Medizinische Informatik bietet neue Berufsperspektiven

Arbeitslose Ärzte entdecken attraktive Chancen in der DV

02.11.1990

MÜNCHEN (hp) - Im März letzten Jahres startete die Weiterbildungsmaßnahme "Medizinische Informatik" in München. Die Initiative war recht erfolgreich: Alle 24 teilnehmenden Ärzte der vom Institut ISP Data durchgeführten und vom Arbeitsamt geförderten Maßnahme haben inzwischen einen Arbeitsvertrag in der Tasche.

Die theoretische Ausbildung der Ärzte dauert insgesamt 50 Wochen, danach folgen 20 Wochen Praktikum in Münchner Kliniken. Themen der Weiterbildung sind unter anderem: Klinik-Informationssysteme, Biosignalverarbeitung, Expertensysteme, Betriebssysteme, SQL, Pascal, C und Betriebswirtschaftslehre für das Krankenhaus. Kann der Teilnehmer zwei Jahre Klinikpraxis nachweisen, darf er die Zusatzbezeichnung "Medizinische Informatik" verwenden. Dies wurde zusammen mit der Bayerischen Landesärztekammer vereinbart.

Die Weiterbildung fand in dieser Form erstmals in München statt. Andere Initiatoren in der Bundesrepublik, die ähnliche Kurse anboten, konnten nicht genug Interessenten aus der zukünftigen Ärzteschaft gewinnen, so Manfred Rademacher, Direktor des Münchner Arbeitsamtes. Seine Erklärung: "Die Ärzte haben Medizin studiert, um Patienten zu behandeln. Die Umstellung auf Informatik fällt vielen schwer. Das ist zwar verständlich, aber angesichts der Arbeitslosigkeit unter den Ärzten werden viele umdenken müssen."

In der Bundesrepublik finden durchschnittlich 75 Prozent der Teilnehmer von Weiterbildungsmaßnahmen sofort danach eine Anstellung. Wie das Ergebnis der Münchner Medizinerausbildung zeigt, haben ausgebildete Ärzte mit der Zusatzqualifikation Informatik auf dein Arbeitsmarkt gute Chancen.

Im Krankenhaus werden Mitarbeiter gebraucht, die nicht nur im medizinischen Bereich Bescheid wissen, sondern sich auch gut mit Informationstechnik auskennen. Ein rein theoretisch orientierter Programmierer wäre im Krankenhaus überfordert, da ihm grundlegende Kenntnisse zur Auswertung von medizinischen Daten fehlen.

Grund für die gestiegene Nachfrage nach medizinischen Computerexperten ist der verstärkte DV-Einsatz in Krankenhäusern. Die Informationstechnik wird dabei nicht mehr nur in der Verwaltung eingesetzt, sondern zunehmend auch in der internen Termin- und Organisationsplanung sowie zur Erstellung von statistischen Daten. "Dabei ist es für einen Arzt ein, fächer, sich in die Informatik einzuarbeiten, als umgekehrt. Das liegt zum Teil auch an der Halbwertzeit des Wissens. Die medizinischen Kenntnisse sind länger aktuell und verwertbar als dies in der DV der Fall ist", meint Manfred Schnabel vom Klinikum Rechts der Isar.

DV als Notnagel für Mediziner

DV-Wissen wird allenthalben als Allheilmittel gegen Arbeitslosigkeit angepriesen. Wenn man den diversen Instituten Glauben schenkt, so ist jeder, der eine wie immer geartete DV-Ausbildung absolviert hat, seine Berufssorgen ein für allemal los. Die DV-Ausbilder locken mit ihren rosigen Prognosen viele Interessierte an.

Kein Wunder, denn im Arbeitsmarkt hat sich einziges getan. Konnten sich die Arzte noch vor wenigen Jahren auf ihrem Standesdünkel ausruhen, so gehören sie jetzt zur Stammkundschaft des Arbeitsamtes. Aber auch für die Halbgötter in Weiß gibt es jetzt ein Angebot aus der bunten Welt der Weiterbildung: der medizinische Informatiker. Die Kur ist verlockend, die Vermittlungsquote von 100 Prozent vielversprechend. Für wie viele Ärzte diese Nische in Frage kommt, bleibt allerdings abzuwarten. Es ist doch ein gewaltiger Unterschied, Patienten zu behandeln oder sich mit Bits und Bytes herumzuschlagen. Und nicht jeder Mediziner ist bereit, sich von der Blutzirkulation auf elektronische Schaltkreise umzustellen. hp