Fachkräftemangel im Quantencomputing

Arbeitgeber müssen interessante Kursangebote entwickeln

06.06.2023
Von 

Von Dr. Martin Matzke, Head of Division Big Data and Security, Central Europe, bei Atos

Die zukünftigen Quantencomputing-Experten büffeln noch in der Uni, doch Fachkräfte werden jetzt gebraucht. Lesen Sie, wie Unternehmen mit den richtigen Bildungsangeboten gegensteuern können.
Die Zeit drängt - der Fachkräftemangel ist auch im Bereich des Quantencomputing längst akut.
Die Zeit drängt - der Fachkräftemangel ist auch im Bereich des Quantencomputing längst akut.
Foto: Gunay Rahimova - shutterstock.com

Der Mangel an gut ausgebildeten und praxiserfahrenen Experten und Expertinnen wird die Entwicklung des Quantencomputing entscheidend hemmen. Dies sei der "Quantum Bottleneck" - so jedenfalls lautet das Urteil der Qureca, einem britischen Anbieter von Bildungsservices rund um die Quantentechnologie. Die EU setzt dem das Projekt QTEdu entgegen, das Profile und Leitlinien für die Ausbildungen entwickelt. Weil es jedoch zu lange dauert, bis Studenten die immer zahlreicher werdenden Studiengänge absolviert haben werden, ist auch die Industrie gefragt, entsprechende Bildungsangebote aufzusetzen.

Dass Quantencomputing längst kein Nischenthema mehr ist, beweisen nicht nur die zahlreichen Förderprogramme von Landesregierungen und der EU. Darüber hinaus haben sich bereits zahlreiche Industrie-Konsortien gebildet. Vor allem größere Tech-Unternehmen investieren in die Weiterentwicklung und - was vielleicht noch wichtiger ist - in die Nutzbarmachung der Quantentechnologie.

Weltweit 40 Hochschulen mit Quantencomputing-Abschluss

Der Bedarf an Know-how spiegelt sich indes in den Studienangeboten vieler Universitäten und Fachhochschulen wider: In ihrem "Review of global Quantum Education Initiatives" aus dem Jahr 2022 listet Qureca (Quantum Ressources and Careers) 40 Universitäten weltweit auf, an denen Studenten ihren Master in Quantum Science and Technology machen können.

Das Unternehmen hat sich der Entwicklung von Arbeitskräften für die Quantentechnologie-Branche verschrieben und gibt in dem Bericht einen Überblick über die weltweit existierenden Bildungsangebote - von akademischen Studiengängen über Weiterbildungskurse für Berufstätige bis hin zu Konferenzen, Workshops und Hackathons. Bisher handeln hier alle Anbieter eher nach eigenen Maßgaben, was es Menschen, die sich qualifizieren wollen, schwer macht, den richtigen Weg zu finden.

Auch die EU wird aktiv

Die EU hat indessen die Herausforderung erkannt und wird ihrerseits aktiv: Das QTEdu-Projekt (Quantum Technology Education) wurde im Rahmen des EU Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 ins Leben gerufen. Es unterstützt das "European Quantum Flagship" - eine langfristig angelegte und finanziell gut ausgestattete Initiative der EU, die Europa in Führungsposition in Sachen Quantentechnologien bringen soll - um akademisches und industrielles Engagement näher zusammenzubringen.

Im Fokus stehen dabei die verschiedenen Bildungsangebote: In Arbeitsgruppen werden die Anforderungen an verschiedene Bildungsmöglichkeiten erarbeitet, je nachdem, ob diese beispielsweise eher der Information der breiten Öffentlichkeit dienen sollen, akademischer Natur sind oder als lebenslange, berufsbegleitende Weiterbildung zählen.

Erstes "Papier" zu Quantum-Kompetenzen erschienen

Bereits Mitte 2021 veröffentlichten die QTEdu-Experten ein "Competence Framework for Quantum Technology" (Die Version 2.0 dieses Frameworks erschien dieses Jahr im April, passenderweise am World Quantum Day). Dies ist eine Art Landkarte, die die benötigten Kompetenzen und Rahmenbedingungen für zu entwickelnde Bildungsangebote beschreibt. Damit werden eine einheitliche Grundlage und Sprache geschaffen, die die künftige Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Beteiligten vereinfacht. Darauf baut der im letzten Jahr veröffentlichte Bericht "Qualification Profiles for Quantum Technology" auf.

Er gibt Empfehlungen, welche Kompetenzen Quantumexperten bestimmter Bereiche erlernen sollten. So empfiehlt es sich beispielsweise für einen Quantum Hardware Engineer, sich vor allem mit den Quantenkonzepten, den physikalischen Grundlagen und den Technologien, die Quantencomputing ermöglichen (z. B. Optical and Solid State Technologies, Hardware und Sensoren), zu beschäftigen. Ein Quantum Computing Software Engineer hingegen sollte seinen Fokus eher auf Algorithmen, Programmiersprachen, Quantengatter, Fehlerkorrektur und Simulation legen. So entsteht ein allgemeingültiger Rahmen für die Aus- und Weiterbildung von Quantenfachleuten mit verschiedenen Spezialisierungen.

Entweder oberflächlich oder in wissenschaftlichen Untiefen

Doch die Zeit drängt - der Fachkräftemangel ist auch im Bereich des Quantencomputing längst akut. Bis gut ausgebildete Studenten von Hochschulen kommen, vergehen noch Jahre. Somit sind die Unternehmen gefragt, weitere Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Dafür sprechen, neben der Geschwindigkeit, noch mehrere Gründe: Mitarbeiter mit Berufserfahrung können so begleitend zum Beruf in die Materie einsteigen und das Unternehmen ist nicht auf Neueinstellungen angewiesen.

