Arbeitgeber denken nicht langfristig genug

01.03.2007
Von Anja Dilk
Differenzierte Methoden zur Einschätzung von Bewerbern sind im Kommen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass nicht immer der beste Kandidat auch der geeignete ist.

Bei Lufthansa hat Papier keine Chance. Wenn Jürgen Wiedmann mal wieder eine Bewerbung mit Druckertinte und Lackhülle auf den Schreibtisch flattert, schickt er sie mit freundlichen Worten zurück: "Bitte bewerben Sie sich online." Der Experte für Personal-Marketing und Mitarbeiterauswahl bei der größten deutschen Fluggesellschaft hat in den vergangenen Jahren gemerkt: Online-Bewerbungen sparen den Personalern Arbeit und sind viel informativer als die dicken Papierbündel mit Anschreiben, Lebenslauf und Dutzenden Zeugnissen. Denn wer sich auf die Plattform be-lufthansa.com klickt, muss nicht nur die Standardunterlagen in digitaler Form einreichen, sondern auch eine Reihe von Online-Tests bewältigen.

Assessment-Center sind wieder gefragt

Doris Brenner war 15 Jahre lang als Führungskraft und Personalerin in großen Unternehmen tätig. Vor neun Jahren machte sie sich als Beraterin mit den Schwerpunkten Personalentwicklung und Karriereberatung selbständig. Brenner hat mehr als 2000 Bewerber und Führungskräfte interviewt und trainiert. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher zum Thema Personalarbeit und Bewerbung. In ihrem Buch "Neue Mitarbeiter - suchen, auswählen, einstellen", Luchterhand Verlag, 29,50 Euro, ISBN-10: 347205395X, widmet sie sich dem Thema Personalsuche.

CW: Was sind die wichtigsten Trends in der Bewerberauswahl?

BRENNER: Personaler schauen sich immer früher nach Nachwuchskräften um. Sie nehmen Kontakt mit möglichen Kandidaten auf, während diese noch studieren, bieten ihnen Praktika oder kleine Werkverträge an. Gerade in der IT-Branche gibt es viele Kooperationsprojekte von Firmen und Lehrstühlen. Ebenfalls im Trend: Online-Bewerbungsverfahren, Assessment-Center, auch wenn sie schon oft totgesagt wurden, und Telefoninterviews. Als kostengünstige Zwischenstufe zwischen Bewerbung und Vorstellungsgespräch setzen Personaler oder Personalberater zunehmend auf diese Methode.

CW: Wie gehen Personaler vor?

BRENNER: Dabei gibt es zwei Methoden: Telefoninterviews mit oder ohne Anmeldung. Spontane Anrufe sind ein guter Test in puncto Flexibilität. Ein Gespräch dauert etwa zwanzig Minuten. Die Bewerber werden gefragt, was sie bisher gemacht haben, wo die Schwerpunkte ihrer Arbeit lagen, welche Erfolge sie bei dieser Arbeit hatten. Es sollte auch darum gehen, warum sie Entscheidungen getroffen und wie sie ihre Aufgabe bewältigt haben. Wenn jemand im Lebenslauf schreibt, er habe ein Projekt geleitet, und es stellt sich im Telefonat heraus, dass er nur für die Abwicklung zuständig war, dann hat der Personaler schon eine wichtige Information sammeln können.

CW: Wird da ein persönliches Vorstellungsgespräch nicht schnell überflüssig?

BRENNER: Das Vorstellungsgespräch darf natürlich nicht zum Déjà-vu werden, zur Neuauflage des Telefoninterviews. Gut ist, wenn ein anderer Interviewer die Gesprächsführung übenimmt. Es sollte mehr in die Tiefe gegangen werden. Die persönliche Begegnung, Gestik, Mimik, Auftreten des Bewerbers liefern wichtige Zusatzinformationen.

CW: Worauf kommt es im Vorstellungsgespräch an?

