Arbeitslose Akademiker finden den Weg in die IT

Arbeitslose Akademiker finden den Weg in die IT Von der brotlosen Kunst zu Microsoft und Co.

15.01.1999
Von Ingrid Weidner Quereinsteiger haben gute Chancen, eine der schätzungsweise 100000 freien Stellen in der IT-Branche zu ergattern, wenn sie über fundierte DV-Kenntnisse verfügen. Nur: Wie lassen sich Arbeitgeber überzeugen, einen talentierten Geisteswissenschaftler als Systemverwalter einzustellen?

Ein anerkanntes Zertifikat oder fundierte Berufserfahrungen ebnen immer mehr Quereinsteigern den Weg in die Informationstechnologie. In sechs Monaten kann man sich zum Beispiel bei den Ditec-Bildungszentren zum Microsoft Certified Systems Engineer (MCSE) qualifizieren. Eine Besonderheit ist die hundertprozentige Jobgarantie für alle Absolventen im vergangenen Jahr. Momentan gibt es Überlegungen, dieses Versprechen auch für 1999 gelten zu lassen. Die künftigen Systemingenieure können sich ihren neuen Arbeitgeber meist aussuchen, denn Angebote gibt es dank des hohen Personalbedarfs viele.

Entsprechend viele Interessenten fragen bei Ditec an. Allerdings sind verschiedene Hürden zu überwinden, bevor das Pauken beginnen kann. Entscheidend sind Qualifikation und in noch höherem Maß Motivation. Margot Koch, Projektleiterin für die MCSE- Qualifizierung in München, schaut sich die Bewerber in einem einstündigen Gespräch genau an und entscheidet sich dann. Gewisse Vorkenntnisse sollten vorhanden sein, das Alter ist dagegen sekundär. Auf jeden Fall müssen die Teilnehmer einen enormen Leistungsdruck aushalten und dürfen das Lernklima in der Gruppe nicht gefährden.

In der Regel besitzen alle Kenntnisse in einem Betriebssystem, einer Programmiersprache und in Anwendungen. Da die Seminarunterlagen zum Teil Originalmaterial von Microsoft sind, müssen die Teilnehmer auch fit in Englisch sein. Finanziert wird der bis zu 15000 Mark teure Kurs meist durch das Arbeitsamt und den Berufsförderungsdienst der Bundeswehr. Mittlerweile zahlen aber etwa zehn Prozent der MCSE-Schüler selbst und nehmen dafür teilweise sogar einen Kredit auf, erhoffen sie sich doch durch die Qualifikation einen lukrativen Job.

In den 25 Wochen Vollzeitunterricht müssen sie neben den sechs Microsoft-Prüfungen noch drei zusätzliche absolvieren, denn Ditec unterrichtet und prüft sie im Betriebssystem Unix, der kostenlosen Unix-Version Linux, der Programmiersprache Visual C++ und in Oracle-Datenbanken.

Die Chancen für Quereinsteiger schätzt Rainer Fritsch von der Software AG in Darmstadt aufgrund des großen Bedarfs als gut ein. Diplominformatiker interessierten sich in erster Linie für Software-Entwicklung und Projektarbeit. Allerdings gebe es viele weitere interessante und teilweise auch einfachere Tätigkeiten im DV-Bereich von großen Unternehmen, für die Quereinsteiger vermehrt herangezogen werden.

Die Software AG hat in Darmstadt zusammen mit dem Arbeitsamt ein Modellprogramm gestartet, das einen anderen Weg der Qualifikation geht. Die Zielgruppe sind geeignete arbeitslose Akademiker. Entscheidend sind Motivation und nicht das Studienfach. Die Informationstechnologie ist für viele Neuland, die 16 Teilnehmer erhalten darum eine fundierte DV-Schulung.

Räume, Ausstattung und Trainer stellt die Software AG, das Arbeitsamt zahlt für den Lebensunterhalt der Teilnehmer. Durch die Inhouse-Schulung ist der Praxisbezug während der Ausbildung gegeben, beide Seiten lernen sich bei der täglichen Arbeit kennen. Der sechsmonatige Kurs schult theoretische wie praktische Fertigkeiten. Zwar wünscht sich die Software AG, daß möglichst viele Teilnehmer im Unternehmen bleiben, allerdings sind sie nicht dazu verpflichtet. Fritsch ist mit den Ergebnissen des Pilotprojektes sehr zufrieden. Momentan wird über eine Fortsetzung nachgedacht, denn dieses Qualifizierungsmodell ließe sich auch in anderen Abteilungen und Bereichen umsetzen.

MCSE-Kurs oder unternehmensinterne Qualifizierung - solche Möglichkeiten sind zwar nicht für jeden arbeitslosen Akademiker die perfekte Lösung, eröffnen aber neue Perspektiven. Ob die erlernten Kenntnisse ausreichen, entscheidet die Praxis. Wenn die erste Freude über den neuen Job dem Arbeitsalltag Platz gemacht hat, wird vielen Quereinsteigern klar, daß dann erst die eigentliche Arbeit beginnt: Jetzt müssen sie beweisen, daß sie ihre Chance zu nutzen wissen.