Sind solche Kurse modular aufgebaut, kann die individuelle Vorbildung berücksichtigt werden: Jemand, der Physik studiert hat, braucht andere Kursinhalte als ein IT-Administrator. Ein Mathematiker bringt andere Vorkenntnisse mit als ein Software-Engineer. Außerdem können Unternehmen mit eigener Weiterbildungsinitiative den Fokus auf ihre Branche, mögliche Use Cases und die eigenen Produkte legen.

Firma muss eigenen Lehrplan entwickeln

Letzteres war auch eines der Hauptziele von Atos. Mit der Quantum Learning Machine (QLM) bietet der Cloud- und High-Performance-Dienstleister eine Plattform an, auf der sich eine Quantenumgebung simulieren lässt. Um diesen Service weiterzuentwickeln sowie zu vermarkten, bedurfte es weiterer Experten. Deren Weiterbildung gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht: Alle Kurse oder Materialien zum Selbststudium erwiesen sich entweder als oberflächlicher, allgemeingültiger Einstieg in die Thematik oder als so kompliziert wissenschaftlich, dass niemand ohne Mathematik-Professur dies auch nur annähernd verstehen konnte. Die Lösung: Das Unternehmen entwickelte einen eigenen Ansatz.

Es entstand ein Master-Class-Kurs, der sich stark am praktischen Sinn der Quantentechnologie orientiert. Zugrunde liegende mathematische Modelle werden erläutert und gleichzeitig in einen praktischen Zusammenhang gebracht. Es geht beispielsweise nicht darum, mathematische Themen im Detail zu beherrschen. Vielmehr geht es darum, warum diese genutzt werden - etwa, weil sich damit Schwingungen beschreiben lassen. Hinzu kommen physikalische Praktiken, die bei der Umsetzung helfen.

Kurse aus industriellem Blickwinkel

Der Unterschied zu einem akademischen Studium ist dabei der industrielle Blickwinkel mit dem Fokus auf praktische Fragen: Welche Use Cases ergeben sich und lassen sich sinnvoll mit Quantencomputing umsetzen? Welche Topologie wird benötigt, wie kann eine entsprechende Infrastruktur betrieben werden und wie muss eine Anwendung aufgebaut sein?

Und nicht zuletzt: Wie kommen die Daten in das Quantensystem hinein und wie werden die Ergebnisse weiterverarbeitet? Denn genau hier liegt bisher der Knackpunkt der meisten Bildungsangebote: Sie sind zu einseitig, oft zu theoretisch. Doch damit aus Quanten und Qbits ein Produkt, eine Lösung oder ein Service werden kann, braucht es Verständnis für Technologie und Sinn fürs Geschäft zugleich.

Zusammenarbeit zwischen Firmen und Bildungseinrichtungen

Gerade weil sowohl die Quantentheorie als auch ihre praktische Umsetzung noch mitten in der Entwicklungsphase stecken, ist die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Forschung und Industrie so wichtig - auch wenn es darum geht, Ausbildungs- und Weiterbildungskonzepte zu entwickeln. So wählte Intel zum Beispiel gezielt einige wenige Hochschulen aus, um Studienangebote zu entwickeln.

In Deutschland ist dies die TH Deggendorf, an der sich Intel, Atos und weitere namhafte Industriepartner engagieren. In drei Semestern können Studenten, die bereits einen Bachelor in Informatik, Physik oder Ähnlichem haben, einen Master in High Performance Computing und Quantum Technology erwerben. Die TH Deggendorf bringt zudem Experten der Branche auf Symposien zusammen und fördert so aktiv den Austausch.

Sommerkurse als Einstieg

Die akademischen Bildungsträger führen damit eine bewährte Tradition fort. Viele Fachhochschulen und Universitäten arbeiten in Public Private Partnerships an Technologie- und Innovations-Instituten eng mit Industrieunternehmen zusammen. Hier gehört das Thema Quantencomputing nun selbstverständlich mit auf die Agenda.

Darüber hinaus empfiehlt der oben erwähnte Qureca-Bericht, dass Hochschulen mehr Einstiegsmöglichkeiten für Studenten bieten, wie zum Beispiel Sommerkurse zur Vorbereitung, die Kombination aus traditionellem Lernen und Spezialdisziplinen, Ergänzung durch thematische Online-Kurse oder die Mitarbeit an Industrieprojekten und die Teilnahme an Wettbewerben im Rahmen des Studiums.

Warum sich schon jetzt mit Quantencomputing befassen?

Noch gibt es nur wenige praktische Anwendungsfälle und noch bedarf es einiger Grundlagenforschung - und dennoch ist dies genau der richtige Moment, um sich mit Quantencomputing zu beschäftigen. Warum? Quantencomputing ist eine wegweisende Technologie, die mit neuartigen Algorithmen und Herangehensweisen die Art und Weise der Informationsverarbeitung verändern wird. Um aber das Potenzial für das eigene Unternehmen erkennen zu können, sollte schon jetzt in Fachkräfte investiert werden.

Denn wer darauf wartet, dass Software-Lösungen erhältlich sind, die man nur noch anwenden muss, der hinkt dem Markt und den Möglichkeiten hinterher. Das umfassende Engagement der großen Tech-Unternehmen sowie die Geldmengen, die Regierungen und Unternehmen investieren, beweisen, dass Quantencomputing nicht nur ein Zukunfts- sondern ebenso ein brandaktuelles Thema ist.

Lesen Sie auch

McKinsey QuantumTechnology Monitor 2023

So bereitet sich Bosch auf die Quanten-Zukunft vor

Google verkündet Durchbruch beim Quanten-Computing