BRENNER: Leider gelingt es den Unternehmen erstaunlich oft nicht, diese klassische Führungsaufgabe professionell zu meistern. In Vorstellungsgesprächen erzählen Führungskräfte häufig zu viel von sich selbst. Oft habe ich erlebt, wie besonders Ingenieure und IT-ler begeistert von ihren eigenen Aufgaben schwärmen, statt den Bewerber zu Wort kommen zu lassen. Eine professionelle Gesprächsführung ist ungeheuer wichtig. Da gibt es noch enormen Schulungsbedarf.

CW: Wie sollte so ein Gespräch aufgebaut sein?

BRENNER: Es gibt drei Arten von Vorstellungsgesprächen: strukturierte, halbstrukturierte, offene. Beim strukturierten Interview werden Punkte aus einem Fragenkatalog systematisch abgearbeitet. Im halbstrukturierten Gespräch werden lediglich Themenkomplexe vorher definiert, die Fragen können individueller gestellt werden. Das offene Interview sollten nur erfahrene Personaler führen, Anfänger laufen Gefahr, den Faden zu verlieren. Es braucht viel Schulung, bis ein Interviewer richtig fit ist. Er kann nicht gut genug vorbereitet sein, sollte sehr stark auf die Erfahrungen des Bewerbers eingehen und sich Situationen schildern lassen, in denen der Kandidat beispielsweise Schwierigkeiten erfolgreich bewältigt hat.

CW: Haben Führungskräfte und Personaler das langfristige Potenzial der Kandidaten ausreichend im Blick?

BRENNER: Häufig leider nein. Freilich ist die Frage, wie man dem langfristigen Potenzial eines Bewerbers auf die Spur kommt. Natürlich ist es hilfreich, den Kandidaten in einer realen Arbeitssituation zu erleben. Auch bei berufserfahrenen Bewerbern wird dieser Ansatz wichtiger. Unternehmen testen Kandidaten gerne erst einmal als Freiberufler oder Zeitarbeitnehmer. Ebenfalls sinnvoll: Ich bilde die Arbeitssituation möglichst realitätsnah und praxisbezogen in einem Assessment-Center nach und schaue, wie der Bewerber diese Situation bewältigt.

CW: Haben Personaler heute mehr Einfluss im Auswahlprozess als früher?

BRENNER: Immer noch treffen meist die Fachvorgesetzen die letzte Entscheidung. Für die Vorauswahl und die Gestaltung des Rekrutierungsprozesses sind die Personaler dagegen wichtiger geworden.

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Was einen guten Online-Leistungstest auszeichnet;

warum die Lufthansa im Bewerbungsverfahren auf Online-Tests setzt;

welche Fehler der Eignungsdiagnostiker Heinrich Wottawa den Personalern vorwirft.

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Je nach Jobprofil geht es um logisches oder numerisches Denken, Konzentrationsfähigkeit oder Analysestärke der Bewerber. Kleine Rechenaufgaben sind zu lösen oder Diagramme zu vergleichen. "So bekommen wir neben den fachlichen Daten über Ausbildung, Kenntnisse und Werdegang wichtige überfachliche Informationen über den Bewerber", schildert Wiedmann. Seit der Einführung von Tests zum Online-Recruiting im Juli 2005 hat sich die Methode etabliert. 95 Prozent der Kandidaten bewerben sich mittlerweile via Web. Wiedmann: "Für uns ist dieses Verfahren ein hervorragendes Instrument zur Vorauswahl: Wer erfüllt die Mindestanforderungen? Wer schätzt sich falsch ein?"

Differenzierte Verfahren wie die Bewerbersuche mit Hilfe von Online-Tests sind im Kommen. Im Run auf die besten Mitarbeiter suchen die Unternehmen nach immer genaueren Methoden, um herauszufinden: Wer passt am besten zu uns? Wer ist für diesen Job am geeignetsten? Wer hat auch langfristig Entwicklungspotenzial? Wie bekommen wir mehr Sicherheit auf der Pirsch nach dem richtigen Personal? Die Wirtschaft zieht wieder an. Gerade in der IT-Branche, in der jetzt schon Tausende Fachkräfte fehlen, gewinnen diese Fragen an Bedeutung.

