Computerexperten tun sich schwer mit Gewerkschaften

Arbeitnehmervertreter auf Schmusekurs mit DV-Profis

29.08.1997

Die neueste Offensive in Richtung Mitgliedergewinnung startete jetzt die IG Metall in Frankfurt. Mit einem zunächst auf fünf Jahre befristeten Projekt will die Gewerkschaft gezielt im Rhein-Main-Gebiet um die 27 000 in der Region beschäftigten IT-Profis werben. Mit dem bisherigen Organisationsgrad von zehn Prozent will sich die IGM nicht länger zufriedengeben. Bezirkssekretär Rainer Gröbel: "Die Zeit ist reif. Immer mehr DV-Fachleute klagen über erhöhte quantitative Arbeitsanforderungen bei unverändert hohem Qualitätsstandard."

Den IT-Beschäftigten würden zunehmend Überstunden, Wochenendarbeit oder Schichtarbeit abverlangt. Gleichzeitig würden Berufseinsteiger zu wesentlich geringeren Gehältern eingestellt, als dies noch vor ein paar Jahren der Fall war. Gröbel kritisiert: "Die Arbeitsanforderungen sind inzwischen so hoch geschraubt worden, daß kaum Zeit für die gerade in dieser Branche so wichtige Qualifikation bleibt. Die Betriebsräte stehen unter Druck und fragen uns verstärkt um Rat."

Mit diesem Projekt wollen die hessischen Gewerkschafter den Erfahrungsaustausch untereinander sowie die gewerkschaftliche Durchsetzungskraft in der IT-Branche insgesamt verbessern. Am Ende des Projekts möchten die IG Metaller möglichst viele neue Mitglieder gewonnen sowie einen Tarifvertrag vereinbart haben. Dies könnte in der Branche häufig auf einen Firmentarifvertrag hinauslaufen, da relativ viele Unternehmen nicht im Arbeitgeberverband vertreten sind. Gröbel: "Wenn wir mit unserem Rhein-Main-Projekt Erfolg haben, kann es in naher Zukunft Vorbild für die IT-Branche in Düsseldorf, München und Stuttgart sein."

Lediglich jeder fünfte Computerprofi ist in einer Arbeitnehmervertretung organisiert. IT-Experten neigen dazu, ihre Arbeitnehmerinteressen individuell zu vertreten. Daß der Organisationsgrad überhaupt 20 Prozent beträgt, haben die Gewerkschaften dem Umstand zu verdanken, daß einige Hardwarefirmen mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten.

In der Softwarebranche gehören nur drei bis vier Prozent der Beschäftigten einer Gewerkschaft an. Dementsprechend läßt sich das Verhältnis der DV-Fachleute zu Arbeitnehmervertretungen durchaus als getrübt bezeichnen. Es schwankt zwischen Desinteresse und vollkommener Ablehnung.

Umworben werden die Computerexperten gleich von mehreren Organisationen: der IG Metall, der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) sowie der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG). Doch die Not, neue Mitglieder gewinnen zu müssen, macht aus sonst erbittert um jedes Mitglied kämpfenden Konkurrenten ab und an auch Partner.

So forderten im Jahr 1995 Vertreter der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG), der Gewerkschaft Handel, Banken Versicherungen (HBV), der IG Metall sowie des Netzwerkes Arbeitswelt Informatik (NAI) die Arbeitgeber in einer gemeinsamen Erklärung auf, die IT-Profis "verstärkt auszubilden anstatt zu entlassen".

Die Arbeitnehmervertreter kritisierten, daß die Unternehmen nach der Ex-und-hopp-Methode handelten, indem sie die Qualifikation der Beschäftigten so lange nutzen, wie sie verwertbar sei, um sich dann wieder von den angeblich nicht genügend qualifizierten Mitarbeitern zu trennen. IG-Metaller Siegfried Balduin erklärte damals: "Diese Vorgehensweise ist teuer und bringt eine ganze Menge Unruhe in die Betriebe."

Im vergangenen Jahr wiederum gingen sowohl die HBV als auch die IG Metall in die Offensive. Beide Gewerkschaften - dieses Mal jedoch jede für sich - präsentierten Tarif- und Gehaltsdaten für die Computerprofis. Die Gehaltsrahmen, die als Unterstützung für die DV-Spezialisten und Betriebsräte in DV-Firmen gedacht sind, unterscheiden sich in einigen Punkten deutlich. Um nur ein Beispiel zu nennen: Während bei der IBM die 35-Stunden-Woche zugrunde liegt, hat sich die HBV auf 38 Stunden festgelegt.

Auf der schwierigen Suche nach Eckdaten

Kernstück der von den Arbeitnehmervertretern entwickelten Eckpunkte sind Gehaltsgruppen, die Berufe und Positionen von der Datentypistin bis zum Senior- Systemanalytiker zum Inhalt haben. Die Gehaltsrahmen der einzelnen Tätigkeiten sind ebenfalls sehr unterschiedlich. Kein Wunder, daß die Gehaltsoffensive der beiden Gewerkschaften nicht bei allen Betriebsräten gut ankam. Der Vertreter eines Softwarehauses, der nicht genannt werden will, moniert: "Viele unserer Kollegen verstehen den Konkurrenzkampf zwischen den Gewerkschaften sowieso nicht, und jetzt beißt man sich auch noch an unterschiedlichen Gehaltsindizes fest."

*Ina Hönicke ist freie Jornalistin in München.