere" vorprogrammiert: Der Anstieg der Produktivität einer Erwerbstätigenstunde, durch kontinuierlich Rationalisierungsanstrengungen gesichert, wird über der Rate des wirtschaftlichen Wachstums liegen.

Also: Ohne aktive Beschäftigungspolitik steigt zwangsläufig die Arbeitslosigkeit. Um aber das Phänomen technisch bedingter Arbeitslosigkeit besser beschreiben zu können, müssen die beschäftigungsspezifischen Wirkungen einzelner Technikkomplexe in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen zusätzlich abgeschätzt werden.

Millionen bedroht

Die von den Kompensationsoptimisten beschworenen Auffangbecken für die Arbeitsplatzvernichtung bei Anwendung neuer Techniken funktionieren unzureichend:

Der Dienstleistungssektor unterliegt selbst dem Prozeß gigantischer Rationalisierung. Neue Kommunikationstechniken bedrohen allein rund 2,5 Millionen Arbeitsplätze unmittelbar. Darüber hinaus wird der öffentliche Dienstleistungssektor im Rahmen restriktiver Haushaltspolitik abgeschmolzen. Dieser Kompensationssektor der letzten zwanzig Jahre wird somit immer enger.

Bei der Herstellung neuer Techniken entstehen nicht genügend neue Arbeitsplätze, denn dabei werden die Rationalisierungspotentiale ebenfalls ausgeschöpft.

Neue Arbeitsplätze bilden sich durch expansiven Export neuer Produkte wegen internationaler Konkurrenz und der ökonomischen Lage der jeweiligen Importländer kaum Es kann als gesichert gelten, daß die Exportexpansion, die zur Schließung der Arbeitsplatzlücke erforderlich wäre, nicht realistisch ist.

Die Ausweitung des privaten und öffentlichen Endverbrauchs mit neuen Produkten, Videogeräte im privaten Haushalt etwa, hängt vor allem: Soll der Entwicklung der Masseneinkommen oder Steuerkraft der öffentlichen Haushalte ab.

Aus dem letzten Argument wird ein zentraler Zusammenhang sichtbar: Soll die binnenwirtschaftliche Nachfrage nach Produktinnovationen gesichert werden, dann muß auch eine Politik der Einkommensumverteilung umgesetzt werden.

Aktive Lohnpolitik

Wie sollen die technisch hocheffizienten Produktionsaggregate ausgelastet werden, wenn nicht gleichzeitig die Einkommen dort hinfließen, wo Bedarf ist. Produktinnovationen können zu einer besseren Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung führen.

Voraussetzung dafür ist die Sicherung von Einkommen, um die kaufkraftfähige Nachfrage zu garantieren. Aktive Lohnpolitik wächst zu einem wichtigen Instrument der Kompensation von Arbeitsplatzvernichtung. Paradoxerweise ist dieser Kompensationsmechanismus durch den absoluten Rückgang der Netto-Reallöhne seit 1980 in Zeiten wachsender Rationalisierung ausgehebelt worden. Aber auch öffentliche Produktionsfelder einer Politik qualitativer Wachstumspolitik - Umwelt, Energiesicherung, Sozialinvestitionen - müssen erschlossen, eine Stärkung der Finanzkraft verlangt werden.

Technik muß kein Alptraum sein

Die große Chance der ökonomisch verwerteten neuen Techniken liegt darin, daß eine derart bedarfsorientierte Umweltverteilung der Einkommen prinzipiell möglich ist. Die Rationalisierung der Privatwirtschaft schafft wichtige Entwicklungsspielräume. Um die Möglichkeit aber Wirklichkeit werden zu lassen, bedarf es einer aktiven gesamtwirtschaftlichen Gestaltung neuer Techniken. Die menschenleere Fabrik muß kein Alptraum sein. Vielmehr kann sie als Erfüllung des alten Menschheitstraums, qualitative Versorgung mit wenig Arbeit zu ermöglichen, interpretiert werden. Sie wird nur dann zum Schreckgespenst, wenn sie unternehmerische Rationalisierungsgewinne einbringt, während die Arbeitslosigkeit und mit ihr die soziale Not wächst.

Vorausschauende Gestaltung gegen sozialen Rückschritt

Was die neuen Techniken im Prinzip möglich machen verlangt eine aktive Gestaltung: Technisch realisierbare Arbeitszeitverkürzung bei Umverteilung der Einkommen zur Sicherung konsumtiven und öffentlichen Bedarfs. Das marktwirtschaftliche Regelsystem vermag allein - und schnell wirksam - diese Chancen nicht Wirklichkeit werden lassen. Die Lösung aktiver Gestaltungsaufgaben verhindert daß sich der technische Fortschritt in Arbeitslosigkeit und damit sozialem Rückschritt niederschlägt: wohl auch die beste Voraussetzung für den Abbau bisher verständlicher Technikfeindlichkeit.