Ein Methodenmix aus digitalen Unterlagen und ausgeklüngelten Eignungstests kann eine wichtige Hilfe sein. Im Idealfall sind sie speziell auf die Bedürfnisse des einzelnen Unternehmens zugeschnitten und mit Freitextfenstern ergänzt, in denen Kandidaten ihre Motivation und persönliche Besonderheiten schildern können, wie bei der Lufthansa. Zudem sind die digitalen Tests variabel.

Online-Tests werden besser

Je nachdem, wie ein Bewerber die vorangegangene Aufgabe gelöst hat, steigt oder sinkt der Schwierigkeitsgrad der folgenden. So lässt sich treffsicher herausfinden, was ein Bewerber kann. "Online-Leistungstests sind eine wichtige Ergänzung zur Eignungsdiagnostik vor Ort und dem Vorstellungsgespräch", resümiert Lufthansa-Personaler Wiedmann. "Denn nach wie vor sind Leistungstests der beste Weg, um die Potenziale eines Bewerbers zu erfassen und vorauszusagen, wie erfolgreich sein späterer Berufsweg sein wird."

Heinrich Wottawa ist Experte in Sachen Online-Testing. Der Professor für Diagnostik und Wirtschaftspsychologie an der Universität Bochum entwickelt digitale Verfahren, die Personalern bei der Suche nach dem besten Mitarbeiter helfen. "Überall dort, wo Massendiagnostik gefragt ist, also bei der Auswahl von Hochschulabsolventen, Auszubildenden oder Sachbearbeitern, ist Online-Recruiting sinnvoll. Vor allem, wenn die Unternehmen überregional suchen, spart das Zeit und Geld." Entscheidend: Es muss gut gemacht sein. Wottawa: "Am Anfang des Internet-Recruitings haben inkompetente Personaler ihren IT-Experten einen Personalbogen in die Hand gedrückt und gesagt: Macht mal. Das Ergebnis war entsprechend. Die Vorurteile halten sich bis heute."

Sinnvolle Online-Tests dagegen müssen nach einschlägigen Messverfahren strukturiert sein. Einfach zu fragen: Können Sie Java oder C++? bringt kaum aussagekräftige Ergebnisse. Wer dagegen konkrete Fragen zur Anwendung stellt, erfährt einiges über die tatsächliche Qualifikation eines Bewerbers. Stur nach dem Alter auszusieben, um nur zielstrebigen Nachwuchs zu bekommen, kann interessante Kandidaten aus dem Spiel werfen. Wer dagegen online mit konkreten Fragen nach den Lücken im Lebenslauf fahndet, hat bessere Chancen, die interessanten Newcomer herauszuangeln.

Vergleichszahlen heranziehen

Voraussetzung für einen detaillierten Fragenkatalog sind möglichst genaue Vorstellungen der Personaler selbst. "Der Recruiter muss wissen: Was brauche ich überhaupt? Welche genauen Anforderungen sind für den Job notwendig? Wie viel Durchsetzungskraft und Teamfähigkeit etwa, wie viel analytische Fähigkeiten benötigt der Kandidat?", so Wottawa. Auf diese Weise lassen sich Entscheidungsregeln bilden, die mittels eines hochkomplexen IT-Systems in Test-Tools umgesetzt werden. Die Entscheidungsregeln können kontinuierlich optimiert werden, indem Recruiter und Online-Experten die Daten vergangener Fälle regelmäßig vergleichen: Nach welchen Kriterien haben wir die Kandidaten ausgewählt, und was ist ein halbes Jahr später aus ihnen geworden?

Gefährliche Überflieger

Doch leider hakt es nach Einschätzung Wottawas oft an der Grundlage für so ein effektives Verfahren: einer "vernünftigen Anforderungsanalyse" der Personaler. "Viele Personalleiter sind einfach gestrickt. Sie suchen immer nach den gleichen Mustern. Teamfähig, intelligent, flexibel - das sucht jeder, das hilft nicht weiter", kritisiert Wottawa. Ebenso falsch sei es, stets nach dem besten zu schielen, demjenigen, der alles kann. "Schließlich brauche ich den passenden Kandidaten, nicht den besten." Ein Programmierer, der einsam am Rechner tüftelt, muss nicht der beste im Kommunikationstest sein. Ein Verkäufer, der Kunden gewinnen soll, muss nicht als Meister des kognitiven Denkens brilliert haben. Langfristig bringe der Run auf die Besten die Unternehmen ohnehin in die Bredouille - der Wettbewerb konzentriert sich auf eine kleine Gruppe. Die Unternehmen schaden sich dadurch selbst.

Heike Steiner vom Online-Testanbieter Alpha-Test in Mannheim kennt die Vorliebe der Personalabteilungen, nach den Besten der Besten zu suchen. "Auch wenn die meisten sich inzwischen bewusst sind, dass es gar nicht so sinnvoll ist, diejenigen zu nehmen, die beispielsweise im Assessment-Center in allen Punkten am besten abgeschnitten haben, halten sie häufig daran fest. So eine Entscheidung lässt sich am besten im Unternehmen rechtfertigen."

Frust auf beiden Seiten

Das Ergebnis ist nicht selten Frustration auf beiden Seiten: Der neue Mitarbeiter merkt, dass viele seiner Fähigkeiten gar nicht gebraucht werden. Das Unternehmen sieht, dass er doch nicht am richtigen Platz ist. Steiner: "Wir raten daher den Personalern, die Assessment-Center so anzulegen, dass sie genau ein bestimmtes Bewerberprofil herausfiltern. Dann ist der Beste der Passende." Das gilt offline ebenso wie online. "Eignungstests sollten sehr eng auf die spezifischen Tätigkeiten in der Arbeit ausgerichtet sein und nicht die persönlichen Eigenschaften ins Visier nehmen. Es ist unfair gegenüber dem Kandidaten, ihn zu drängen, Dinge preiszugeben, die er nicht preisgeben möchte. Die persönlichen Eigenschaften, die er für seinen Job braucht, lassen sich auch durch arbeitsplatzbezogene Tests herausfiltern."

Immer noch stellten viele Personaler bei der Mitarbeiterwahl die fachlichen Kompetenzen der Kandidaten zu sehr in den Vordergrund, kritisiert Doris Brenner, Coach und Autorin des Buches "Neue Mitarbeiter suchen, auswählen, einstellen": "Soziale und methodische Kompetenzen, die gesamte Persönlichkeit des Bewerbers werden oft zu wenig berücksichtigt. Zudem wird allzu oft der nächstbeste Kandidat genommen, nur weil man unter Zeitdruck steht. In wirtschaftlich guten Zeiten glauben Unternehmen, über Wahnsinnsgehälter Bewerber ködern zu können. In der Rezession wird versucht, Top-Kandidaten zu Dumping-Preisen anzuheuern."

Allerdings ist es mit der Auswahl allein nicht getan. Unternehmen, die das Entwicklungspotenzial ihrer Mitarbeiter langfristig bergen wollen, müssen auch in ihre Förderung investieren. Theoretisch ist das längst ein Gemeinplatz, praktisch lange noch nicht Realität. "Wir müssen viel mehr darüber nachdenken, was in den Menschen drinsteckt", fordert Diagnostik-Professor Wottawa.

Lernbereitschaft entscheidet

Er selbst hat diese Erkenntnis vor kurzem bei der Bewerberauswahl berücksichtigt. Er prüfte zwei Kandidaten im Intelligenztest ("Das ist wichtig, um das Potenzial einschätzen zu können"). Der Erste schnitt gut, der Zweite sehr gut ab. Der weniger Kluge hatte bessere Fachkenntnisse und verlangte daher ein höheres Gehalt, der Klügere war fachlich schlechter qualifiziert und gab sich daher mit weniger Geld zufrieden. Wottawa entschied sich für den Zweiten - und investierte die Gehaltsdifferenz in hochwertige Schulungen des neuen Mitarbeiters. Entscheidend sei neben der Intelligenz die Lernbereitschaft des Kandidaten. Und die lasse sich durchaus testen: Mit Hilfe von "Situations-Tools", die checken, ob ein Mitarbeiter in der Lage ist, die Erfahrungen aus einer fiktiven Situation auf eine andere zu übertragen. Und das ist sogar online machbar. Ein ausführliches Testbeispiel zum Thema interkulturelle Lernfähigkeit findet sich unter www.computerwoche.de/588971. (hk)